Interview

"Wir werden ein Auge auf die KVen haben"

Das Versorgungsgesetz wird nicht an den Ländern scheitern, erwartet Hessens Sozialminister Stefan Grüttner. Wie es mit der Umsetzung weitergeht, erklärt der CDU-Politiker im Interview. Bei den KVen will er genauer hinsehen, ob sie ihren Pflichten nachkommen.

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Stefan Grüttner (CDU)

Aktuelle Position: Gesundheitsminister von Hessen, Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz

Werdegang/Ausbildung: Volkswirtschaftsstudium in Mainz, wissenschaftlicher Mitarbeiter

Karriere: Mitglied im hessischen Landtag seit 1995; 2003 bis 2010 Chef der hessischen Staatskanzlei

Privates: 54 Jahre, verheiratet, zwei Söhne

Ärzte Zeitung: Im Februar sagten Sie der "Ärzte Zeitung": "Die GMK wird im Laufe des Jahres an Bedeutung gewinnen und größeren Einfluss auf die Gesundheitspolitik haben". Wie sieht ihre Bilanz für das Jahr 2011 aus?

Grüttner: Meine Prognose hat sich bestätigt. Die GMK hat in diesem Jahr intensiv gearbeitet und dabei weit reichende Kompetenzzuwächse für die Länder erreicht. Besonders bei der Bedarfsplanung haben die Länder nun deutlich mehr Gestaltungsspielräume.

Ärzte Zeitung: Bei der Bedarfsplanung wollten Sie "einen Fuß in der Tür" haben. Bei der Bedarfsplanung haben sich die Länder nun auch Pflichten erworben. Sehen Sie alle Länder gut vorbereitet?

Grüttner: Keine Rechte ohne Pflichten. Wir Länder wissen, auf was wir uns an dieser Stelle eingelassen haben. Wir brauchen Kontinuität, wenn es um die Beteilung der Länder im Gemeinsamen Bundesausschuss geht.

Es wird einen größeren Koordinierungsbedarf zwischen den Ländern und den Vertretern im Gemeinsamen Bundesausschuss geben. Aber die Expertise, die wir in den Ländern haben, reicht aus, um im Gemeinsamen Bundesausschuss zu bestehen.

Ärzte Zeitung: Wird künftig in den Landesgremien der Koordinierungsaufwand und der Konkurrenzkampf zwischen den Kommunen, die alles dafür tun werden, dass Ärzte sich bei ihnen niederlassen, steigen? Wie kann das moderiert werden?

Grüttner: Es wird keine Konkurrenzen geben. Wir haben nun erstmals die Chance, über den Gemeinsamen Bundesausschuss, eine regionale Bedarfsplanung durchzusetzen. Wir können so neue Versorgungsbezirke schaffen.

In den Landesausschüssen werden die Länder schauen müssen, dass es zu einer regional ausgewogenen, aber auch zu einer den regionalen Bedürfnissen entsprechenden Bedarfsplanung kommt.

Ärzte Zeitung: In größeren Gremien dauern Entscheidungsfindungen länger. Werden sich die Ergebnisse von Entscheidungen verbessern?

Grüttner: Das wird sich deutlich verbessern. Wir können unmittelbarer unsere Belange einbringen. Wir haben die Chance, im GBA und in den Landesausschüssen die Tagesordnungen mit zu bestimmen. So können wir unsere Probleme schnell zur Sprache kommen lassen. Und von diesem Recht werden wir Gebrauch machen.

Ärzte Zeitung: Minister Bahr hat das GKV-Versorgungsstrukturgesetz auch als "Motivation für Ärzte" bezeichnet - sehen Sie denn wirklich genügend Motivationsanreize für junge Ärzte, aufs Land zu gehen?

Grüttner: Das Gesetz ist ein erster Ansatz mit vielen Möglichkeiten. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass viele Ärzte weniger die Arbeit, eher den bürokratischen Aufwand und die Angst vor Regressen scheuen. Wenn diese Angst genommen wird und die Länder das mit eigenen Initiativen unterstützen, dann können wir Anreize schaffen.

In den Einzelheiten wie Notdienst oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss noch etwas gearbeitet werden. Wir werden sehen, wie sie sich in der Praxis bewähren. Wenn die Instrumente nicht funktionieren, dann werden wir noch einmal nachjustieren müssen.

Ärzte Zeitung: Im Gesetz wird der Sicherstellungsauftrag konkretisiert. Da heißt es, dass eine "angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung" gewährleistet wird. Wie wollen Sie denn die KV  - zum Beispiel in Hessen - dazu bringen, dass die Verpflichtung ernst genommen wird?

Grüttner: Wir haben ja die Möglichkeit, in den Landesausschüssen auf die Beteiligten und die KV Einfluss zu nehmen. Der Gesetzesauftrag ist klar gegenüber den KVen artikuliert. Als Rechtsaufsicht werden wir ein Auge auf die KVen haben, dass sie ihrer Aufgabe nachkommen.

