Klinikreform

"Mega-Projekt" voller Widersprüche

Durchbruch oder Rohrkrepierer? Die Klinikreform offenbart bei genauerer Betrachtung Mängel, die manches Krankenhaus in die Bredouille bringen kann.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Wohin geht die Klinikreform?

Wohin geht die Klinikreform?

© Reimer - Pixelvario / fotolia.com

Berlin. Sie sollte eines der "Mega-Projekte" der großen Koalition werden. Jetzt deutet sich an, dass die Krankenhausreform höchstens als Beginn eines zähen Umstrukturierungsprozesses gelesen werden kann, keinesfalls aber den Durchbruch markiert, den die Koalition ursprünglich anvisiert hatte.

Die Koalition geht den zweiten Schritt vor dem ersten. Man möchte meinen, dass den Krankenhäusern zunächst bislang vorenthaltene Mittel hätten zufließen sollen, um sozusagen den Normalzustand besichtigen zu können - und daraus dann Reformschritte abzuleiten.

Stattdessen strebt das Reformprojekt an, den Sektor zu schrumpfen, also den kargeren Geldflüssen anzupassen. Rund ein Drittel der Krankenhäuser schreibt rote Zahlen. Insolvenzen drohen auch dort, wo Häuser für die Versorgung dringend erhalten bleiben müssen.

Es ist also folgerichtig, dass die Krankenhauslobby eine verkappte monistische Finanzierung über den geplanten Strukturfonds fordert. Ohne zumindest das den Krankenhäusern von der Norm her zustehende Geld wird die von der Politik geforderte Qualitätsausrichtung stecken bleiben.

Zumal ohnehin fraglich bleibt, ob sich über eine vermeintliche Qualitätsausrichtung Strukturfragen beantworten lassen, hinter denen als Ziel Kostendämpfung steht.

Mehr Geld für Qualität - und dann?

Das Projekt steckt voller Widersprüche. Und die beginnen beim Geld. 67 Milliarden Euro haben die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr dem stationären Sektor überwiesen. Das war eindeutig mehr, als sie unter normalen Umständen hätten bezahlen müssen.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Krankenhäuser sich die von den Ländern verweigerten Investitionszuschüsse - wenn nötig - über die DRG beschaffen, also aus den Betriebskosten schöpfen, für die die Kassen zuständig sind.

Zu besichtigen ist dieser Mangel auch am Zustand mancher Gebäude: "Technik Weltklasse, Bausubstanz Kreisklasse", beschrieb neulich ein Patient seinen Klinikaufenthalt.

3,3 Milliarden Euro sind die Länder im vergangenen Jahr für Investitionskosten schuldig geblieben, in den vergangenen fünf Jahren rund 15 Milliarden Euro. Die Krankenhausreform ändert daran nichts.

Sie wird gegen eine geltende Norm gestrickt und gefährdet damit ihre eigenen Qualitätsziele. Sie schreibt die Unterfinanzierung der Investionsseite sogar fest. Das schafft zwangsläufig schwer aufzulösende Knoten.

Nichtärztliches Personal als Verlierer?

Verlierer im System der Fallpauschalen scheint das nichtärztliche Personal zu sein. Tatsächlich liegt der Bestand des Pflegepersonals in den Krankenhäusern heute nach Berechnungen von Professor Michael Simon von der Hochschule Hannover um 35.000 Vollzeitkräfte unter dem Niveau von 1996.

Und schon in den 1990er Jahren galten die rund 260.000 Pflegekräfte als zu wenige. Damit kein Missverständnis entsteht. Entlassen haben die Krankenhäuser. Gleichzeitig haben sie ärztliches Personal aufgebaut.

Weil die Arbeit sowohl der Ärzte als auch der Pflegekräfte immer teurer wird, geht die Tarifschere immer weiter auf. 2,5 Milliarden Euro im Jahr fehlten ihnen, um Löhne und Gehälter zu bezahlen, sagen die Vertreter der Krankenhäuser.

Mit der Krankenhausreform will die Koalition gegensteuern. 6600 Pflegekräfte sollen zusätzlich auf die Stationen. Das ist erstens viel zu wenig und schafft zweitens perspektivisch weitere Belastungen.

Laut Michael Simon und weiterer Fachleute müssten 100.000 Vollzeitkräfte zusätzlich an die Betten der Patienten. Und wieder drohen die selbstgesteckten Qualitätsziele aus dem Blick zu geraten.

Abschläge für mindere Qualität

Mit unbestechlichen Indikatoren soll nachgewiesene Qualität eines Krankenhauses künftig Zuschläge bringen, mindere Qualität soll hingegen mit Abschlägen sanktioniert werden.

Das klingt nur auf den ersten Blick gut. Kritische Ergebnisqualität kann Gründe haben. Eine faire Adjustierung der Risiken, die gerade die Universitätskliniken bräuchten, um bei einer qualitätsorientierten Vergütung nicht ins Hintertreffen zu geraten, gibt es noch nicht.

In den Zentren der Spitzenmedizin landen aber zwangsläufig viele Menschen, die anderswo nicht mehr behandelt werden können.

Mit dem Risiko für diese Zentren, dafür abgestraft zu werden, dass sie die komplexesten medizinischen Probleme zu lösen versuchen.

Auch Klinikschließungen sind das Ziel

Krankenhäuser, die Skaleneffekte erzielen, sollen mit dem so genannten Fixkostendegressionsabschlag belegt werden. Fachleute beäugen dieses Instrument der Mengensteuerung skeptisch.

"Dann sind gute und schlechte Mengen in einem Topf", sagte der Krankenhausexperte Dr. Boris Augurzky bei der Anhörung am Montag im Bundestag.

Das bedeutet, auch Krankenhäuser, die sich auf den Weg machen, bei einer Indikation Exzellenz zu erreichen, geraten ins Visier der Mengenzähler. Auch hier könnten Fallstricke für die Qualitätsorientierung der Krankenhausreform liegen.

Politik und Krankenkassen hoffen auf Konsequenzen der Qualitätsausrichtung des stationären Sektors. Abteilungen sollen geschlossen werden, wenn möglich ganze Häuser dichtgemacht werden.

Das RWI hat rund 205 Krankenhäuser ausgemacht, die geschlossen werden könnten, ohne dass es zu Versorgungsengpässen komme. 700 Millionen Euro im Jahr ließen sich so einsparen.

Aber vielleicht muss das noch einmal neu gerechnet werden - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Zuwanderung, die Deutschland in diesem Jahr erlebt. Und die wohl nicht ein einmaliges Ereignis bleiben wird.

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