Kassen-Wettbewerb

So machen es die Nachbarn

In der GKV herrscht Preiswettbewerb um den letzten Cent, aber kaum Wettbewerb um gute Versorgung. Die Schweiz und die Niederlande haben smartere Lösungen gefunden.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

BERLIN. In den Vorstandsetagen vieler Krankenkassen steigt die Nervosität: Wie viele Versicherte werden angesichts gestiegener Zusatzbeiträge wechseln?

Die Bandbreite ist groß: Sie reicht von 0,0 bis 1,7 Prozent. Spätestens bei Beitragssatzunterschieden von mehr als 0,5 Punkten wächst die Wechseltendenz - vor allem bei den Jungen und Gesunden.

Preiswettbewerb in der GKV anno 2016: Die Grundlagen wurden vor 20 Jahren gelegt, mit der Einführung der freien Kassenwahl. Die im "Lahnstein-Kompromiss" von Union und SPD 1993 verabredete Gesundheitsreform legte den Grundstein dafür.

Zwei Dekaden später zieht eine Studie im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (Timo Blenk, Nora Knötig, Thomas Wüstrich: "Die Rolle des Wettbewerbs im Gesundheitswesen") ein kritisches Resümee.

Wettbewerb mit Vermeidung

Der Wettbewerb um Versicherte beschränkt sich angesichts des normierten Leistungskatalogs "in erster Linie auf die Vermeidung von Zusatzbeiträgen".

Das Diskriminierungsverbot wechselbereiter Versicherter wird nach wie vor durch subtile Methoden einzelner Kassen unterlaufen.

Die wettbewerblichen Handlungsspielräume der Kassen sind eng: Neben Satzungsleistungen und Wahltarifen können sie in begrenztem Rahmen Managed Care-Modelle anbieten - die hausarztzentrierte Versorgung wird ihnen vorgeschrieben.

Ein Qualitätswettbewerb in Deutschland findet, folgern die Autoren, "in nennenswertem Umfang derzeit noch nicht statt".

In einer Best-Practice-Analyse untersucht die FES-Studie die unterschiedlichen wettbewerblichen Ansätze in Deutschland, der Schweiz und in den Niederlanden. Beide Nachbarländer seien "bei der Umsetzung und Entfaltung wettbewerblicher Potenziale mutiger und entschlossener" als Deutschland.

Beide Länder haben (die Schweiz seit 1997, die Niederlande seit 2006) einen einheitlichen Versicherungsmarkt mit einer Basisversicherung geschaffen, "ohne dass dies zu sozialen Verwerfungen geführt hätte".

Streit um Bürgerversicherung

Um dem ewigen Streit über das Für und Wider der Bürgerversicherung den Wind aus den Segeln zu nehmen, betonen sie: Mit einem einheitlichen Versicherungsmarkt werde keine bestimmte Rechtsform der Akteure vorgegeben: "In der Schweiz konkurrieren private Krankenversicherungen in unterschiedlicher Rechtsform, in den Niederlanden häufig Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit oder privatrechtliche Stiftungen um die Gunst der Versicherten."

Und die Konsequenzen für Deutschland: Der Vergleich lege nahe, dass vor allem im Wettbewerb zwischen Kassen und Ärzten ein "erhebliches, qualitätsförderndes Potenzial zu heben ist, das in Form einer guten Versorgung positiv auf den Behandlungsmarkt (den Wettbewerb der Ärzte um die Patienten, d. Red.) ausstrahlt".

Übrigens haben die Niederländer bei der Planung ihrer Gesundheitsreform langen Atem bewiesen - 17 Jahre Vorlaufzeit.

Einflussreich war die Arbeit der Dekker-Kommission, die ihren Bericht bereits 1989 vorlegte. Übertragen auf deutsche Verhältnisse: 2033 könnte die große Reform starten.

Hier die Systeme im Vergleich:

Schweiz: Keine Macht den Kartellen!

Das kennzeichnet das Schweizer System: Guter Zugang zu Fachärzten, geringe Wartezeiten, hohes Versorgungsniveau und Gesundheitskosten, die einen ähnlichen Anteil am Bruttoinlandsprodukt wie in Deutschland haben (CH: 11,1, D: 11,0 Prozent).

