Das neue Insolvenzrecht spannt einen Schirm für kranke Kassen

Müssen Ärzte um ihr Honorar bangen, wenn Kassen pleite gehen? Nein! Das neue Insolvenzrecht spannt einen solidarischen Haftungsschirm aller Kassen für eine insolvente Kasse. Es sichert Ansprüche bei Illiquidität und es beendet das Zwei-Klassen-Recht unter den Krankenkassen.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

Folgereformen von großen Reformen erkennt man daran, dass sie fast unaussprechliche Namen haben: "Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKVOrgWG) nennt sich das Ungetüm. Auf Deutsch könnte man es schlicht als "Regeln für die Kassenpleite" nennen. Sie sind - in dieser Legislaturperiode - der vorläufige Abschluss der Gesundheitsreformen.

Der Handlungsbedarf resultierte für den Gesetzgeber aus verschiedenen Umständen:

  • Gegenwärtig gilt die Insolvenzordnung (das gesetzliche Regelwerk zum Umgang mit Firmenpleiten) nur für bundesunmittelbare Krankenkassen. Die Länder haben ihre landesunmittelbaren Krankenkassen (vor allem die Ortskrankenkassen) durch Landesrecht für insolvenzunfähig erklärt. Damit haften die Länder bei Zahlungsunfähigkeit der landesunmittelbaren Krankenkassen. Insolvenzfähige Kassen müssen Versicherungen abschließen - vor allem für Ansprüche von Mitarbeitern und Versorgungszusagen.
  • Die geltenden Vorschriften über die Haftung nach Schließung einer Krankenkasse setzen Haftungsverbünde innerhalb der jeweiligen Kassenart voraus. In einem wettbewerblichen System, in dem auch Kassen unterschiedlicher Kassenarten im Wettbewerb zueinander stehen, kann eine solche kassenartenbezogene Solidarität nur noch schwer begründet werden. Außerdem ist die kassenartenbezogene Haftung nicht mehr kompatibel mit der Möglichkeit kassenartenübergreifender Fusionen.
  • Ein dritter, wichtiger Aspekt: die geltenden Regelungen zur Rechnungslegung der Kassen vermitteln kein hinreichend transparentes Bild über die tatsächliche Finanzsituation einer Kasse. Versorgungszusagen mussten nach altem Recht nicht zwingend bilanziert werden. Außerdem haben die Kassen bislang relativ große Spielräume bei der Bewertung ihrer Vermögenspositionen, größere als nach dem Handelsrecht. Nicht zuletzt diese Umstände waren - in Kombination mit einer laxen Länderaufsicht - Ursache des Acht-Milliarden-Euro-Defizits, das die Kassen bis Ende 2003 aufgehäuft hatten.

Nun hat der Gesetzgeber mit seinem Beschluss vom November bestimmt, dass die Insolvenzordnung ab dem 1. Januar 2010 generell auf alle Krankenkassen angewendet werden soll. Die Sonderregelung, wonach die Länder die ihrer Aufsicht unterliegenden Körperschaften des öffentlichen Rechts für insolvenzunfähig erklären können, wird dann für die Krankenkassen suspendiert.

Länder haften nicht mehr für Kassen unter ihrer Aufsicht

Die Wirkung: Damit werden auch die Länder von ihrer Verpflichtung entbunden, für die Beschäftigten insolventer Krankenkassen Insolvenzgeld zu zahlen und für die Ansprüche aus betrieblichen Alterssicherungen zu haften. Dies gilt bereits ab dem 1. Januar 2009, da die Länder ihrerseits keine Möglichkeit mehr haben, auf die Finanzlage einer einzelnen Krankenkasse Einfluss zu nehmen, weil der Beitragssatz einheitlich von der Bundesregierung festgelegt wird.

Deshalb müssen nun auch die landesunmittelbaren Krankenkassen eine Insolvenzsicherung nach dem Betriebsrentengesetz einrichten. Diese Beitragspflicht des Pensions-Sicherungs-Vereins gilt aber nur für die nach dem 1. Januar 2010 erworbenen Versorgungsanwartschaften. Auf diese Weise wird längerfristiges Deckungskapital von der jeweiligen Kasse aufgebaut - die gegenseitige Haftung der Kassen einer Kassenart füreinander wird deshalb längerfristig an Bedeutung verlieren.

Ein Sonderproblem stellt die AOK dar. Sie hat Sorge zu tragen für die Alterssicherung einer großen Zahl von Dienstordnungsangestellten mit beamtenähnlichem Status. Diese Mitarbeiter sind nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, sondern haben Pensionsansprüche wie Beamte. Diese werden üblicherweise nicht bilanziert.

Insgesamt summieren sich die Versorgungsansprüche, die in Zukunft realisiert werden, auf etwa elf Milliarden Euro, der größte Teil bei der AOK, ein kleinerer bei den Innungskrankenkassen. Wegen der Höhe und der Laufzeit der Versorgungsansprüche ist ein Übergangszeitraum von 40 Jahren vorgesehen.