Entsprechende Sanktionsmöglichkeiten werden sich die Länder nicht nehmen lassen. Die KVen wissen das. Und daher denke ich, dass sie vielleicht schneller handeln als in der Vergangenheit.

Ärzte Zeitung: Es gab im Laufe des Jahres auch den Streit um die spezialfachärztliche Versorgung - fast für die Länder ein Grund, das Gesetz zu kippen. Bund und Länder haben sich dann auf eine Mengenbegrenzung geeinigt. Ist diese Regelung ausreichend?

Grüttner: Nach einer längeren Diskussion unter der Federführung von Hessen haben wir einen für Bund und Länder tragfähigen Kompromiss gefunden. Wir konnten die Probleme, die es mit einigen Formulierungen gab, mit Änderungsanträgen aus dem Weg räumen.

Die ursprünglichen Formulierungen wären einer regionaleren Bedarfsplanung entgegengesetzt gewesen. Daher können wir mit dem Kompromiss zur Mengenbegrenzung gut leben.

Ärzte Zeitung: Hat sich der Bund zu sehr in die Länderbereiche eingemischt, was eben die Krankenhausplanung angeht? Hätte der Bund diesen Konflikt auch vermeiden können?

Grüttner: Ein solches Gesetzgebungsverfahren ist immer davon geprägt, dass alle Beteiligten versuchen, ihre Forderungen durchzusetzen. Ich nehme es dem Bund nicht übel, dass er den Versuch gemacht hat, auch in Länderhoheiten einzugreifen. Er musste allerdings feststellen, dass wir es gemerkt haben.

Ärzte Zeitung: Ihre Einschätzung: Wie wird am Freitag der Bundesrat sich zu dem Versorgungsstrukturgesetz verhalten?

Grüttner: Meine Einschätzung ist, dass das Gesetz im Bundesrat eine Mehrheit finden wird. Einige Länder werden sich noch einmal zum Gesetz mit weiteren Anträgen positionieren. Allerdings werden die SPD-Länder nicht wie ihre Kollegen im Bundestag geschlossen gegen das Gesetz stimmen.

Dazu waren der Beratungsprozess und die Kompromissfindung zu intensiv. Wenn die SPD-Länder sich gegen das Gesetz stellen, würden sie sich ihrer eigenen Einflussmöglichkeiten berauben.

Ärzte Zeitung: Aber der gesundheitspolitische Sprecher im Bundestag, Karl Lauterbach hat schon angekündigt, die SPD-Länder werden geschlossen dagegen stimmen.

Grüttner: Das kann Herr Lauterbach erklären. Wie die Länder im Bundesrat abstimmen, werden sie selbst entscheiden. Dazu wird es auch noch weitere Abstimmungsgespräche geben.

Ärzte Zeitung: Das "Jahr der Pflege" ist eine Reformbaustelle geblieben. Warum treiben die Länder auch in diesem Punkt den Bund nicht stärker vor sich her?

Grüttner: Die Länder treiben den Bund schon vor sich her. Es gibt unter den Ländern einen Konsens, was viele Fragen zur Pflege und des Pflegebedürftigkeitsbegriffs angeht. Wir sind uns allerdings nicht einig, ob es eine steuer- oder eigenverantwortliche Finanzierung der Pflegeversicherung geben soll.

Deswegen gab es auf der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister keine gemeinsame Positionierung. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, dass wir Länder gemeinsame Vorstellungen haben.

Ärzte Zeitung: Auch Sie fordern einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und die entsprechende Finanzierung. In der Berliner Koalition hört man, dass es zwar einen neuen Begriff geben wird, die Finanzierung aber nicht bis 2013 geregelt wird. Finden Sie das verantwortlich?

Grüttner: Ich kann mir schon vorstellen, dass es aus Berliner Sicht opportun scheint, eine solche Erklärung abzugeben. Ich gebe allerdings nicht die Hoffnung auf, auch im nächsten Jahr zu einer entsprechenden Veränderung zu kommen. Ich habe die Hoffnung, dass wir vor 2013 weitere Finanzierungsmöglichkeiten eröffnen können.

Ärzte Zeitung: Für 2012 übergeben Sie die GMK-Leitung an Georg Weisweiler aus dem Saarland. Wird er mit seinem Parteifreund Daniel Bahr einen besseren Draht haben und die Länderpositionen voranbringen?

Grüttner: Die Interessen sind an dieser Stelle nicht von Parteibüchern geprägt. Der Kontakt zwischen mir und dem Gesundheitsminister war eng, nah und vertrauensvoll. Wenn der Kollege Weisweiler noch mehr für die Länder rausholt, wird er die Unterstützung aller haben.

Das Gespräch führte Rebecca Beerheide

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