Sprachtherapie

Jeder fünfte Schulanfänger kann nicht richtig sprechen

Sechs- bis Siebenjährige bekommen häufiger Heilmittel verordnet als andere Kinder bis 14 Jahre. Das liegt insbesondere daran, dass bei den Schulanfängern öfter Sprachtherapien nötig sind. Vor allem Jungen sind betroffen.

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Grundschüler im Unterricht: 24 Prozent der sechsjährigen Jungen erhalten rund um den Schulbeginn eine Sprachtherapie.

Grundschüler im Unterricht: 24 Prozent der sechsjährigen Jungen erhalten rund um den Schulbeginn eine Sprachtherapie.

© Frank Leonhardt / dpa

BERLIN. Für viele Schulanfänger geht es nicht nur darum, in der Grundschule lesen, rechnen und schreiben zu lernen, sondern auch das richtige Sprechen. Vor allem Jungen sind betroffen: 23,7 Prozent der sechsjährigen Jungen erhalten rund um den Schulbeginn eine Sprachtherapie. Bei den gleichaltrigen Mädchen sind es immerhin noch 16,2 Prozent. Das ist ein Ergebnis des Heilmittelberichts 2016, den das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) jetzt veröffentlicht hat.

Vor allem Jungen werden demnach therapeutisch bei ihrer altersgerechten Sprech- und Sprachentwicklung unterstützt. "Das kann als Hinweis verstanden werden, dass viele Kinder heute unter schwierigen sozialen und gesundheitlichen Bedingungen aufwachsen und offensichtlich Expertenhilfe benötigen, um die anstehenden schulischen Herausforderungen meistern zu können", erläutert der stellvertretende Geschäftsführer des WIdO, Helmut Schröder.

Verordnung ab dem 4. Lebensjahr

Bei Kindern mit Entwicklungsstörungen der Sprache oder des Sprechens werden Sprachtherapien überwiegend ab einem Alter von vier Jahren verordnet. Laut Heilmittelbericht erhält in Deutschland zudem mit 9,2 Prozent fast jeder Zehnte vierjährige Junge eine Sprachtherapie. Auch hier liegt der Anteil bei den Mädchen mit 5,6 Prozent deutlich darunter.

Am häufigsten werden die entsprechenden Therapien im Alter von fünf bis sieben Jahren in Anspruch genommen. Der Schwerpunkt liegt jedoch eindeutig bei den sechsjährigen Kindern, wobei das für beide Geschlechter gilt. Ein Blick auf die vergangenen Jahre zeigt, dass sich die Verordnungswerte bei den Sechsjährigen schon seit längerem auf einem sehr hohen Niveau eingependelt haben. Nach der Zeit des Schuleintritts nimmt der Anteil der Kinder, die eine Sprachtherapie erhalten, wieder ab.

Die Verordnungsdaten zeigen jedoch deutliche regionale Unterschiede. Werden sechsjährige Mädchen und Jungen zusammen betrachtet, wurde 2015 bundesweit jedes fünfte Kind sprachtherapeutisch versorgt. Über dem Bundesschnitt von 20 Prozent lag Brandenburg mit einem Anteil von 23,7 Prozent, während die Verordnungen in Bremen einen deutlich geringeren Wert von 12,6 Prozent erreichten.

Vielfältige Ursachen

Über die möglichen Ursachen der starken Verbreitung von sprachtherapeutischen Behandlungen rund um den Schuleintritt wird dem Bericht zufolge in der Fachwelt seit Jahren diskutiert. Eine Erklärung ist demnach, dass sich die in diesem Alter angemessenen Fähigkeiten bei den Kindern verschlechtert haben. Gleichzeitig wird aber auch ein Wandel der Anforderungen von Schule und Eltern an die Kinder beobachtet. Zudem unterliegen auch ärztliches Diagnoseverhalten und Therapiemöglichkeiten einer kontinuierlichen Veränderung.

"Auch wenn Sprachtherapien helfen können, Defizite der kindlichen Umwelt zu bewältigen, sollten Verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen in Kindergärten und Schulen sowie im Elternhaus in ihrer Wirkung nicht unterschätzt werden. Damit kann Entwicklungsstörungen schon in frühen Jahren vorgebeugt werden", so Schröder.

Der Großteil der sprachtherapeutischen Heilmittelleistungen wurde von Kinder- und Jugendärzten (Anteil an allen Ärzten: 5,1 Prozent) mit einem Verordnungsanteil von 44,4 Prozent für die Versorgung von 47 Prozent der sprachtherapeutischen Patienten veranlasst. Allgemeinmediziner und Praktische Ärzte standen an zweiter Stelle; sie verordneten einem Fünftel der Patienten etwa ein Fünftel der sprachtherapeutischen Leistungen.

Die kleine Gruppe der HNO-Ärzte versorgte knapp ein weiteres Fünftel der Sprachtherapie-Patienten. Über alle Altersgruppen hinweg waren rund 58 Prozent der sprachtherapeutischen Patienten männlich.

16,5 Millionen Einzelbehandlungen

2015 wurden 2,12 Millionen (AOK: 842.500) der insgesamt 44,08 Millionen Heilmittelleistungen zur Therapie von Störungen des Sprechens, der Sprache, der Stimme und des Schlucktraktes verordnet. Das entspricht einem Volumen von rund 16,5 Millionen einzelnen Behandlungen (AOK: 6,7 Millionen).

Im Durchschnitt entfielen 233 sprachtherapeutische Behandlungen in 30 Leistungen auf jeweils 1000 GKV-Versicherte. Der Umsatz für die Versorgung der GKV-Versicherten mit sprachtherapeutischen Maßnahmen betrug 636 Millionen Euro. Der sprachtherapeutische Umsatz pro 1000 GKV-Versicherte stieg 2015 auf 8992 Euro. Eine sprachtherapeutische Leistung – ohne Zusatzleistung – kostete 2015 im Bundesdurchschnitt 279,52 Euro, mit Zusatzleistung 300,05 Euro. (eb)

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