KVNo-VV

AOK-Hausarztvertrag wird einhellig abgelehnt

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Keine Verbesserungen, viele Verschlechterungen - so beurteilen Hausärzte in Nordrhein einen neuen Vertrag, den die KV mit der AOK abgeschlossen hat. Beide Seiten gestehen zerknirscht Fehler ein und wollen nachverhandeln.

Von Ilse Schlingensiepen

DÜSSELDORF. Der zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNo) und der AOK Rheinland/Hamburg zum 1.Juli abgeschlossene Hausarztvertrag ist in der KVNo-Vertreterversammlung mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Niemand fand ein positives Wort für den Abschluss. Der KVNo-Vorstand versprach Nachverhandlungen.

Die AOK hatte den seit einigen Jahren gültigen Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung gekündigt, der auf die Förderung besonderer Versorgungsleistungen wie Haus- und Heimbesuche bei multimorbiden Patienten gesetzt hatte.

Stattdessen erhalten die Hausärzte künftig abhängig von den Diagnosen Betreuungspauschalen von 2,20 Euro, 3,00 Euro oder 4,50 Euro, die sie bis maximal 7,50 Euro pro Quartal kombinieren können. Die Pauschalen entfallen aber, wenn Patienten in einem DMP eingeschrieben sind.

Verband empfiehlt Ablehnung

Die am höchsten bewertete Kategorie umfasst nur drei Diagnosen, die nicht gerade typisch für Hausarztpraxen sind: Dialysestatus, Koma, Hirnödem/hypoxische Hirnschäden und myeloische Leukämie.

Damit ein Arzt bei einem Patienten auf eine Pauschale von 7,50 Euro kommen kann, müsse etwa ein Querschnittsgelähmter eine myeloische Leukämie haben, ätzte Hausarzt Dr. Rolf Ziskoven, stellvertretender VV-Vorsitzender. "So etwas ist nichts anderes, als uns Ärzte auf den Arm zu nehmen." Nicht akzeptabel sei auch der Ausschluss der Zusatz-Vergütung bei DMP-Patienten.

Mit der Kündigung des alten Vertrags habe die AOK Rheinland/Hamburg deutlich gemacht, dass ihr an der Versorgung alter und multimorbider Versicherter nichts mehr gelegen ist.

"Wir sollten den Vertrag ablehnen, dann merken die Krankenkassen, dass man einen solchen Vertrag ernsthaft als Vertragspartner nicht vorlegt", forderte Ziskoven.

Da Hausärzte automatisch an dem Vertrag teilnehmen, müssten sie Widerspruch einlegen, stellte Hausarzt Dr. Guido Marx vom nordrheinischen Hausärzteverband klar. Das empfehle der Verband allen Kollegen.

Dass DMP-Patienten von den Betreuungspauschalen ausgeschlossen sind, bezeichnete Marx als "absolute Zumutung". "Man will testen, wie leidensfähig oder wie doof wir sind."

Unverständnis bei vielen Delegierten

Mit dem neuen Strukturvertrag werde der Versorgung Geld entzogen und in die Bürokratie gesteckt, kritisierte Dr. Lothar Rütz. Alle Patienten müssen schließlich von den Ärzten in den Vertrag eingeschrieben werden, auch wenn sie auch an dem vorherigen AOK-Vertrag teilgenommen haben. "Wenn wir uns ständig über die Bürokratie beschweren, dürfen wir solche Verträge nicht abschließen."

Viele Delegierte äußerten ihr Unverständnis darüber, dass der KV-Vorstand einem solchen Vertrag überhaupt zugestimmt hat. "Jeder Hausarzt sieht nach zwei Minuten, dass dieser Vertrag nicht unterschrieben werden darf", sagte Dr. Jens Wasserberg.

Nach Angaben von Vorstand Bernhard Brautmeier hat der bisherige Vertrag, an dem 3500 Hausärzte teilnahmen, ein Honorarvolumen von 13 Millionen Euro im Jahr gebracht. Für den neuen Vertrag habe die AOK 14 Millionen Euro in Aussicht gestellt.

"Dass diese Rechnung nicht aufgeht, konnten wir erst im Nachhinein feststellen", räumte er ein. Die 14 Millionen Euro kämen nämlich nur dann zusammen, wenn alle Hausärzte und alle AOK-Versicherten teilnehmen.

Ab 1. Juli gilt der Vertrag erst einmal

Brautmeier kündigte erneute Gespräche mit der AOK an. "Wir haben die Zusage der AOK, dass sie 14 Millionen Euro zur Verfügung stellen wird." Die KVNo habe der Kasse bereits klar gemacht, dass bei den Besuchen nachverhandelt werden müsse. Die AOK wolle sich bewegen, berichtete er.

Die Einteilung in verschiedene Diagnose-Gruppen und der Ausschluss der DMP-Patienten seien nicht sinnvoll, gab der KVNo-Vorstand zu. "Ihre Kritik ist berechtigt, wir werden nacharbeiten." Ab 1. Juli gilt der Vertrag allerdings erst einmal.

Die KVNo-Delegierten verabschiedeten einen Antrag der "Allianz für Nordrhein", der die Kündigung des alten Vertrags verurteilt und Nachbesserungen am neuen fordert, ohne Gegenstimmen bei vier Enthaltungen.

"Es wird mit Sicherheit Änderungen an dem Vertrag geben", betonte AOK-Vorstand Matthias Mohrmann auf Anfrage der "Ärzte Zeitung". Es sei nie die Absicht der Kasse gewesen, eine Vereinbarung zu Lasten der Hausärzte zu schließen, stellte er klar. Das vereinbarte Honorarvolumen von 14 Millionen Euro werde den Ärzten auf jeden Fall zufließen.

Über die Ansätze, wie das am besten geschehen kann, will die Krankenasse so schnell wie möglich mit der KV Nordrhein verhandeln. Er werde auch gleichzeitig das Gespräch mit einzelnen Hausärzten suchen, kündigte Mohrmann an.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ratlos in Nordrhein

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