DAK-Chef im Interview

"Mehr Wettbewerb mit Innovationen"

Was gehört auf die Agenda nach der Bundestagswahl? Auf jeden Fall die Reform des Morbi-RSA und die Schaffung eines kasseneigenen Innovationsbudgets, sagt der neue Vorstandschef der DAK-Gesundheit, Andreas Storm, im Interview der "Ärzte Zeitung".

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Herr Storm, über zwei Jahrzehnte haben Sie als Politiker auf Bundes- und Landesebene mit Gesetzen die Rahmenbedingungen für Akteure im Gesundheitswesen mitgestaltet. Als Chef einer großen Versorgerkasse, der DAK-Gesundheit, stehen Sie nun in unmittelbarer Verantwortung für Patienten und Versicherte. Wie sehen Sie Ihre Handlungsspielräume?

Andreas Storm: Es ging mir immer darum, die Versorgung von Patienten und Versicherten zu verbessern und innovative Projekte zu ermöglichen. Als Politiker konnte ich in der Tat nur Rahmenbedingungen schaffen, als Chef einer Krankenkasse kann ich viel konkreter in die Umsetzung gehen. Das macht viel Freude.

Haben Sie dafür genug Spielraum?

Es wird ja argumentiert, dass 90 Prozent der Leistungen gesetzlich oder zentral vorgegeben sind. Aber die verbleibenden zehn Prozent lassen erheblichen Profilierungsspielraum.

Das müsste über den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Mitglieder des GKV-Spitzenverbandes hinausgehen, der da lautet: Wie halte ich den Zusatzbeitrag möglichst klein?

In der Tat! Wir haben als drittgrößte Krankenkasse einige Möglichkeiten, zumal wir als Ersatzkassen insgesamt auf einen Marktanteil von 38 Prozent kommen.

Die Bremserfunktion des GKV-Spitzenverbandes hat ja nicht verhindert, dass die DAK eine der Kassen mit dem höchsten Zusatzbeitrag ist.

Ich habe im ersten Jahr bei der DAK meinen Schwerpunkt auf die Reorganisation gelegt. Mein Ziel ist, dass wir unseren Abstand zum durchschnittlichen Zusatzbeitrag bis 2020 von derzeit 0,4 auf 0,2 Beitragspunkte halbieren. Dazu haben wir ein Umbauprogramm gestartet.

Betrifft das die innere Organisation? Also kein Sparen an Leistungen?

Nein, ganz im Gegenteil! Mit zwei Tarifverträgen habe ich erreicht, dass wir 15 Prozent der Stellen in den nächsten zwei Jahren sozialverträglich abbauen. Ferner ändern wir unsere Organisation in wichtigen Bereichen grundlegend und wollen im Service noch besser werden. Wir hatten 2015 noch rund 550 Geschäftsstellen, die wir auf bundesweit und flächendeckend 310 Servicezentren 2019 konzentrieren werden. Das Ergebnis dieser Anstrengungen lässt sich auch am Jahresüberschuss für 2016 sehen, der – vorläufig – bei über 200 Millionen Euro liegt.

Kommen wir zur Leistungsseite...

Wichtig ist uns ein hoher Qualitätsstandard in der medizinischen Versorgung. Zum Jahreswechsel haben wir außerdem unsere Leistungen erweitert, zum Beispiel durch Naturheilverfahren.

Und wie sieht es da mit der wissenschaftlichen Evidenz aus? Denn das wird ja oft angezweifelt.

Es ist richtig, dass wir Grenzbereiche haben, in denen wir die wissenschaftliche Evidenz nicht zum alleinigen Maßstab machen. Gleichwohl müssen die Angebote qualitativ vertretbar sein.

Ganz wichtig ist mir dabei auch die Innovationsfähigkeit, und das betrifft vor allem die Digitalisierung. Hier haben wir hochinteressante neue Projekte, mit denen wir die Versorgung verbessern wollen. Ich nenne einige Beispiele: die Blutzuckermessung mit einem auf dem Oberarm applizierten Sensor bei Diabetikern oder ein telemedizinisches Projekt zur Wundversorgung, bei dem der Hausarzt, der Pflegedienst oder der Patient selbst ein digitales Bild der Wunde an ein Facharztzentrum übermittelt, das die nächsten Behandlungsschritte an den Arzt oder den Pflegedienst rückkoppelt. Deshalb haben wir im Oktober einen Chief Digital Officer berufen, um deutlich zu machen, wie wichtig uns das Thema Digitalisierung ist.

