Kassen drehen weiter am Fusionskarussell

Zusammenschlüsse von gesetzlichen Krankenkassen sind seit Jahren an der Tagesordnung: Von über 1000 im Jahr 1994 sind noch knapp 150 Kassen übrig. Jetzt haben vor allem Notfusionen und Konkurse die Schlagseiten des Wettbewerbs offenbart. Sicher ist: Das Übernahmekarussell dreht sich weiter.

Von Dieter Leopold Veröffentlicht:

BERLIN. Auch das Jahr 2011 war in den Sozialversicherungen von Fusionen gekennzeichnet, in der GKV erstmals auch durch die Schließung einer Kasse. Allerdings verlief die Entwicklung in den Sozialversicherungszweigen unterschiedlich.

Insgesamt existierten in allen Zweigen am 1. Januar 2012 noch 216 selbstständige Sozialversicherungsträger in den alten und neuen Bundesländern (ohne Pflegekassen), während es ein Jahr zuvor 227 gewesen waren.

Teilweise dramatisch ist 2011 der Umbruch in der Krankenkassen-Landschaft verlaufen. Sichtbarer Ausdruck dafür ist ihre stark rückläufige Zahl. Hatte es zum Jahreswechsel 2008/09 noch 215 gesetzliche Krankenkassen gegeben, waren es zum 1. Januar 2011 nur noch 156.

Zum 1. Januar 2012 verzeichnet die Statistik einen Rückgang um zehn auf 146 Krankenkassen. Von der "Fusionitis" betroffen sind alle Kassenarten. Mittelfristig gehen Experten davon aus, dass es in einigen Jahren weniger als 100 gesetzliche Kassen geben wird.

Dramatischer Umbruch in der Kassenlandschaft

Allgemeine Ortskrankenkassen: Die AOKen haben in den letzten Jahren zahlenmäßig stark abgenommen - am 1. Januar 1994 gab es noch 223 AOK in den alten und 13 AOK in Ostdeutschland. Zu Jahresbeginn 2011 waren es zwölf AOK. Ihre Zahl wird sich zum 1. März 2012 auf elf Ortskrankenkassen verringern.

Überraschend haben nämlich die Selbstverwaltungsorgane der AOK Rheinland-Pfalz und der AOK Saarland im Dezember 2011 eine AOK-interne Fusion zu einer Krankenkasse mit 636.000 Mitgliedern beschlossen.

Im Herbst 2009 hatte zunächst ein beabsichtigter Zusammenschluss von AOK Rheinland-Pfalz, AOK Saarland und IKK Südwest zur "Gesundheitskasse Südwest" für Aufsehen gesorgt. Das Bundeskartellamt hatte grünes Licht gegeben, ebenso die Selbstverwaltungsorgane der drei Kassen.

Die Fusion scheiterte im Herbst daran, dass die IKK Südwest den beiden AOK nur formell beitreten, nicht aber in der Außendarstellung als Teil der AOK-Gemeinschaft erkennbar sein wollte.

Die geplante "Gesundheitskasse Südwest" sollte mit den Farben der beiden Kassenarten (AOK in Grün und IKK in Blau) in den Augen der IKK als Ausdruck der alten Identität genügen. Doch dem beugten sich die AOK-Oberen nicht.

City-BKK-Pleite war ein Novum

Betriebskrankenkassen: Am schnellsten dreht sich das Fusionskarussell nach wie vor bei den Betriebskrankenkassen, wenngleich sie zahlenmäßig weiterhin am stärksten vertreten sind. Gleichwohl ging ihre Zahl im Verlauf des Jahres 2011 von 121 auf nunmehr 112 zurück.

Zum 1. April 2011 hatten zunächst die BKK vor Ort (Bochum) und die Dräger & Hanse BKK (Lübeck) fusioniert. Sitz und Hauptverwaltung der neuen Kasse mit 770 000 Versicherten und fast 1500 Beschäftigten an 70 Standorten sind in Bochum.

Ein Novum war im abgelaufenen Jahr die Pleite der City-BKK. Sie wurde am 30. Juni 2011 wegen chronischer Finanzprobleme vom Bundesversicherungsamt dichtgemacht.

Die noch 168.000 Versicherten waren gezwungen, sich kurzfristig eine neue Kasse zu suchen, was aber auf Schwierigkeiten stieß, weil nicht alle angegangenen Krankenkassen zur Mitgliederaufnahme bereit waren, obwohl sie von Gesetzes wegen dazu verpflichtet sind.

Für Schlagzeilen sorgte 2011 auch die in Düsseldorf ansässige BKK für Heilberufe. Schon vor dem Konkurs der City-BKK war sie immer mehr in eine Schieflage geraten - trotz eines Zusatzbeitrages von zehn Euro.

