Heilmittel

Kassen, KBV und Therapeuten im Clinch

Krankenkassen treten bei der Vergütung von Physio- und Ergotherapeuten auf die Bremse. Streit mit den Heilmittelerbringern ist programmiert.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Auf Konfrontationskurs beim HHVG.

Auf Konfrontationskurs beim HHVG.

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BERLIN. Das geplante Heil- und Hilfsmittelversorgungsstärkungs-Gesetz (HHVG) will die Vergütung in diesen Berufsgruppen erstmals seit vielen Jahren von der Bindung an die Entwicklung der Grundlohnsumme lösen. In den Jahren 2017 bis 2019 sollen Vertragsabschlüsse höher ausfallen können. Die Kassen sind dagegen.

Das geht aus den Stellungnahmen für die Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags hervor, die für Mittwoch angesetzt ist. Der Gesetzentwurf trifft auch in der Koalition nicht einhellig auf Begeisterung.

Kassen fürchten "Chaotisierung"

Der Ersatzkassenverband vdek bezeichnet die Aufhebung der Grundlohnsummebindung als "kontraproduktiv" und warnt vor einer "Chaotisierung" des Vertragsgeschäfts. Zudem wüchsen die Ausgaben für Heilmittel auch ohne diese Regelung bereits überproportional. Im ersten Quartal habe der Zuwachs bei plus 9,6 Prozent gelegen, erinnert der vdek.

Die Innungskassen beklagen eine "staatlich verordnete Missachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots" und fürchten, diese Regelung würde für alle Gesundheitsberufe "Tür und Tor" öffnen. Verwiesen wird auf das Versorgungsstärkungsgesetz von 2015.

Darin ist die Angleichung der bisher regional unterschiedlichen Heilmittelpreise vorgeschrieben. Dieser Prozess dauere bis 2021 – dann könne der Gesetzgeber die Vergütungsentwicklung erneut untersuchen, heißt es.

SHV: "Begrenzung ersatzlos entfällt"

Erwartungsgemäß konträr argumentiert der Spitzenverband der Heilmittelverbände. Dem SHV missfällt, dass das Lüften des Budgetdeckels auf drei Jahre begrenzt werden soll. Es sei "zwingend", dass diese "Begrenzung ersatzlos entfällt".

Denn diese Berufe verlören ohnehin schon an Attraktivität: Der Verband führt aus, in den vergangenen zehn Jahren sei die Zahl der Schüler der Physiotherapie um rund 17 Prozent gesunken, die der Ergotherapeuten-Schüler um fast 31 Prozent.

An anderer Stelle wollen Kassen und KBV die Heilmittelverbände bremsen. So drängen der SHV wie auch seine Einzelverbände darauf, die Blankoverordnung ohne Umweg über Modellprojekte in die Regelversorgung zu übernehmen

 Bei der Blankoverordnung entscheiden Physiotherapeuten & Co. auf Basis der ärztlichen Indikation eigenständig über Art, Dauer und Frequenz des Heilmittels. Das HHVG sieht vor, dass die Kassen gemeinsam mit den Heilmittel-Verbänden in allen Bundesländern auf drei Jahre befristete Modellvorhaben zur Blankoverordnung vereinbaren.

Krankenkassen argumentieren, die Regierung solle die Ergebnisse der noch laufenden Modellprojekte der IKK Berlin-Brandenburg und der Bundesinnungskrankenkasse Gesundheit (BIG) abwarten, bevor neue Vorhaben aufgelegt werden.

Zudem sei keine aussagekräftige Evaluation zu erwarten, da eine Vergleichsgruppe, die die bisherige Regelversorgung erhält, bei der Auswertung fehlt.

Ärzte wollen Gesamtverantwortung

Heilmittelverbände hingegen wollen noch einen Schritt weiter. Sie drängen die Regierung, ärztliche Leistungen durch den Direktzugang der Patienten etwa zu Physiotherapeuten zu substituieren.

Der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) verweist auf Studien beispielsweise aus Australien und argumentiert: "Der Direct Access sichert dort auch die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, wo die Arztpräsenz in der Fläche reduziert ist."

Für Patienten sieht der Verband einen "doppelten Vorteil": den schnelleren Beginn der Therapie und die Wahlfreiheit, ob sich Patienten erst an den Arzt oder den Therapeuten wenden.

Die KBV argumentiert umgekehrt: Vertragsärzte müssen zwingend in Modellvorhaben zur Blankoverordnung einbezogen werden: "Sie tragen die Gesamtverantwortung für die Therapie des Patienten und müssen daher – auch unter haftungsrechtlichen Aspekten – kontraindizierte Heilmittel ausschließen, eine Therapiekontrolle durchführen und eine Heilmitteltherapie beenden können."

Wenn Heilmittelerbringer eigenständig über Menge und Frequenz bei der Therapie entscheiden, hätten die Vertragsärzte keine Steuerungsmöglichkeit bei den Verordnungskosten mehr, warnt die KBV.

Die Koalition solle ausdrücklich im Gesetzestext, und nicht nur wie bisher in der Begründung, klarstellen, dass Heilmittel, die im Rahmen der Modellprojekte verordnet wurden, nicht in die Wirtschaftlichkeitsprüfung eingehen.

HHVG

definiert neue, an der Qualität orientierte Kriterien für Hilfsmittel-Ausschreibungen,

schreibt neue Regularien für die Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses vor,

erlaubt den Wegfall der Grundlohnsummebindung in den Jahren 2017 bis 2019 und

ermöglicht Modellvorhaben für die Blankoverordnung von Heilmitteln.

Das Gesetz soll Mitte Februar 2017 abschließend im Bundestag beraten werden und im März in Kraft treten.

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