Ein Beispiel ist unser IV-Vertrag "Veovita" für Patienten mit Depressionen, Angststörungen und Burnout. Er ermöglicht Betroffenen einen sofortigen Zugang zu einer Verhaltenstherapie. Neues Element des Versorgungsvertrags ist eine Virtual-Reality-Brille, die die Therapeuten begleitend zur Behandlung von Phobien wie beispielsweise Höhenangst einsetzen. Dazu läuft jetzt ein Pilotprojekt in Hamburg, mit dem wir feststellen wollen, ob das für die Breitenversorgung geeignet ist.

Die DAK ist eine Kasse mit vielen Projekten in der Integrationsversorgung. Was davon wird fortgeführt, was ist verzichtbar?

Das ist das Herzstück, was man als Einzelkasse machen kann, vor allem um Innovationen zu erproben. Wir sind an Projekten beteiligt, die aus dem Innovationsfonds des Bundesausschusses gefördert werden. Aber: Wir brauchen nach der Bundestagswahl neue Regeln: nicht mehr einen zentralen Innovationsfonds, über dessen Verwendung der GBA entscheidet, sondern einen Mechanismus mit Anreizen für Kassen, Innovationen zu erproben. Dafür brauchen wir dauerhaft eine Kofinanzierung mit regelhafter Evaluierung und Prüfung, ob ein Modell in die Regelversorgung übertragen werden kann.

Also ein kassenindividuelles Innovationsbudget?

Ja, denn nur so bekommen wir einen Wettbewerb der Krankenkassen mit Innovationen. Und zwar dauerhaft.

Eine Option zur Versorgungsgestaltung sind Hausarztverträge. Da scheint sich die DAK ziemlich zurückzuhalten.

Nein, das stimmt nicht, in 14 von 17 Regionen sind wir dabei, meistens im Rahmen des vdek. Zum Jahresbeginn 2017 haben wir 335.000 Versicherte eingeschrieben, das sind sechs bis sieben Prozent unserer Mitglieder. Mein Eindruck ist, dass wir auch deshalb nur schwer weiterkommen, weil es keine Anreize für Versicherte gibt, zum Beispiel Zuzahlungsbefreiungen. Ein weiteres Problem ist die Honorarbereinigung bei Selektivverträgen.

Wie wichtig ist Ihnen, dass Ärzte ein bestimmtes, gutes Image von einer Krankenkasse haben?

Ärzte sind unsere Partner, und wir möchten, dass Ärzte uns auch so verstehen. Wir müssen von unseren Versicherten als verlässlich angesehen werden, was nur mit den Ärzten gemeinsam geht.

Hier gibt es aber auch Störfaktoren, beispielsweise lästige bürokratische Anfragen von Kassen bei Ärzten.

Auch wir wollen so wenig Bürokratie wie möglich. Aber das ist nicht so einfach, denn viel ist uns vom Gesetzgeber vorgegeben. Da bräuchten wir die Freiheit, etwa auf einige Dokumentationen zu verzichten. Allen Seiten wäre geholfen, wenn wir auf Papier und den Versand per Post verzichten könnten und digitale Verfahren nutzen würden. Dann wäre die Dokumentation häufig deutlich weniger aufwändig.

Nach wie vor ungelöst ist das Problem tatsächlicher oder gefühlter Bedrohung durch Arzneimittelregresse. Auch, weil der GKV-Spitzenverband – anders als Ärzte und Hersteller – nicht der Meinung ist, dass ein Erstattungsbetrag automatisch in der gesamten Indikation wirtschaftlich ist. Wie ist die Position der DAK?

