Raus aus dem Trauma - zurück ins Leben

Therapiemöglichkeiten für suchtkranke Frauen, die eine Straftat begangen haben, gibt es nur wenige. Im hessischen Hadamar werden in einer Station bis zu 18 Frauen betreut.

Von Sabine Schiner Veröffentlicht:
Die leitende Abteilungsärztin Dr. Margarethe Philipp und Ralf Wolf, Ärztlicher Direktor der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie in Hadamar.

Die leitende Abteilungsärztin Dr. Margarethe Philipp und Ralf Wolf, Ärztlicher Direktor der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie in Hadamar.

© ine

HADAMAR. An der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie im hessischen Hadamar gibt es eine eigene Station mit 18 Betten für suchtkranke und straffällige Frauen. Das Therapiekonzept für den Maßregelvollzug ist erfolgreich - bundesweit durchgesetzt hat es sich nicht: Bislang gibt es nur in Taufkirchen in Bayern und in Leipzig ähnliche Einrichtungen.

Hadamar ist ein kleines Städtchen hinter Limburg. Eine Gedenkstätte auf dem Gelände der Vitos Klinik erinnert an die Opfer der NS-Euthanasie-Verbrechen. Von 1941 bis 1945 sind in der ehemaligen Landesheilanstalt 15 000 Menschen ermordet worden, weil sie eine Behinderung hatten, psychisch krank waren oder als sozial unangepasst galten.

Ein paar Gebäude weiter ist die forensische Psychiatrie. Hinter Stacheldraht leben dort 145 Männer und 16 Frauen. Bei ihnen handelt es sich um suchtkranke Straftäter, bei denen eine Wiederholungsgefahr besteht und die Aussicht, sie durch die Behandlung zu heilen oder vor einem Rückfall zu bewahren.

Die Frauenstation gibt es seit 2002. "Frauen sind anders als Männer", sagt die leitende Abteilungsärztin Dr. Margarethe Philipp. Sie litten häufiger an psychischen Begleiterkrankungen und seien weniger gewalttätig. "Wir beobachten, dass sie Aggressionen nicht nach außen richten, sondern eher gegen sich selbst", so die Ärztin. Auf der gemischt-geschlechtlichen Station - in der Regel kamen dort auf 30 Männer ein bis zwei Frauen - hat sie beobachtet, dass überproportional viele Frauen die Therapie erfolglos abbrachen und in die Justizvollzugsanstalt zurückverlegt wurden.

Viele lernen erstmals, wie Beziehungen funktionieren

18 Plätze für suchtkranke Frauen: die Vitos Klinik in Hadamar.

18 Plätze für suchtkranke Frauen: die Vitos Klinik in Hadamar.

© ine

Für viele der suchtkranken Frauen sind Männer eine Bedrohung, vor der man sich schützen muss. Auf den gemischten Stationen hätten sich viele einen Beschützer gesucht - meist gerieten sie an Männer, die bereits wegen Delikten gegen Frauen verurteilt waren. "Für diese Männer haben Frauen zu spuren, notfalls auch mit Gewalt", erklärt die Psychiaterin. Paar-Behandlungen hätten zwar die Gewaltausbrüche verringert, nicht aber Therapieabbrüche.

Die getrennte Unterbringung erleichtert die Arbeit der Therapeuten. "Unter Suchtkranken ist ohnehin keine Partnerschaft auf Augenhöhe möglich", sagt Margarethe Philipp "Auch Turbulenzen können leichter vermieden werden", sagt Ralf Wolf, Ärztlicher Direktor der Vitos Klinik. Auf der Frauenstation hätten die Patientinnen die Möglichkeit zu lernen, wie Beziehungen funktionieren. Viele der Straftäterinnen haben darin keine Übung: Sie wurden als Kind vernachlässigt und rutschten im Alter von zehn bis 14 Jahren in die Drogenszene ab. "Viele hatten einen doppelt so alten Partner, der sie zum Drogenkonsum verführt hat", sagt die Psychiaterin. Die Mädchen übernähmen dann schnell die Aufgabe, sich um ihn zu kümmern - emotional und materiell. "Sie schlafen mit Männern für eine Mahlzeit, einen Schlafplatz oder für Drogen." Viele landeten auf dem Straßenstrich. "Wenn sie zu uns auf die Station kommen, sind sie schwer traumatisiert."

Dies zeigen auch folgende Zahlen: 88 Prozent der Frauen, die in Hadamar leben, haben früh ihnen wichtige Menschen verloren und häufig wechselnde Bezugspersonen erlebt. 94 Prozent wurden als Kind vernachlässigt. Alle haben in ihrem Leben körperliche, seelische oder sexuelle Gewalt erfahren. Bei 88 Prozent liegen Persönlichkeitsstörungen vor, von ihnen leiden 54 Prozent unter einer Abhängigkeitsstörung, 38 Prozent haben eine Essstörung. 92 Prozent leiden unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

In die Therapie werden auch die Kinder einbezogen

Auf der Station kümmern sich, in Voll- und Teilzeit, 22 Pflegekräfte, eine Psychologin, eine Ärztin und zwei Sozialarbeiterinnen um die Frauen. Ein Schwerpunkt ist die Traumatherapie. Angeboten werden auch Kunst-, Sport-, Ergo- und Arbeitstherapien. Die Station ist ein Schutzraum für die Frauen - "Weltfremd sind wir nicht", sagt Margarethe Philipp. In Co-Therapien seien auch Männer dabei. Wichtig sei auch das Einbeziehen der Kinder. Sobald die Frauen Fortschritte machten, werde ihnen klar, dass ihre Kinder in Gefahr sind, ein ähnliches Schicksal zu durchleiden. "Wir arbeiten deshalb eng mit den Jugendämtern zusammen." Nach ihrer Entlassung werden die Frauen rund zwei Jahre von Mitarbeiterin der Ambulanz betreut. Die resozialisierenden Maßnahmen werden gut angenommen: Viele absolvierten Schulabschlüsse oder einen Lehrgang für Büroberufe.

Ein Gericht kann für straffällig gewordene Personen die Unterbringung und Behandlung in einer forensischen Einrichtung anordnen, wenn eine Straftat im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung (§ 63 StGB) oder Sucht (§ 64 StGB) steht. Dort unterziehen sie sich einer Therapie mit dem Ziel der Heilung und Besserung oder um die der Sucht zugrunde liegende Störung zu beheben. Die Einrichtungen des Maßregelvollzugs unterstehen dem Landeswohlfahrtsverband Hessen. Derzeit gibt in dem Bundesland 677 Plätze im Maßregelvollzug. Die Kapazität soll auf 960 Plätze aufgestockt werden.

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