Callcenter-Ärzte sollen selbst initiativ werden

Bislang können sich AOK-Versicherte bei Fragen an das Callcenter Clarimedis wenden. Demnächst sollen die dort arbeitenden Ärzte und Pflegekräfte aber auch selbst aktiv werden, wenn ihnen Missstände auffallen.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Mitarbeiterin eines Callcenters. Bei Clarimedis gehen pro Jahr etwa 700 000 Anrufe ein.

Mitarbeiterin eines Callcenters. Bei Clarimedis gehen pro Jahr etwa 700 000 Anrufe ein.

© Sascha Deforth / Fotolia.com

KÖLN (iss). Die AOK Rheinland/Hamburg will mit ihrem Callcenter Clarimedis stärker auf die Versicherten zugehen. Wenn Mitarbeiter der Krankenkasse den Eindruck bekommen, dass die Versorgung bei einem Patienten nicht optimal läuft, sollen die Clarimedis-Fachärzte und Pflegefachkräfte ihm ein Gespräch anbieten.

"Bislang reagiert das Zentrum nur auf die Anfragen, künftig wollen wir auch von selbst mit den Patienten telefonieren", kündigt der Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg Wilfried Jacobs an.

Aktiv werden könnten die Kassenmitarbeiter, wenn ein Versicherter seit einem Jahr ohne Erfolg wegen Rückenschmerzen behandelt wird, sagt Jacobs. "Wenn wir feststellen, dass ein Patient Ärzte aus 15 verschiedenen Fachrichtungen kontaktiert, macht eine Kontaktaufnahme Sinn."

Der Krankenkasse gehe es nicht darum, sich in das Verhältnis des Patienten zum behandelnden Arzt einzumischen oder den Arzt zu kritisieren, betont er. Clarimedis könne den Versicherten aber ergänzende Informationen liefern und Unterstützung anbieten.

Als das Service-Center Clarimedis am 2. Mai 2001 die Arbeit aufgenommen hat, waren dort 15 Mitarbeiter beschäftigt. Heute sind es 124. Von ihnen sind 30 Fachärzte aus unterschiedlichen Fachgebieten und 36 ausgebildete Pflegekräfte.

Hinzu kommen 51 Mitarbeiter aus dem Gebiet der Sozialversicherung und Verwaltungskräfte. Rund 700 000 Anrufe gehen bei Clarimedis inzwischen pro Jahr ein. Dem Angebot haben sich fünf weitere AOKen - Bremen/Bremerhaven, Nordost, NordWest, Niedersachsen und Saarland - angeschlossen, es steht jetzt 10,5 Millionen Versicherten rund um die Uhr zur Verfügung. "Wir haben das größte eigene Patientenbegleitsystem in der Versicherungsbranche", sagt Jacobs.

Die AOK Rheinland/Hamburg hat sich bewusst dagegen entschieden, bei ihrem Callcenter auf einen externen Anbieter zurückzugreifen. Es habe sich bewährt, ausschließlich mit eigenem Personal zu arbeiten, sagt Jacobs.

Clarimedis

Im medizinischen Team von Clarimedis arbeiten Allgemeinmediziner, Anästhesisten, Augenärzte, Chirurgen, Gynäkologen, HNO-Ärzte, Internisten, Pädiater, Neurologen, Orthopäden, Psychiater, Urologen und Zahnärzte sowie Pharmazeuten und Psychologen. "Uns erreichen Anfragen zu allen Fachgebieten", sagt Dr. Renate Quarg, Kinderärztin bei Clarimedis.

In der Inneren Medizin, zu der mit 29 Prozent die meisten Anrufe eingehen, richten sich viele Fragen auf Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus oder Bluthochdruck. In der Orthopädie erkundigen sich viele Anrufer über die Knie-Arthrose, in der Frauenheilkunde über die Diagnostik und Therapie des Mammakarzinoms.

In der Pädiatrie dominieren die Fragen von jungen Eltern, die ihr erstes Kind bekommen. Dabei geht es ums Stillen, Schlafprobleme oder die Angst vor Allergien. "Impfungen sind eine sehr häufige Thematik", berichtet Quarg.

Häufig wenden sich Eltern, Großeltern oder andere Verwandte auch mit ganz praktischen Fragen an das Team. "Wie schwer darf der Schulranzen sein? oder Wie werden wir die Läuse wieder los?"

Rund 70 Prozent der Anrufe beziehen sich auf Sozialversicherungs-Fragen, bei 30 Prozent geht es um medizinische Themen. Dazu zählen die Erklärung von Diagnosen, Krankheitsbildern und Therapien, die Beantwortung von Fragen zu Arzneimitteln, die Hilfe bei der Suche von Fachärzten, Kliniken oder Selbsthilfeorganisationen und die Information zu Behandlungsmethoden.

"Den zunehmenden Fragen der Patienten stehen Ärzte gegenüber, die immer weniger Zeit haben", sagt Jacobs. Die Clarimedis-Mitarbeiter wollten den Arztbesuch nicht ersetzen, sondern ihn ergänzen. "Der Patient kann beim behandelnden Arzt gezielter nachfragen, oder er weiß, zu welchem Facharzt er gehen muss."

Die AOK habe der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein von Anfang an klar gemacht, dass es keine Einmischung in die Therapie gebe. "Die KV steht uns aufgeschlossen gegenüber", sagt Jacobs.

Das ärztliche Berufsrecht setze der Arbeit der Clarimedis-Mediziner klare Grenzen, sagt der ärztliche Leiter Dr. Thomas Wollersheim. "Die individuelle Diagnosestellung und der individuelle Therapievorschlag sind verboten."

Die Ärzte wollten allgemeingültige Empfehlungen geben und den Versicherten bei der Lösung ihrer Probleme helfen. Dabei stützten sie sich auf die Erkenntnisse der evidenzbasierten Medizin, ihre individuelle klinische Expertise und die Präferenzen der Patienten.

Clarimedis ersetze nicht den Medizinischen Dienst der Krankenkassen, sagt Wollersheim. "Wir treffen keine Kostenübernahme-Entscheidungen." Alle Anforderungen des Datenschutzes würden in dem Callcenter beachtet, auch gegenüber der AOK. "Die medizinischen Daten verlassen den medizinischen Bereich nicht."

Wenn der Patient einverstanden ist, rufen die Clarimedis-Ärzte in Zweifelsfällen die behandelnden Kollegen direkt an, berichtet er. Das könne zur Klärung der Fragen beitragen. "Wir hören ja immer nur die eine Seite der Geschichte."

Schlagworte:
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen