Regiert nun der Rotstift? Was ist Taktik, was Strategie?

Der Gesundheitsfonds ist da. Die Kassen wollen vermeiden, beizeiten eine Zusatzprämie erheben zu müssen. Regiert nun der Rotstift? Vorsicht! Bei allem, was Kassen in den letzten Monaten gesagt haben, muss zwischen Taktik und Strategie unterschieden werden. Service und Leistung sind wichtiger denn je.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

Manche Kassenfunktionäre hofften wohl bis vor kurzem, der bittere Kelch des Gesundheitsfonds würde an ihnen vorübergehen. Vorsorglich riefen sie, wie etwa der DAK-Chef Herbert Rebscher, das "Jahr der Buchhalter" für 2009 aus. Sparen, bis es quietscht - um jedes Risiko, etwa schon im Lauf des Jahres 2009 eine Zusatzprämie erheben zu müssen, auszuschalten.

In der taktischen Auseinandersetzung war Kassenfunktionären jedes Mittel der Dramatisierung recht, sich noch ein bisschen Hoffnung zu bewahren, 2009 werde der Fonds nur simuliert. Dabei hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel schon im Juni anlässlich des 125-jährigen Bestehens der gesetzlichen Krankenversicherung unmissverständlich deutlich gemacht, dass der Fonds samt Morbi-RSA 2009 Realität wird.

Im Stillen haben sich die Kassen allerdings längst auf die neue Situation eingestellt und entwickeln strategische Optionen. Das zeigt eine Umfrage der Gesundheitsökonomen Volker Ulrich (Bayreuth) und Eberhard Wille (Mannheim), die bereits zwischen Dezember 2007 und März 2008 stattfand. Von damals 210 gesetzlichen Kassen antworteten 56, von den 45 privaten Versicherungsunternehmen beteiligten sich 15. Mehr als die Hälfte der Antworten aus dem GKV-System stammen von großen Kassen; alle Kassenarten sind beteiligt.

Service wichtiger als Beitragshöhe

Eines der überraschenden, für Patienten und Ärzte tendenziell positive Ergebnisse ist, dass die reine Fokussierung auf den Beitragssatz als Wettbewerbsparameter nach überwiegender Einschätzung der Kassen an Bedeutung verliert. Essenziell wird hingegen das Preis-Leistungs-Verhältnis. Zu den wichtigsten Kriterien zählen das Spektrum des Service-Angebots (33 Nennungen), die Beitragshöhe (31 Nennungen), gefolgt von der Stärke der Marke (25 Nennungen) und dem Umfang des Versicherungsangebots.

Neuartig ist der Wettbewerb, der ab 2009 unter den Kassen entsteht. Da der Beitragssatz einheitlich auf 15,5 Prozent festgesetzt ist, scheidet eine Konkurrenz mit niedrigen Beitragssätzen zunächst aus. Zwei Konstellation können im Lauf der Zeit entstehen, die Entscheidungsbedarf auslösen: Die Kasse erwirtschaftet Überschüsse - sie könnte dann mit einer Ausschüttung an Versicherte oder mit mehr Leistungen reagieren -, oder die Kasse gerät ins Defizit - sie müsste dann entweder die Gesundheitsprämie erheben oder Leistungen kürzen.

Harte Verhandlungen mit Ärzten wahrscheinlich

Die Einschätzung der Kassen: 34 von 56 halten es für sehr wahrscheinlich, dass Versicherte vermehrt die Krankenkasse verlassen, die einen Zusatzbeitrag erhebt. Weitere 19 halten dies für wahrscheinlich. 41 Kassen, also eine übergroße Mehrheit, rechnen mit stärkerer Wechselneigung. Das werde künftig auch für Geringverdiener gelten. Nur bei älteren Versicherten wird mit hoher Treue gerechnet.

Um einer Situation entgegenzuwirken, die einen Zusatzbeitrag notwendig macht, will eine Mehrheit von 44 Kassen ein striktes Leistungs- und Verwaltungskostenmanagement "sehr wahrscheinlich" einführen. Große Bedeutung haben allerdings auch Vertriebsaktivitäten, also die Gewinnung von Versicherten, die positive Deckungsbeiträge bringen und insofern das Risiko eines Zusatzbeitrags mindern. Wichtig: die Reduzierung von Satzungs- oder Mehrleistungen steht dagegen erst an vierter Stelle, wird allerdings auch von einer Mehrheit der Kassen erwogen.

Im umgekehrten Fall, wenn die Beitragseinnahmen höher als die Ausgaben sind, würde eine übergroße Mehrheit (45 von 54) eine Teilausschüttung der Überschüsse erwägen und dies wohl mit Mehrleistungen und Zusatzangeboten kombinieren. Eine volle Ausschüttung der Überschüsse halten nur sechs von 48 Kassen für wahrscheinlich.

Grundsätzlich dürfte gelten: Die Kassen werden alles unternehmen, um zunächst die Erhebung eines Zusatzbeitrages zu vermeiden. Die Konsequenz werden harte Verhandlungen mit Leistungserbringern, also auch mit Ärzten sein.

Wie bindet man Versicherte an die Krankenkasse?

Aber: Sparen um des Sparens willen begründet noch keine rationale Kassenpolitik. Bekannt ist inzwischen, dass der Morbi-RSA in die richtige Richtung wirkt - Kassen, die überwiegend Gesunde versichern, erhalten deutlich weniger Zuweisungen aus dem Fonds. Ihnen wird es schwer fallen, mit aggressiver Preispolitik (sprich: mit attraktiven Prämien-Rückerstattungen) neue Mitglieder zu gewinnen.

An Bedeutung gewinnt die Relation zwischen Preis einerseits und Service sowie Leistung andererseits. Letzteres beeinflusst in hohem Maße die Bindung an eine Kasse.

Lesen Sie dazu auch: Wenn die Prämie kommt: Jeder Dritte wechselt

Mehr zum Thema

Weit weg von WHO-Zielen

hkk-Daten zeigen laue HPV-Impfquoten

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Weniger Rezidive

Hustenstiller lindert Agitation bei Alzheimer

Lesetipps
Ulrike Elsner

© Rolf Schulten

Interview

vdek-Chefin Elsner: „Es werden munter weiter Lasten auf die GKV verlagert!“

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen forderte am Mittwoch beim Gesundheitskongress des Westens unter anderem, die dringend notwendige Entbudgetierung der niedergelassenen Haus- und Fachärzte müsse von einer „intelligenten“ Gebührenordnung flankiert werden.

© WISO/Schmidt-Dominé

Gesundheitskongress des Westens

KBV-Chef Gassen fordert: Vergütungsreform muss die Patienten einbeziehen