Chaos beim Konkurs der Heilberufe-BKK blieb aus

Mögliche Fusionspartner sprangen wieder ab, nachdem in den Büchern der Kasse ein höherer Finanzierungsbedarf festgestellt worden war als zunächst angenommen. Alle Versuche innerhalb und außerhalb des BKK-Systems, die Krankenkasse zu sanieren, scheiterten.

Das BVA ordnete deshalb die Schließung zum 31. Dezember an. Davon betroffen waren noch rund 80.000 Mitglieder. Vier weitere Fusionen im BKK-System gab es zum 1. Januar 2012. So hat sich die BKK MAN und MTU mit der BKK Audi zusammengeschlossen. Die Hauptverwaltung der BKK Audi hat ihren Sitz in Ingolstadt.

In der neuen Kasse kümmern sich 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an 26 Standorten um mehr als 500.000 Versicherte. An einen Personalabbau denken die Verantwortlichen nicht.

Auch die BKK Verkehrsbau Union und die BKK Futur haben fusioniert. Die neue Kasse heißt BKK VBU und betreut rund 400.000 Versicherte an bundesweit 30 Standorten.

Die dritte Fusion betrifft die BKK A.T.U., die sich mit der BKK Schott-Rohrglas zusammengetan hat. Und schließlich fusionierten auch die BKK ALP plus und die BKK Pfeifer und Langen.

Ein Sorgenkind im BKK-System bildet noch die BKK Hoesch, die für ihre rund 60.000 Mitglieder einen Zusatzbeitrag von 15 Euro im Monat erhebt. Anlass und Grund für rund ein Drittel der Mitglieder, im Jahr 2011 die Kasse zu wechseln. Der BKK-Bundesverband hofft, bald eine Lösung mittels einer Fusion zu finden.

Elefantenhochzeit im IKK-System kam überraschend

Innungskrankenkassen: Am 1. Januar 2011 hatten noch sieben Innungskrankenkassen bestanden - heute sind es noch sechs. Auch Insider hat im Sommer 2011 eine "Elefanten-Hochzeit" überrascht. Zum 1. August 2011 entstand aus der Vereinigten IKK und der IKK classic eine neue IKK mit 2,6 Millionen Mitgliedern.

Die IKK classic hat ihren Hauptsitz in Dresden. Anlass für den Zusammenschluss war vor allem die schwierige Finanzlage der Vereinigten IKK, während die aufnehmende IKK über eine solide Finanzbasis verfügt.

Das Haushaltsvolumen der IKK classic, die "Nummer sechs" in der Rangliste der größten Kassen, beläuft sich auf rund 8,2 Milliarden Euro jährlich. 460.000 Firmenkunden werden betreut.

Ersatzkassen: Unverändert geblieben ist im Jahresverlauf mit sechs die Zahl der Ersatzkassen. Für Aufsehen sorgte im Herbst der Zusammenschluss der DAK mit der BKK Gesundheit. Bereits ein Jahr zuvor hatten beide Kassen einen Fusionsversuch unternommen.

Zu den beiden Fusionspartnern gesellte sich zu Jahresbeginn 2012 die BKK der Axel Springer AG, die bisher nur für Betriebsangehörige des Konzerns geöffnet war. Diese Kasse verfügte über 12.000 Mitglieder. Die DAK Gesundheit will ab 1. April 2012 auf den Zusatzbeitrag verzichten.

Oasen der Ruhe: Knappschaft und LKK

So turbulent das Jahr bei anderen Kassenarten war - auf Knappschaft und landwirtschaftliche Krankenkassen traf dies nicht zu: Die Knappschaft hatte am 1. Januar 2008 auch die Versicherten der See-Krankenkasse aufgenommen und ist bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See angesiedelt. Die neun landwirtschaftlichen Kassen bilden ein gemeinsames Dach mit den jeweiligen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften. Über ihnen schwebt das Damokles-Schwert eines bundeseinheitlichen Sozialversicherungsträgers - in Vereinigung mit landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, Alterskassen und Pflegekassen.

Auch andernorts sinkt die Trägerzahl stetig

Andere Sozialversicherungszweige sind unterschiedlich stark von Fusionen betroffen. So existieren von den 35 gewerblichen Berufsgenossenschaften (BG) noch neun selbstständige Träger. Zum 1. Januar 2011 hatten sechs Berufsgenossenschaften die BG Holz und Metall gebildet. Bei den Öffentlich-rechtlichen Unfallversicherern sank die Trägerzahl von 27 auf 26: Zum Jahresbeginn schlossen sich der Bayerische Gemeindeunfallversicherungsverband und die Unfallkasse München zusammen. Die Landwirtschaftliche Unfallversicherung steht vor einer grundlegenden Reform. Noch existieren neun selbstständige BG. Nach einem Regierungsentwurf sollen sie 2013 in einem einheitlichen Bundesträger aufgehen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ulla Schmidt ist fast am Ziel

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