Lösung gesucht

Selbstständige in der GKV-Schuldenfalle

Seit Jahren wächst die Zahl der Selbstständigen. Der Bundesrat sorgt sich, weil immer mehr Kleinunternehmer ihre Krankenversicherung nicht mehr zahlen können. Ihre Beitragsschulden in der GKV explodieren.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Frau mit eingegipstem Arm: Die Kosten der Krankenversicherung sind für einen Teil vor allem der Solo-Selbstständigen eine finanzielle Belastung.

Frau mit eingegipstem Arm: Die Kosten der Krankenversicherung sind für einen Teil vor allem der Solo-Selbstständigen eine finanzielle Belastung.

© Bodo Marks/dpa

BERLIN. Drei Bundesländer drängen die Bundesregierung, die Krankenversicherung für Solo-Selbstständige zu reformieren. Hintergrund ist die wirtschaftlich prekäre Lage eines Teils insbesondere der Solo-Selbstständigen. Fehlende eindeutige Daten vernebeln das Problem: Die Beitragsschulden der Selbstzahler in der GKV sind 2016 um 1,5 Milliarden Euro auf zuletzt sechs Milliarden Euro gestiegen. Zu dieser Gruppe gehören GKV-versicherte Selbstständige, aber eben auch Angestellte mit einem Gehalt der Jahresarbeitsentgeltgrenze (aktuell 57.600 Euro).

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Am Freitag entscheidet der Bundesrat, ob er sich den Antrag von Thüringen, Berlin und Brandenburg zu Eigen macht. Noch bis zur Bundestagswahl soll die Regierung einen Bericht zur Lage dieser Gruppe vorlegen, heißt es darin. Zudem fordern die Länder konkrete Vorschläge, wie diese Gruppe bei den GKV-Beiträgen entlastet werden kann. 71 Prozent der Selbstständigen, die in der GKV im Juni 2016 versichert waren, sind Solo-Selbstständige. In der Gruppe derer, die Jahreseinkünfte von weniger als 15.011 Euro haben, beträgt der Anteil der GKV-Versicherten sogar 82 Prozent. Diese Selbstständigen erzielen im Durchschnitt ein Jahreseinkommen von 9444 Euro – da schlagen Krankenversicherungsbeiträge von 3520 Euro im Schnitt ins Kontor.

Die explodierenden Beitragsschuldem, erklärte der GKV-Spitzenverband bereits im vergangenen Jahr, gingen unter anderem "auf die finanzielle Instabilität bei freiwillig versicherten Selbstständigen" zurück.

Der GKV-Mindestbeitrag für diese Gruppe belief sich im vergangenen Jahr auf 342 Euro pro Monat. Nur durch einen Härtefallantrag lässt sich der Obolus nochmals um rund ein Drittel auf 228 Euro drücken. Ursache dafür ist die Mindestbemessungsgrenze, die bei der Beitragsermittlung von Selbstständigen unterstellt wird (aktuell 2231,25 Euro). Eine Senkung dieser Grenze hätte "erhebliche Mindereinnahmen" in der GKV zur Folge, ihre Abschaffung stünde "im Widerspruch zum Solidarprinzip der GKV", erklärte die Regierung im September 2016 auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag. Diese besonderen Bemessungsgrenzen für Selbständige dienten der "Beitragsgerechtigkeit" – auf diese Weise werde der Vorteil ausgeglichen, dass die Beitragshöhe anhand des Nettoprinzips ermittelt wird – anders als bei abhängig Beschäftigten. Auch in der PKV sieht es für einen Teil der Solo-Selbstständigen finanziell düster aus.

Die am schlechtesten verdienende Gruppe muss sogar bis zu 58 Prozent ihres Einkommens aufwenden, um die PKV-Police bedienen zu können, hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) ermittelt. Während die Zahl der PKV-Versicherten im Basistarif mit rund 29.000 gering blieb, gehörten rund 116.000 Versicherte dem neu geschaffenen "Notlagentarif" an. Die Regierung gibt vor, diese Zahl nicht zu kennen, weiß aber zu berichten, dass die Versicherten im Schnitt 9,5 Monate in diesem Sondertarif verbleiben.

Das WIdO indes nennt die Beitragsregelungen in GKV und PKV für Selbstständige "nicht mehr angemessen". Die Entscheidung über den Krankenversicherungsschutz mit potenziell lebenslanger Bindungswirkung passe nicht mehr zu den wachsenden "Patchwork-Erwerbsbiographien", moniert das AOK-Institut.

Die Koalition aber will es bei geringfügigen Änderungen belassen. In einem Änderungsantrag, der an das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) angedockt werden soll, wird ein neues Verfahren der Beitragsbemessung für freiwillig versicherte Selbstständige in der GKV vorgeschlagen: Die Beitragspflicht soll künftig vorläufig nach dem jeweils letzten Einkommenssteuerbescheid festgesetzt werden. Die endgültige Bemessung erfolgt rückwirkend, wenn dass Finanzamt den Bescheid erlassen hat. Dann soll auch eine Erstattung möglich sein – doch an den Regeln der Mindestbemessung, die viele Solo-Selbstständige wirtschaftlich überfordern, will die Regierung nicht rütteln.

Selbstständige in GKV und PKV

  • Die Zahl der Selbstständigen in Deutschland ist zwischen 2002 und 2014 um rund 200.000 auf etwa 4,1 Millionen gestiegen. Der Anteil der Solo-Selbstständigen nahm im selben Zeitraum von 51 auf 57 Prozent zu.
  • Die gesetzlichen Vorgaben in Paragraf 240 SGB V unterstellen bei der Beitragsberechnung ein monatliches Mindesteinkommen der sogenannten Selbstzahler von 1487,50 Euro pro Monat.
  • 58 Prozent der Selbstständigen sind im Jahr 2012 in der GKV versichert gewesen, 42 Prozent in der PKV. Hier gilt die Regel: Je höher die Einkommensklasse, desto höher ist der Anteil der PKV-Versicherten. Doch auch in der Privatassekuranz nimmt der Zahl der "Niedriglöhner" zu. Zuletzt rund 116.000 sind dort im Notlagentarif versichert, der nur bei akuten Erkrankungen oder Schmerzuständen Leistungen vorsieht.

Quelle: WIdO

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