"Die GKV würde ihre Macht ungeniert ausspielen"

Der Präsident der Bundesärztekammer Dr. Frank Ulrich Montgomery hat bei der Eröffnung des Ärztetags in Nürnberg für einen Wettbewerb von GKV und PKV geworben. Wir dokumentieren Auszüge aus seinem schriftlichen Redemanuskript.

Von Dr. Frank Ulrich Montgomery Veröffentlicht:
BÄK-Präsident Montgomery: "Gäbe es die PKV nicht, hätten wir heute schon einen sehr viel schlankeren GKV-Leistungskatalog."

BÄK-Präsident Montgomery: "Gäbe es die PKV nicht, hätten wir heute schon einen sehr viel schlankeren GKV-Leistungskatalog."

© Wawarta

Dreiviertel der Legislaturperiode dieser Bundesregierung sind herum. Zeit, einmal eine Bilanz zu ziehen. Und die sieht - ich meine jetzt nur in der Gesundheitspolitik - gar nicht so schlecht aus.

Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz ist es dem Vorgänger von Herrn Bahr, unserem Kollegen Dr. Philipp Rösler gelungen, Finanzsicherheit für eine ganze Legislaturperiode zu schaffen.

Das ist vor ihm - soweit ich mich erinnere - noch Keinem gelungen. Wir reden heute über ein, wenn auch bescheidenes, Luxusproblem, wie wir mit Überschüssen in der Gesetzlichen Krankenversicherung umgehen. Und ich hätte da auch gleich einen Rat:

Zuallererst sollte man die Überschüsse in der GKV belassen. Als bewusst angelegten Puffer für die nächste Krise, denn die kommt bestimmt.

Wenn Politik dann aber doch Begehrlichkeiten im Wahlkampf entwickelt und meint, dem Bürger als politischem Akt etwas zurückgeben zu müssen, dann sollte man das Geld nicht durch kaum merkbare Beitragsrückerstattungen oder noch schlimmer - durch Beitragssatzsenkungen verpulvern.

Praxisgebühr kostet nur Bürokratie

Nein, dann sollte man die Praxisgebühr abschaffen. Sie bringt keinen messbaren Effekt, sie kostet nur Bürokratie und sie belastet das Patient-Arzt-Verhältnis.

Und schließlich sollte man auch die Sinnhaftigkeit von Sonderopfern der niedergelassenen Ärzte und der Krankenhäuser überprüfen. Es ist intellektuell wenig sinnvoll und kaum redlich, "Sonderopfer" für die notleidende GKV einzufordern, wenn die Kassen der Kassen gefüllt sind.

Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) hat Philipp Rösler es dann geschafft, auch die Pharmaindustrie solidarisch an den Kosten der Gesundheitsversorgung zu beteiligen - ohne ihre grundsätzlichen Gewinnchancen dabei nennenswert zu beeinträchtigen.

Das war ein genialer Coup, den hätte man gerade von einem Liberalen nie erwartet und nur deswegen konnte er gelingen.

Mit dem Versorgungsstrukturgesetz hat Daniel Bahr sodann viele Fehler aus der Ära Ulla Schmidt wieder behoben. Und er hat neue Anreize zu patientenorientiertem Handeln und flächendeckender Versorgung geschaffen.

Dieses Gesetz ist mehr als nur ein Landarztgesetz; es ist ein klassisches Reparaturgesetz - und die Zusammenarbeit mit dem BMG und Herrn Bahr waren von einer ganz anderen Qualität und Ernsthaftigkeit, als wir das in den neun Jahren der Vorvorgängerin des Ministers erleben mussten.

Im Moment bewegen uns das Patientenrechtegesetz und die Novelle der Approbationsordnung. Bei beiden Vorhaben hat es eine gute und vertrauensvolle Vorarbeit mit der Ärzteschaft gegeben.

