Kassen mit Überschüssen

BVA geißelt Wildwest

Zu viel Phantasie bei neuen Leistungen: Das BVA nimmt die Kassen mit fetten Finanzpolstern ins Visier - und verlangt mehr Prämien für die Versicherten.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Bundesversicherungsamt: Drängen auf mehr Prämien.

Bundesversicherungsamt: Drängen auf mehr Prämien.

© Papsch / imago

BONN. Kassen mit hohen Überschüssen, die neue Satzungsleistungen oder Boni einführen, sind beim Bundesversicherungsamt (BVA) unter verschärfter Beobachtung. Satzungsleistungen dienten "nicht dem Abbau überschüssigen Finanzvermögens".

Zudem greife auch hier das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, heißt es im BVA-Jahresbericht für 2012, den die Behörde am Dienstag vorgelegt hat.

Die schwarz-gelbe Koalition hat mit dem Versorgungsstrukturgesetz den Kassen mehr Freiheiten gegeben, zusätzliche Satzungsleistungen anzubieten. Von einer "eigenständigen Entscheidungshoheit" der Kassen in dieser Frage könne aber keine Rede sein, stellte das BVA klar.

Im vergangenen Jahr lehnte die Behörde vor allem Mehrleistungen zur künstlichen Befruchtung für nicht verheiratete Partner sowie Leistungen über Brillen und Kontaktlinsen für Volljährige ab.

Die Aufsicht werde weiter darauf drängen, dass Kassen mit hohen Überschüssen ihren Mitgliedern Prämien auszahlen, erklärte BVA-Präsident Dr. Maximilian Gaßner.

Viel Arbeit hat der Behörde die seit 2012 geltende Vorlagepflicht für Integrationsverträge (Paragraf 140 a) und Verträge zur besonderen ärztlichen Versorgung (Paragraf 73c SGB V) beschert. 516 Verträge haben die Kassen der Aufsicht angezeigt, in 17 Fällen beanstandete das BVA diese.

Regelungen zu Selektivverträgen überarbeitungsbedürftig

Im laufenden Jahr rechnet die Behörde bereits mit rund 1350 angezeigten Verträgen. Mal versuchten die Kassen nicht zugelassene Partner in den Vertrag einzubinden, ein anderes Mal gaben sie unzulässige Altersbeschränkungen für Versicherte vor oder wollten "Selbstbehalte" jenseits der gesetzlichen Vorgaben festlegen.

Viele dieser Mängel hätten "durch einen Blick ins Gesetz vermieden werden können", kommentierte BVA-Chef Gaßner.

Er bezeichnet unmissverständlich die gesetzlichen Regelungen für Selektivverträge als "überarbeitungsbedürftig". So sei beispielsweise die Prüffrist von zwei Monaten für diese Verträge "deutlich zu kurz".

Gaßner räumt "Wettbewerbsverwerfungen" ein, da das BVA und die Länderaufsichten die Verträge unterschiedlich bewerten würden. Dabei macht er klar, dass "Effizienzgesichtspunkte" für eine bundesweit einheitliche Kassenaufsicht sprächen.

Bei Hausarztverträgen meldet die Behörde für 2012 Entspannung, nachdem im Jahr zuvor etliche 73b-Verträge beanstandet worden waren. Dabei ging es um die Umsetzung der 2011 neu eingeführten Vorgabe, dass Hausarztverträge dem Grundsatz der Beitragsstabilität genügen müssen.

Seit Ende 2012 ermittelt die Behörde, inwieweit Hausarztverträge flächendeckend vorliegen. Grundlage ist ein entsprechender Passus im Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb von 2009. Ergebnis: Von Flächendeckung kann keine Rede sein.

Inakzeptable Diskriminierung

Der Streit um den Datenschutz in den Selektivverträgen und die Umsetzung der Refinanzierungsklausel für Hausarztverträge wirkten als Bremse. Den wild gewordenen Kassenwettbewerb wieder in Bahnen zu lenken, ist auch 2012 ein Job der Aufsicht gewesen.

Kassen, die vor allem einkommensstarke Mitglieder anwerben wollten, wirft Gaßner "vollkommen inakzeptables" Verhalten vor, da gegen das Diskriminierungsverbot und das Solidaritätsprinzip verstoßen werde.

Dazu hatten einzelne Kassen mit ihrem Vertrieb "Zielgruppenvereinbarungen" geschlossen: Für gesunde Versicherte zahlte die Kassen dem Vertriebsmitarbeiter eine Prämie, für kranke oder einkommensschwache Versicherte nicht.

Per Aufsichtsrecht hat die Behörde zudem Versuche einer Kasse unterbunden, bei der Mitarbeiter in Telefongesprächen versucht haben, insbesondere behinderte und chronisch kranke Versicherte zur Kündigung ihrer Mitgliedschaft zu bewegen.

Das BVA betont selber, dass es sich um "einen Einzelfall im System der GKV gehandelt hat".Einem obskuren Fall musste die Behörde nachgehen, bei dem eine Kasse mit einem Verein von "Abtreibungsgegnern" kooperierte.

Die Mitglieder erhielten eine Versichertenkarte mit dem Aufdruck "Gesetzlich krankenversicherte mit Verzicht auf Abtreibung". Das BVA machte den Verantwortlichen die Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität einer Körperschaft öffentlichen Rechts klar - und beendete den Spuk.

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