Die Einzelheiten, wie die betroffenen Kassen als Folge ungedeckter Versorgungsverpflichtungen vor einer insolvenzrechtlichen Überschuldung geschützt werden sollen, müssen noch in einer Rechtsverordnung in den nächsten Monaten geregelt werden.

Sicherung auch für das Honorar der Ärzte

Gesichert werden aber auch die Ansprüche von Versicherten und Leistungerbringern für den Fall, dass eine Kasse insolvent wird. Im ersten Schritt haften dabei die Krankenkassen der gleichen Kassenart für bestehende Verbindlichkeiten.

Um eine Überforderung dieser Kassen und somit mögliche Folgeinsolvenzen zu vermeiden, ist diese Haftung auf ein Prozent der jährlichen Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds an die Kassen begrenzt. Gehen die Ansprüche darüber hinaus, werden alle Krankenkassen der anderen Kassenarten mit in die Haftung genommen.

Die Regelungen über die Schließung einer Krankenkasse mangels Leistungsfähigkeit werden beibehalten. So gibt es künftig zwei Wege, wie eine Kasse abgewickelt werden kann:

  • Zum einen kann die Aufsichtsbehörde eine Kasse schließen; die Abwicklung erfolgt dann durch den Vorstand der Kasse oder durch eine andere von der Aufsicht beauftragte Person.
  • Zum anderen kann die Aufsicht einen Insolvenzantrag stellen. Die Abwicklung der Kasse erfolgt dann durch einen vom Gericht bestellten Insolvenzverwalter nach den Vorschriften des Insolvenzrechts.

Vorrangig sollen Aufsichtsbehörden vom Schließungsrecht Gebrauch machen. Die Insolvenz soll nur die Ultima Ratio sein. Der Grund: Bei einer Schließung behält die Kassenaufsicht die Verfahrenshoheit und hat die Möglichkeit, bis zur wirksamen Schließung gemeinsam mit dem Spitzenverband Bund finanzielle Hilfen zu organisieren oder die Kasse durch Zusammenschluss mit einer anderen Kasse zu retten.

Vor dem Hintergrund der bis 2003 entstandenen starken Verschuldung wird den Kassen eine schärfere Transparenz verordnet. Der Spitzenverband Bund und die Aufsichtsbehörden bekommen mehr Kontrollrechte. Die Rechnungslegungsvorschriften werden denen des Handelsgesetzbuches angenähert. Es gelten die Regeln kaufmännischer Buchführung und Bilanzierung.

Das Ende der Klassen-Kassen

Bei der Gründung der gesetzlichen Krankenversicherung 1883 entstand zwar von Beginn an ein gegliedertes Versicherungssystem - das hatte aber mit einem Kassenwettbewerb von heute nichts zu tun. Die Gliederung des Systems basierte vielmehr auf einer noch ständisch organisierten Mehr-Klassen-Gesellschaft. Verlassen wurde dieses Prinzip erst mit der Gesundheitsreform 1993.

1883: Die gesetzliche Krankenversicherung entsteht. Das Ziel ist eine Minimalabsicherung von bislang unversicherten Arbeitern. Die Zuweisung zu einer Kassenart folgt nach der Berufsgruppe oder der Betriebszugehörigkeit. Für Handwerker gilt die Zuständigkeit der Innungskrankenkasse, für Bergleute die Knappschaft, für Mitarbeiter von Unternehmen, die eine Betriebskrankenkasse haben, eben diese BKK.

Dieses System der Zuordnung ließ breite Lücken, die von den Ortskrankenkassen geschlossen wurden. Aus diesem Grund wurden Ortskrankenkassen verpflichtend von den Versicherungsämtern errichtet. Ortskrankenkassen hatten damit flächendeckend Basiskassenfunktion - als Auffangbecken für sonst alle nicht versicherbaren Personen.

1993: Das Gesundheitsstruktur-Gesetz (GSG) tritt in Kraft. Es enthält weitreichende Organisationsreformen der Krankenkassenstruktur. Der Statusunterschied zwischen Arbeitern und Angestellten entfällt. Betriebs- und Innungskrankenkassen können sich für alle GKV-Versicherten öffnen. Alle Versicherten haben damit die Wahl zwischen der regional zuständigen AOK, den Ersatzkassen sowie den geöffneten Betriebs- und Innungskrankenkassen. Aus Interesse an Marktwachstum öffnen sich viele BKKen. Sie erhöhen ihren Marktanteil binnen zehn Jahren von zehn auf etwa 20 Prozent. Aufgrund der Wahlfreiheit der Versicherten in Verbindung mit dem Kontrahierungszwang geöffneter Kassen entfällt die Basiskassenfunktion der Ortskrankenkassen.

2003: Das Fusionsrecht der Kassen wird erweitert, kassenartenübergreifende Fusionen werden möglich. Der frühere Statusbezug wird hinfällig. Krankenkassen können prinzipiell aus dem Markt ausscheiden. Dazu müssen allerdings die bislang unterschiedlichen Bedingungen unter den Krankenkassen (und Kassenarten) für den Fall einer Insolvenz harmonisiert werden. (HL)

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