Drabinskis Billionenformel

Schöne neue Kassenwelt

Der Krankenversicherung droht eine Demografiekatastrophe, warnt der Kieler Gesundheitsökonom Thomas Drabinski. Um das Unheil noch abzuwenden, müssen Veränderungen her. Drabinski hat schon konkrete Ideen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Immer mehr Alte, immer weniger junge Menschen: Das lässt Deutschland in die Demografiefalle tappen, warnt ein Gesundheitsökonom.

Immer mehr Alte, immer weniger junge Menschen: Das lässt Deutschland in die Demografiefalle tappen, warnt ein Gesundheitsökonom.

© Oliver Berg/dpa

BERLIN. Thomas Drabinski schlägt Alarm. "Die Politik lässt die Gesellschaft gnadenlos in die Demografiefalle tappen", sagte der Leiter des Instituts für Mikrodatenanalyse in Kiel am Mittwoch in Berlin.

Dem will Drabinski sein Konzept einer Generationengerechtigkeit entgegensetzen. Für die gesetzliche Krankenversicherung schlägt er ein Kopfpauschalenmodell und den Aufbau eines Kapitalstocks, für die private Assekuranz unter anderem einen verbindlichen Mindestkriterientarif, die uneingeschränkte Mitnahme der Altersrückstellungen auch für Bestandskunden und eine drastische Senkung der Provisionen vor.

Love-Generation hat zu wenig Kinder gemacht

Ohne schnelle Reparaturen sowohl an den gesetzlichen als auch an der privaten Krankenversicherung drohe vor allem den geburtenstarken Jahrgängen der Jahre 1953 bis 1970 eine schlechtere medizinische Versorgung im Alter, sagte Drabinski bei der Vorstellung der Studie "GKV / PKV - Reformagenda: Reformierte Dualität".

Dabei handelt es sich um eine Kompilation von Reformempfehlungen des Gesundheitsökonoms, die Drabinski ohne Auftrag eines Drittmittelgebers zusammengefasst hat.

Die Ausgangslage ist nach Drabinskis Einschätzung dramatisch: Bis 2060 werde die gesetzliche Krankenversicherung mindestens 1,128 Billionen Euro zu wenig einnehmen, um das Leistungsniveau auf dem heutigen Stand zu halten.

Das Defizit könne jedoch bis zu 3,4 Billionen Euro betragen. Die Zahlen zieht Drabinski aus dem Vergleich mit der PKV, die je Vollversichertem eine Altersrückstellung von 16.199 Euro vorhalte.

Das Umlageverfahren werde bereits ab dem Jahr 2030 nicht mehr erfüllbar sein, da ab dann zu wenigen Beitragszahler zu viele Nichtbeitragszahler gegenüber stünden.

"Die zukünftigen Gesundheitsausgaben der geburtenstarken Jahrgänge sind nicht abgesichert", sagte Drabinski. Grund: Ausgerechnet die Love-Generation hat zu wenige Kinder gemacht.

PKV verhindert Bürgerversicherung

Die private Krankenversicherung spielt in Drabinskis Überlegungen eine herausragende Rolle. Sie sei notwendig, um einen einheitlichen Versicherungsmarkt, sprich eine Bürgerversicherung, zu verhindern.

Seiner Ansicht nach entwickele sich ein einheitlicher Versicherungsmarkt automatisch in Richtung einer Einheitskasse, die wiederum zwangsläufig für Einschnitte in den Leistungskatalog und die Schließung von Arztpraxen, Krankenhäusern und Apotheken sowie längere Wartezeiten stehe.

Laufe die Welle der geburtenstarken Jahrgänge in rund 50 Jahren aus, verliere die Bedeutung der PKV als Korrektiv aber wieder an Bedeutung.

Solange müsse die Gesundheitsinfrastruktur aber auf dem heutigen Niveau bleiben, um die die demografische Welle bildenden Menschen adäquat zu versorgen.

Konkrete Vorschläge

Konkret schlägt Drabinski folgende Änderungen vor:

Neues Finanzierungssystem GKV. Eine Kopfpauschale von 150 Euro im Monat je Erwachsenem; 50 Euro je Erwachsenem als Beitrag zu einem Kapitalstock; der Arbeitgeberbeitrag bleibt unverändert bei 7,3 Prozent; keine Wahltarife mehr; Krankengeld (derzeit 7,6 Prozent der GKV-Ausgaben) sollte zwischen der siebten und der 26. Woche privat abgesichert werden, danach aus Arbeitslosen- oder Rentenversicherung bezahlt werden; Einrichtung individueller Gesundheitskonten; Vereinfachung des Systems "Gesundheitsfonds".

Systemgrenze zwischen GKV und PKV. Absenken der Versicherungspflichtgrenze in der GKV auf 3000 Euro Familieneinkommen; Abschaffung der Wahltarife; gesetzliche Krankenkassen sollten wie die PKV-Unternehmen einen "Mindestkriterientarif" anbieten können; neue Rechtsformen und Kartellrecht für gesetzliche Krankenversicherer; gesetzliche Kassen sollen die Option haben, Privatversicherer zu werden.

Neues PKV-System. Individualisierung der Altersrückstellungen mit jährlichen Kontoauszügen, um unbestimmte Eigentumsbegriffe zu verhindern, die einen Zugriff des Gesetzgebers auf die Rücklagen erleichtern könnten; Möglichkeit, die Altersrückstellungen bei einem Unternehmenswechsel mitzunehmen; Absenken der Vermittlungsprovisionen von neun Monatsbeiträgen auf höchstens vier; "Mindestkriterientarif" mit verbindlichen Vertragsbedingungen und rund 50 Euro Alterungsrückstellung; Kontrahierungszwang; Begrenzung der Risikozuschläge auf höchstens 30 Prozent.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kommentar: Huch! Alle ganz schön alt hier

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