Kassen wollen 12.000 Arztsitze abschaffen

Die Kassen rechnen vor: Auf 12.000 Sitze für Ärzte und Psychotherapeuten kann verzichtet werden. Aus dem Schneider sind die Hausärzte. Ein Gutachten sieht bei ihnen keinen Spielraum für die Stilllegung von Praxissitzen.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Setzen sich Kassen durch, werden nicht alle Arztsitze neu besetzt.

Setzen sich Kassen durch, werden nicht alle Arztsitze neu besetzt.

© Illian

BERLIN. Die Krankenkassen haben in der Debatte um die Frage, ob es einen Ärztemangel gibt oder nicht, schwere Geschütze aufgefahren: Jetzt soll ein vom GKV-Spitzenverband in Auftrag gegebenes Prognos-Gutachten ihr Argument untermauern, es gebe zu viele Ärzte.

Auf 12.000 Sitze niedergelassener Mediziner und Psychotherapeuten kann dem Gutachten zufolge verzichtet werden. Die Schlussfolgerung des Verbandes ist wenig überraschend: KVen sollen gesetzlich dazu verpflichtet werden, in überversorgten Gebieten Arztsitze aufzukaufen.

Der Gegenangriff der Ärzte und Psychotherapeuten folgte prompt: KBV-Chef Dr. Andreas Köhler warf den Kassen Realitätsferne vor. Gerade in Ballungsgebieten wie Berlin und Hamburg zeige sich, dass die von den Kassen kritisierte Überversorgung häufig nur auf dem Papier bestehe und nicht den Bedarf abbilde.

Auch die Tatsache, dass niedergelassene Ärzte in Großstädten häufig Patienten aus angrenzenden Gebieten mitversorgten, bilde die derzeitige Bedarfsplanung nicht ab.

Studie war "Verschwendung der Versichertengelder"

Nach Ansicht von MEDI-Chef Dr. Werner Baumgärtner gibt es nicht zu viele Ärzte, sondern "zu viele Krankenkassen". Und inzwischen habe selbst die Politik den Ärztemangel erkannt, ergänzte der Chef der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery. Solche Studien wie die der Kassen verschwendeten "lediglich die Gelder der Versicherten".

Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) warnte sogar: "Eine schon heute unzureichende Versorgung psychisch kranker Menschen würde nochmals massiv verschlechtert." Einer aktuellen Studie der BPtK warten Patienten bereits heute im Schnitt ein halbes Jahr auf eine psychotherapeutische Behandlung.

Unterstützung erhalten Ärzte und Psychotherapeuten aus der Politik. Nach Ansicht von CDU-Politiker Jens Spahn erweckt die Studie einen völlig falschen Eindruck. "Wir brauchen jeden fähigen Arzt für die Versorgung der Menschen. Die Frage ist eher, wie sich die Ärzte übers Land verteilen", sagte Spahn.

Auch der FDP-Politiker Heinz Lanfermann winkte ab: Sollte Überversorgung festgestellt werden, bestehe die Möglichkeit diese mit dem geplanten Versorgungsgesetz abzubauen.

Kassen fordern einen Muss-Bestimmung zum Aufkauf

Dem Gutachten zufolge reichen die geplanten Maßnahmen allerdings nicht aus, um Überversorgung abzubauen. Der Aufkauf von Praxissitzen solle zwar künftig erleichtert werden, allerdings bleibe es eine "Kann-Bestimmung". KVen seien nicht verpflichtet, "der Überversorgung mit dem Instrument entgegenzuwirken".

Die Überversorgung mit Ärzten in Ballungszentren werde sogar "verfestigt", sagte die stellvertretende GKV-Spitzenverbandssprecherin Ann Marini.

Sie forderte eine Klarstellung im geplanten Gesetz, dass "in überversorgten Gebieten Arztpraxen von Kassenärztlichen Vereinigungen aufgekauft werden müssen, wenn ein Arzt ausscheidet und eine Wiederbesetzung für die Versorgung nicht erforderlich" sei.

Überversorgung "nur ein fachärztliches Problem"

Das Gutachten belegt allerdings: Nicht überall wäre ein Abbau der Sitze erforderlich. Hausärzte beispielsweise sind demnach aus dem Schneider. Die Studie gibt für die Allgemeinmediziner, Augenärzte, Frauenärzte sowie HNO-Ärzte Entwarnung - hier sei der Spielraum für einen Praxisaufkauf "relativ gering".

"Die Überversorgung ist ein Phänomen, das nahezu ausschließlich die fachärztliche Versorgung betrifft", heißt es in dem Gutachten. Diese sei "regional sehr unterschiedlich ausgeprägt".

Aber auch innerhalb der Facharztgruppen ergibt sich ein differenziertes Bild: Die Studie sieht bei ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten sowie den fachärztlichen tätigen Internisten die größte Anzahl potenziell aufkaufbarer Praxen.

Das Ziel ist, durch die Stilllegung der Praxissitze eine gleichmäßigere regionale Verteilung der fachärztlichen Versorgung zu schaffen.

Doch aus Sicht von Medi-Chef Baumgärtner sollte dieser Plan gar nicht umgesetzt werden: "Patienten müssen teilweise monatelang warten, um einen Termin beim Facharzt zu bekommen."

Lesen Sie dazu auch: Kassen: 12.000 Arztsitze zu viel

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