Arbeit

Stress sorgt für immer mehr Fehltage

Ständige Erreichbarkeit, Überstunden und Arbeitsverdichtung: Immer mehr Versicherte der TK werden wegen psychischer Erkrankungen krankgeschrieben. Das berichtet die Kasse in ihrem neuen Gesundheitsreport.

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BERLIN. Immer mehr Menschen in der Arbeitswelt leiden unter Stress. Ablesen lässt sich das unter anderem an der Zahl der Tage, die Arbeitnehmer wegen psychischer Erkrankungen krankgeschrieben sind.

Von den 3,9 Millionen bei der Techniker Krankenkasse versicherten Arbeitnehmern erhielten 2012 knapp 54.000 vor allem aus der Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigen die Diagnose "Depressive Episode". Dies führte zu 3,2 Millionen Fehltagen.

Die Verordnung von Antidepressive ist dem entsprechend angestiegen. Die Zahlen finden sich im "TK-Gesundheitsreport 2013", den Vertreter der Ersatzkasse am Dienstag in Berlin vorstellten.

Mehr als 300 Millionen Fehltage insgesamt

Die TK versichert rund zehn Prozent aller sozialvesicherungspflichtig Beschäftigten. Die Zahlen geben also Hinweise auf die Einbußen wegen Arbeitsausfällen aufgrund von psychischen und Verhaltensstörungen in der gesamten deutschen Wirtschaft.

"Jedem sechsten Fehltag in Deutschland liegt inzwischen eine psychische Diagnose zugrunde," sagte TK-Chef, Dr. Jens Baas, am Dienstag in Berlin. Insgesamt gab es 2011 in Deutschland mehr als 300 Millionen Fehltage.

Was die Arbeitsausfälle angeht, liegen unter den TK-Versicherten die psychischen Erkrankungen ausweislich des Reports nach den Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems an zweiter Stelle. Ihr relativer Zuwachs ist jedoch enorm.

Seit 2006 hätten sie um beinahe 76 Prozent zugelegt, während die meisten anderen Top-Diagnosen für Krankschreibungen kaum über dem Niveau des Referenzjahres lägen, berichtete Dr. Thomas Grobe vom ISEG Institut für Sozialmedizin Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung in Hannover.

Je höher der Bildungsstand, desto weniger Fehltage

Betroffen sind vor allem Menschen, die in Teilzeit oder befristet arbeiten. Der Bericht belegt, dass die Fehlzeiten, gleich aufgrund welcher Diagnose, abnehmen, je höher der Ausbildungsstand ist.

Angestellte Ärzte liegen mit durchschnittlich 7,4 Arbeitsunfähigkeitstagen am unteren Ende der Skala. Nur Hochschullehrer fehlen seltener (4,4 Tage).

Nicht spezialisierte Altenpfleger waren 2012 im Schnitt mehr als fünf Wochen krankgeschrieben. Busfahrer sogar noch etwas länger. Der Schaden für die deutsche Volkswirtschaft ist immens.

Die Länder haben errechnet, dass psychische Erkrankungen die Wirtschaft mehr als 40 Milliarden Euro im Jahr kosten. TK-Chef Dr. Jens Baas forderte die Unternehmer auf, stärker in Betriebliches Gesundheitsmanagement zu investieren. Ein Ausfalltag koste ein Unternehmen nach Angaben der Arbeitsagentur rund 500 Euro.

In der Regel fielen die von depressiven Episoden betroffenen Arbeitnehmer jeweils länger als die sechs Wochen aus, in denen der Unternehmer den Lohn weiter bezahlen müsse. Zudem stehe das Fachwissen des Mitarbeiters während der Krankheitsphase nicht zur Verfügung.

Opposition will "Anti-Stress-Verordnung"

Die Politik hat bereits reagiert. Im vergangenen Jahr forderte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen die Erreichbarkeit von Mitarbeitern per Handy oder E-Mail klar zu regeln. Der Opposition reicht das nicht aus. SPD, Grüne und Linke betreiben aktuell Initiativen, um in Deutschland eine "Anti-Stress-Verordnung" einzuführen.

Im Bundestag mahnten die Arbeitgeberverbände vor drei Wochen mehr Grundlagenforschung an. Es gebe zu wenig Erkenntnisse über Entstehung und Auswirkungen von Stress in den Betrieben.

Zeit für Erkenntnisgewinn hat es schon gegeben. Dem im Jahre 1996 in Kraft getretenen Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) liegt nach Ansicht von Fachleuten ein erweitertes Arbeitsschutzverständnis zugrunde.

Dies schließe den Schutz vor psychischen Belastungen am Arbeitsplatz mit ein.Seither sollen Arbeitgeber ihre Mitarbeiter eigentlich aktiv vor Über- und Unterforderung und Mobbing schützen.

Dass die Gesellschaft beginne, mit dem Thema offen umzugehen, sei gut und richtig, sagte der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW), Dr. Wolfgang Panter, der "Ärzte Zeitung".

Früher hätten Ärzte bei psychischen Störungen lieber somatische Erkrankungen diagnostiziert, um den Patienten nicht zu stigmatisieren.

"Erholungsphasen werden kürzer"

Derzeit gebe es in der Medizin eine Bewegung weg von der rein somatischen Prägung. "Das ist gut. Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht ins andere Extrem kommen", sagte Panter.

Nach wie vor träten psychische Erkrankungen vergleichsweise häufiger in der Gruppe der Nichterwerbstätigen auf. Richtig sei aber, dass der rasche technologische Wandel und die Globalisierung die Arbeitsbedingungen veränderten.

"Arbeit und Freizeit sind nicht mehr sauber voneinander getrennt, die Erholungsphasen werden kürzer," sagte Panter.

Der VDBW hat seit 2006 etwa 300 Betriebs- und Werksärzte in einer Fortbildung für die psychosomatische Grundversorgung qualifiziert. (af)

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