Marburger Bund

Medizinethikerin trifft auf praktizierende Ärzte

Medizinethiker und Praktiker: Zwei Seiten einer Medaille? Beide tauschten sich am Samstag in Hamburg aus. Einig waren sie sich beispielsweise darin, dass Ärzte sich mehr Zeit für einen Patienten nehmen. Doch wer bezahlt das?

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:
Prof. Christiane Woopen ist gegen eine zu starke Ökonomisierung in den deutschen Krankenhäusern.

Prof. Christiane Woopen ist gegen eine zu starke Ökonomisierung in den deutschen Krankenhäusern.

© Malte Ossowski / Sven Simon / picture alliance / dpa

HAMBURG. Wenn der Ethikrat auf praktizierende Ärzte trifft. So hätte der Titel einer Diskussion bei der Hauptversammlung des Marburger Bundes am Samstag in Hamburg lauten können. In Anlehnung an Frank Plasbergs Sendung "Hart aber Fair - Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft". Aber das wäre zu verkürzt.

Denn zwischen den Delegierten und der Medizinethikerin Professor Christiane Woopen, bis vor wenigen Tagen Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, stimmte die Chemie. Beide Seiten waren offen, bereit zuzuhören und wohl auch voneinander zu lernen.

Woopen: Keine Polarisierung zwischen "gutem Arzt" und "bösem Ökonom"

Woopen stellte von vornherein klar, dass sie eine Polarisierung zwischen dem guten Arzt auf der einen Seite und dem bösen Ökonomen auf der anderen Seite ablehnt. Die Haushaltskunst befasse sich mit der Verwendung des Besitzes, den man erstmal haben muss.

Verantwortungsvoller Umfang mit knappen Ressourcen sei etwas dringend Notwendiges und alles andere als verwerflich, so Woopen. Nur sei es in deutschen Kliniken mittlerweile so, dass die ökonomischen Rahmenbedingungen eine gute Kommunikation mit Patienten verhinderten.

Deshalb fordert der Deutsche Ethikrat, dass Gespräche mit den Patienten besser bei der Kalkulation der Fallpauschalen berücksichtigt werden (wir berichteten). Für Kinderkliniken und geriatrische Einrichtungen regt der Ethikrat Sonderregelungen bei der Vergütung an. Seit 1991 sei jede fünfte Kinderstation geschlossen worden, eine wohnortnahe Versorgung sei kaum noch gewährleistet.

Skeptisch verfolgt Woopen die Diskussion zur Verbesserung der Klinikqualität. "Bei der Qualitätsdiskussion darf nicht nur die Ergebnisqualität im Vordergrund stehen", sagte sie. Ärztliches Handeln kann kein Ergebnis garantieren, nur intendieren. Wenn nur die Ergebnisqualität zähle werde belohnt, "wer falsche Indikationen richtig behandle".

In der Diskussion nach Woopens Vortrag wurde schnell deutlich, dass die Ärzte gerne der Forderung des Ethikrates nach mehr Kommunikation mit ihren Patienten nachkommen würden. Die Frage ist nur: Wie sollen sie es schaffen? "Wir stecken in einem ethischen Dilemma. Wir haben alle hohe Ansprüche, aber keine Zeit mehr, diese zu erfüllen", sagte der schleswig-holsteinische MB-Vorsitzende Dr. Henrik Herrmann.

Praktizierende Ärzte: Zu wenig Zeit für Patienten

"Uns allen fehlt die Zeit", beklagte auch der Vorsitzende des Landesverbandes NRW/Rheinland-Pfalz Dr. Hans-Albert Gehle. "Woher kriege ich mehr Zeit? Nehme ich sie mir für einen Patienten und spare sie beim Anderen ein, zulasten der Qualität?", fragte er. Wenn es für alles Spezialanforderungen brauche, müsse man sich fragen, ob die Fallpauschalen das richtige System seien. Die DRGs dürften nicht weiter alleinige Abrechnungsgrundlage, fordert der MB. Das System setze zu viele Fehlanreize. Fallzahlsteigerungen seien die Folge.

Die Herausforderung bestehe darin, ein System mit möglichst wenig Fehlanreizen zu finden, das zudem die Verantwortung des Einzelnen für sein Handeln stärker gewichte, schlug Woopen vor. Doch letztlich berge jedes System, das Anreize setze, auch die Gefahr zu Fehlentwicklungen.

Wenn es um das Thema Verteilungsgerechtigkeit gehe, empfahl Woopen, sich einmal die finanzielle Verteilung zwischen den einzelnen Facharztgruppen anzuschauen. Da könnte die Ärzteschaft selber noch etwas tun. Woopen: "Es kann nicht sein, dass jeder nur für seine eigenen Interessen unterwegs ist."

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