Unsere Haltung unterscheidet sich in dieser Frage nicht vom GKV-Spitzenverband. Mir ist aber auch wichtig, dass wir zu einer Vorgehensweise kommen, die dem Arzt einen Handlungsspielraum lässt, im individuellen Fall unter Beachtung von Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Wir unterstellen nicht, dass der Arzt mit einer Therapieentscheidung im Einzelfall, die von den Ergebnissen der Nutzenbewertung abweicht, die Solidargemeinschaft schädigt. Wir gehen aber auch davon aus, dass der größte Patientennutzen dort entsteht, wo ein hoher Zusatznutzen festgestellt wurde. Um dem Arzt bei seiner Entscheidung mehr Orientierung bei der Verordnung zu geben, gibt es ja im Rahmen des Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes (AMVSG) die Initiative, via Arztsoftware die Ärzte über GBA-Entscheidungen zu informieren. Ziel ist es, so die wirtschaftlichste Verordnung mit dem größten Patientennutzen zu ermöglichen.

Unvermeidlich bei einem Interview mit einem Kassenmanager ist derzeit die Frage nach der Reform des Morbi-RSA...

Es gibt, und darauf weist auch Professor Wasem als RSA-Experte hin, enorme Webfehler. Wir brauchen dringend eine Regionalkomponente, die möglichst differenziert Unterschiede in der jeweiligen Morbidität als auch im Kostenniveau in den Regionen abbildet. Das letzte würde man mit einer Versorgungsstrukturkomponente zutreffend beschreiben.

Was spricht dagegen, dass Versicherte, die ein sehr dichtes Leistungsangebot inklusive Hochschulmedizin vor der Haustür haben, mehr bezahlen als Landbewohner?

Uns geht es darum, dass wir gleiche Bedingungen haben wollen für Kassen, die bundesweit tätig sind und Regionen mit dichter und High-Tech-Versorgung finanzieren, und Kassen, die nur für eine bestimmte Region geöffnet sind und dadurch einen strukturellen Kostenvorteil haben – unabhängig von ihrer eigenen Effizienz. Ein weiteres Thema ist die Schaffung eines Hochrisiko-Pools, und da zeichnet sich wohl eine Lösung ab.

Entscheidend ist, dass nach Abschluss der Diagnosephase mit dem am 30. September vorliegenden Gutachten zur RSA-Reform dies auch zumindest in Form von Überschriften in eine Koalitionsvereinbarung aufgenommen wird, mit dem Ziel zum 1. Januar 2019 in einen reformierten Morbi-RSA zu starten.

Eine andere Baustelle ist die wohl unterschiedliche Praxis der Kassenaufsicht. Aus Ihrer Erfahrung als ehemaliger Landesgesundheitsminister: Werden AOKen anders behandelt als etwa Ersatzkassen?

Das duale System der Aufsicht hat ja historische Gründe. Als wir noch 1200 Kassen hatten, war es sinnvoll, eine Landesaufsicht zu haben. Heute haben wir noch 113 Kassen, wovon die allerwenigsten auf ein Land beschränkt sind. Und wir haben Länder, die keine oder nur noch ganz wenige Kassen beaufsichtigen und die dementsprechend auch nur geringe Prüfkapazitäten – bei gestiegener Komplexität haben. Andererseits gibt es ein Themenfeld, bei dem die aufsichtsrechtliche Expertise in jedem Fall auf der Landesebene angesiedelt ist: im Vertragsgeschehen. Daraus muss nach meiner Auffassung ein neues Prinzip der Arbeitsteilung folgen: Alles, was mit Einnahmen und RSA zu tun hat – auch die Digitalisierung –, sollte auf Bundesebene angesiedelt sein, und die Aufsicht über das Vertragsgeschäft auf der Länderebene. Die Länder bekämen damit eine Aufsichtsfunktion, die für die Versorgung in der Region relevant ist. Das führt zu einer Win-Win-Situation.

Andreas Storm

- Aktuelle Position: Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, verantwortlich für Personal, Finanzmanagement, Controlling.

- Ausbildung: Studium der Volkswirtschaftslehre in Frankfurt, Diplom-Volkswirt (1988), wissenschaftlicher Assistent.

- Karriere: Eintritt in die CDU (1983), kommunalpolitisches Engagement, Referent im Bundeswirtschaftsministerium (1990), Abgeordneter des Bundestages (1994 bis 2009), sozialpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbildungsministerium (2005 bis 2009), beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2009 bis 2011), ab 2011 Chef der saarländischen Staatskanzlei und Gesundheitsminister des Saarlandes (bis 2014), Mitglied des Vorstandes der DAK-Gesundheit (seit 2016).

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