Depressionsatlas

Immer mehr Fehltage wegen Depressionen

Laut aktuellem Depressionsatlas der TK sind die Fehltage im Job wegen Depressionen 2014 erneut deutlich angestiegen. Mitarbeiter bestimmter Branchen sind besonders stark betroffen.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Immer mehr Fehltage im Job wegen Depressionen.

Immer mehr Fehltage im Job wegen Depressionen.

© Stockbyte / Stockbyte / Thinkstock

BERLIN. Die Zahl der Fehltage im Job aufgrund von Depressionen ist im vergangenen Jahr um 7,9 Prozent im Vergleich zu 2013 gestiegen. Zieht man die Fehltage des Jahres 2006 zum Vergleich heran, so beträgt die Zunahme sogar 84 Prozent.

Das geht aus dem Depressionsatlas der Techniker Krankenkasse hervor, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt worden ist. Dazu hat die Kasse Daten von 4,1 Millionen erwerbstätigen Versicherten ausgewertet.

Bei einer durchschnittlichen Fehlzeit eines Beschäftigten von insgesamt rund 15 Tagen im Jahr 2013 gingen zwei Tage auf das Konto aller psychischer Erkrankungen.

Durchschnittlich ein Fehltag wurde durch Depressionen verursacht, erläuterte der TK-Vorstandschef Dr. Jens Baas. Ausgewertet hat die Kasse dazu vorrangig die ICD 10-Schlüssel F32 (Depressive Episode) und F33 (Rezidivierende depressive Störungen).

64 Tage Erkrankungsdauer

Wer an Depressionen erkrankt, ist in der Regel ungewöhnlich lange krank geschrieben, erläuterte Dr. Thomas Grobe vom Göttinger AQUA-Institute, das die Auswertung vorgenommen hat.

Die durchschnittliche Erkrankungsdauer belaufe sich auf 64 Tage, über alle Diagnosen hinweg sind es dagegen 13 Tage. Zum Vergleich: Bei Bluthochdruck fehlt ein Beschäftigter im Schnitt 18,6 Tage, bei einer Bronchitis rund sieben Tage.

Je nach Beruf sind die Beschäftigten stark unterschiedlich von einer Depression betroffen. Von den zehn Gruppen mit den höchsten Erkrankungsraten gehören sieben dem Berufsbereich "Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung" an.

Besonders häufig vertreten: "Medizinische Gesundheitsberufe". Mit Abstand führen Mitarbeiter in Callcentern die Liste an, gefolgt von Altenpflegern, Erziehern, Krankenpflegern und Beschäftigten im Bewachungsgewerbe.

Vergleichsweise wenig anfällig sind Hochschullehrer, Software-Entwickler und Ärzte.

Je Erwerbsperson variieren die AU-Tage regional in Deutschland beträchtlich: Hamburg führt mit 1,4 Tagen die Liste an - dort akkumulieren sich die durch Depressionen verursachten Fehlzeiten auf 9,2 Prozent der gesamten AU-Tage.

Ebenfalls häufig fehlen Arbeitnehmer in Schleswig-Holstein und in Berlin (je 1,3 Tage). Vergleichsweise psychisch gesund sind laut den TK-Daten die Arbeitnehmer in Baden-Württemberg - dort verursachten Depressionen im Jahr 2013 lediglich 0,8 Fehltage.

Gesundes Vogtland, krankes Saarland?

Die TK hat die Zahlen bis auf die lokale Ebene ausgewertet. Danach liegt Merzig-Wadern im Saarland mit 1,7 Fehltagen pro Kopf an der Spitze, gefolgt unter anderem von Lübeck, Neumünster, Bad Segeberg oder Duisburg.

In Greiz im Vogtland registriert die Kasse nur 0,2 depressionsbedingte Fehltage, im oberfränkischen Kulmbach sind es 0,3 Tage. Insgesamt, so der AQUA-Forscher Grobe, haben sich die regionalen AU-Zeiten aber bundesweit in den vergangenen 15 Jahren zunehmend angenähert.

Dies gilt auch für die Verordnungen von Antidepressiva. Hier haben Ärzte die medikamentöse Therapie der depressiven Patienten in den vergangenen Jahren stetig intensiviert.

Die Zahl der verordneten Tagesdosen ist seit dem Jahr 2000 von 4,65 DDD pro Erwerbsperson auf 12,75 DDD (2013) gestiegen.

Sechs Prozent aller Beschäftigten (4,4 Prozent der Männer, aber 7,8 Prozent der Frauen) erhielten vor zwei Jahren mindestens eine Antidepressiva-Verordnung, im Jahr 2000 lag dieser Wert noch bei 4,1 Prozent.

Allerdings korrelieren unterdurchschnittliche depressionsbedingte Fehlzeiten nicht in jedem Fall auch mit den Verordnungsraten. So erhalten auch unter den vermeintlich psychisch gesunden Beschäftigten in Kulmbach 5,5 Prozent ein Antidepressivum verschrieben - obwohl die Fehlzeiten stark unterschiedlich sind.

Die Gründe für die regional unterschiedlichen Erkrankungs- und Verschreibungshäufigkeiten blieben bei der Kassenanalyse im Ungefähren. TK-Chef Baas bemängelte die Diagnosequalität im ambulanten Sektor und rügte, die Aussagekraft der insbesondere von Hausärzten erhobenen F-Diagnosen sei "begrenzt".

Psychotherapeuten fordern flexiblere Versorgung

Die Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung (DPtV), Barbara Lubisch, sprach sich angesichts steigender Erkrankungszahlen für flexiblere Versorgungsstrukturen in der Psychotherapie aus.

Sie verwies dazu auf die laufenden Verhandlungen im Gemeinsamen Bundesausschuss über die Psychotherapierichtlinie.

Der Ball liege auch bei den Krankenkassen, wenn es darum gehe, gemeinsam mit den Psychotherapeuten konstruktive Lösungen zu erarbeiten, sagte Lubisch.Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGGPN) sprach sich dafür aus, die Behandlung depressiv Erkrankter stärker an der Nationalen Leitlinie ‚Unipolare Depression‘ auszurichten.

DGPPN-Präsidentin Dr. Iris Hauth bezeichnet es angesichts der neuen Zahlen als den richtigen Weg im geplanten Versorgungsstärkungsgesetz, ein nationales Disease-Management-Programm (DMP) zu Depressionen aufzulegen.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Maria Klein-Schmeink nannte es angesichts der Zahlen im Depressionsatlas "in keinster Weise nachvollziehbar, dass die Bundesregierung mit dem Versorgungsstärkungsgesetz beabsichtigt, Psychotherapeutensitze ohne Sinn und Verstand abzubauen".

In Nordrhein-Westfalen warteten schon bisher Patienten mehr als 17 Wochen auf ein psychotherapeutisches Erstgespräch. Und dort drohe ein Abbau von über einem Drittel der Sitze, so Klein-Schmeink.

Die Bundesregierung, so ihr Vorwurf, bemühe sich nicht um eine Analyse der Fehl- und Unterversorgung, um den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ignorierte Seelenpein

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