Insbesondere beim Patientenrechtegesetz hat Herr Zöller Wort gehalten. Dieses Gesetz wird das Vertrauensverhältnis von Patient und Arzt nicht grundlegend verändern, es wird nicht zu einer Belastung der Patient-Arzt-Beziehung kommen - wenn der Bundestag diesem Gesetzentwurf so folgt.

Beispiellose Kampagne gegen die PKV

Auch die Approbationsordnung reflektiert unsere Vorstellungen weitgehend. Die Abschaffung des "Hammerexamens" am Ende des Studiums ist gut, eine Verstärkung der Ausbildung in der Allgemeinmedizin wird von uns begrüßt, muss allerdings an vernünftige Kapazitäten gebunden werden.

Das Pflichttertial in der Allgemeinmedizin, wie vom Gesundheitsausschuss des Bundesrates gefordert wurde, war ein verantwortungsloser Schuss aus der Hüfte.

(...) (Wir) wollen uns heute auch in besonderer Weise mit der Freiheit des Krankenversicherungssystems befassen. Die ist nämlich in Gefahr.

Heute haben wir einen Systemwettbewerb zwischen zwei Säulen. Da ist die Private Krankenversicherung auf der einen Seite und die Gesetzliche auf der anderen. Beide sind wichtig. Beide haben zum unbestreitbar großen Erfolg des deutschen Gesundheitswesens entscheidend beigetragen.

(...) In einer beispiellosen Kampagne werden immer wieder Märchen aufgetischt, wie "die PKV wolle sich aus der Krankheitskostenvollversicherung zurückziehen". Das Gegenteil ist wahr. Die großen Krankenversicherungsunternehmen habe dies gerade in einer eindrucksvollen Infokampagne bestätigt.

Da wird behauptet, die Beiträge stiegen um bis zu 80 Prozent. Wahr ist, dass über die Hälfte der privat Krankenversicherten gar keine Beitragssatzsteigerungen erfahren hat. Und die, die exorbitante prozentuale Erhöhungen erlebt haben, hatten vorher fast unanständig billige Versicherungen abgeschlossen.

Da kommen dann zwei Dinge zusammen: Erstens die notwendige Anpassung an die ökonomische Vernunft und zweitens eine sehr niedrige Ausgangsbasis. Das gibt dann - und nur bei einigen Versicherungen - hohe prozentuale Anpassungen.

GOÄ-Diskussion ist nicht unproblematisch

Und schließlich gibt es sicher auch Private Krankenversicherungen, die mit ihrem eigenen wirtschaftlichen Ende kämpfen. Das ist in einer sozialen Marktwirtschaft normal und das muss unter Wahrung der Interessen betroffener Versicherter geregelt werden.

Davon geht aber die Welt nicht unter. Vor allem nicht das ganze System. Oder haben dieselben Politiker, die heute über den Untergang der PKV spekulieren, etwa beim Untergang der City BKK das Ende des GKV-Systems an die Wand gemalt?

Auch wenn sie sich in der Diskussion um einen neue Gebührenordnung für Ärzte mitunter so verhalten, als wollten sie auch noch ihre letzten wesentlichen Partner im politischen Geschäft verprellen, so bleibt doch eine Wahrheit bestehen: Es ist die Existenz der PKV ganz entscheidend für den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Gäbe es die PKV nicht, hätten wir heute schon einen sehr viel schlankeren Leistungskatalog in der GKV. Gäbe es die PKV nicht, müsste sich die GKV in nichts und niemals an den Leistungen eines Konkurrenten messen lassen.

Gäbe es die PKV nicht, hätten wir heute schon eine innovations- und wettbewerbsfreie Zone für die GKV, in der sie dann ihre Marktmacht gegenüber Patienten und Ärzten völlig ungeniert ausspielen könnte.

Das ist kein sozialer Fortschritt, das kann nicht unser Interesse sein. Unser Gesundheitswesen profitiert von einem sozial geregelten Wettbewerb zwischen den Systemen.

Lesen Sie dazu auch: Bahr redet Ärzten ins Gewissen Standpunkt zum Ärztetag: Bahr an der Seite der Ärzte

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