Die Eidgenossen messen der "individuellen Verantwortung der Versicherten einen hohen Stellenwert" bei. Ein Basis-Krankenversicherungstarif ist für alle Schweizer obligatorisch.

Die Beitragshöhe variiert je nach Kanton und Kasse. Zusätzlich haben Versicherte viele Wahlmöglichkeiten, etwa bei der Eigenbeteiligung - 300 bis 2500 Franken pro Jahr.

Weiter drücken können die Versicherten die Kosten, indem sie sich in bestimmte Tarife einschreiben: Neben Hausarzttarifen werden etwa Health Maintenance-Modelle angeboten, bei denen sich der Versicherte verpflichtet immer das gewählte Gesundheitszentrum aufzusuchen. Listenmodelle sind weniger strikt -  dort kann der Versicherte Ärzte aus einer definierten Liste wählen.

Bei telemedizinischen Modellen besteht die Pflicht, zunächst per Telefon eine medizinische Auskunft einzuholen. Knapp zwei Drittel der Schweizer haben eine dieser Optionen gewählt.

Ärzte konkurrieren einerseits um Verträge mit Kassen, um die Zahl ihrer Versicherten aus Managed-Care-Modellen zu steigern. Andererseits stehen Gruppen von Krankenversicherungen im Wettbewerb, so dass das "Kartell" der Ärzte und Krankenversicherer "aufgebrochen" wurde, heißt es.

Der Wettbewerb sei dynamisch und stärke gesundheitsökonomische Innovationen. Ein Vorteil des eidgenössischen Modells sei es, dass mit Basistarif und Zusatzversicherungen die Voraussetzung für die Überwindung der Dualität von GKV und PKV geschaffen wurde, heißt es mit Blick auf Deutschland.

Denn es gebe "keine privilegierten Gruppen mehr, die sich dem verpflichtendenSolidar-ausgleich in der Grundversorgung entziehen können". (fst)

Niederlande: Mehr Wettbewerb und Solidarität!

Die Niederländer haben mit der Gesundheitsreform2006 das Nebeneinander von staatlichen und privaten Krankenversicherungsträgern abgeschafft. Seitdem existiert ein einheitliches Basis-Leistungspaket und eine einkommensunabhängige Finanzierung.

Dabei gilt die Fifty-Fifty-Regel: Die eine Hälfte des Beitragsaufkommens speist sich aus einer einheitlichen Kopfpauschale für jeden Bürger, Kinder sind - anders als in der Schweiz - beitragsfrei mitversichert.

Der andere Teil wird einkommensabhängig als prozentualer Satz vom Einkommen erhoben und vom Arbeitgeber getragen. Nimmt der Versicherte keine Leistungen in Anspruch, erhält er einen fixen Anteil zurückerstattet.

Mit Krankenversicherungspflicht, verbindlichem Leistungskatalog, freier Kassenwahl und Gestaltungsspielraum in Selektivverträgen haben die Niederländer den Rahmen für Wettbewerb abgesteckt.

Vier große Kassen beherrschen derzeit den Versicherungsmarkt - das Wettbewerbs- und Kartellrecht habe nur unzureichend gewirkt, konstatieren die Autoren. Angesichts des Ärztemangels sei deren Verhandlungsposition stark, ähnlich sehe es bei Krankenhäusern aus, so dass der Vertragswettbewerb bisher seine "erhofften ökonomischen Wirkungen noch nicht voll entfalten" konnte.

Versicherte können sich in verschiedene Managed-Care-Modelle einschreiben. Hausärzte haben als Lotsen im niederländischen System eine traditionell wichtige Rolle.

Andere Vertragsformen sehen für Versicherte eine feste Liste von Leistungsanbietern vor, die aufgesucht werden können. Bei Non-Contract-Care-Verträgen wird auf solche Einschränkungen verzichtet.

Mehr Wettbewerb und Markt haben den Solidarausgleich gestärkt, heißt es in der Studie. Dafür sorgt auch der Risikostrukturausgleich, der durch eine Überkompensation der Kosten für chronisch Kranke Anreize für eine bessere Versorgung setzt.

Verbessert hat sich seit der Reform auch die Transparenz für Versicherte. Für Überblick sorgen unabhängige Versicherungsportale. (fst)

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