Pädiatrie

Kindermedizin in der Krise

Freiburger Medizinethiker Professor Giovanni de Maio sieht das "Geschäftsmodell Gesundheit" inzwischen auch in der Kinder- und Jugendmedizin angekommen.

Raimund SchmidVon Raimund Schmid Veröffentlicht:
Abklatschen: die kleine Patientin freut sich. Doch die Versorgung bei den Kinderärzten verändert sich, Bürokratisierung schreitet voran.

Abklatschen: die kleine Patientin freut sich. Doch die Versorgung bei den Kinderärzten verändert sich, Bürokratisierung schreitet voran.

© gpointstudie / fotolia.com

HAMBURG. Das Fach der Kinder- und Jugendmedizin wird zunehmend seiner Identität beraubt. Die Pädiater müssen heute in immer kürzerer Zeit immer mehr Patienten durchschleusen und werden zunehmend normiert und überreguliert.

Auf dieses "verhängnisvolle Dilemma" hat der Freiburger Medizinethiker Professor Giovanni de Maio vor kurzem bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in Hamburg hingewiesen.

Das "Geschäftsmodell Gesundheit" – so der Titel seines Vortrags – habe nun auch in der Kinder- und Jugendmedizin Fuß gefasst, sodass der Kern des Fachs zur Disposition stehe.

So sei der Kontakt zu den Kindern und Eltern die "zentrale medizinische Investition." Falls dafür aber zu viel Zeit investiert werde, sinke der Produktionsaufwand in einer industrialisierten Medizin. Zeit, so de Maio, werde dann als "Verschwendung" angesehen.

Der ganzheitliche Blick für das Kind, der auch soziale und pädagogische Elemente beinhalten müsse, gehe so verloren. Das sei gerade für junge Patienten und deren Ärzte tragisch, da es in der Pädiatrie "immer um alles geht."

Das lineare Handeln und die strenge Regelbefolgung führen zudem dazu, dass die Patienten in Schemata gepresst und damit normiert würden. Das führe aber zu einer "Sinnesleere und einer Demotivierung, weil die Heilberufe für einen solchen Umgang mit den Patienten nicht angetreten sind."

Die Pädiatrie zeichne sich dagegen gerade durch ihre "nicht vollkommene Planbarkeit ihres Tuns" aus. Die "situative Kreativität", die aus der Aufmerksamkeit, dem Zuhören und der Neugierde erwachse, bleibe auf der Strecke.

Zudem kritisierte de Maio auch die Überformalisierung, mit der die Heilberufe geradezu "umerzogen" werden sollten: "Alles, was dokumentiert werden kann, zieht die gesamte Aufmerksamkeit auf sich, der Rest wird als unwissenschaftlich abqualifiziert."

Damit würden alle Bestrebungen von Seiten der Pädiater, das Kind und seine Eltern mitzunehmen und mit Fingerspitzengefühl zu behandeln, konterkariert. De Maio forderte abschließend zu einem Umdenken auf.

In den Fokus müssten verstärkt "beziehungsstabilisierende Werte" rücken, die wieder eine "tiefe Wertschätzung" für das Kind mit "mehr individueller Beziehungsqualität" ermöglichten, ohne permanent in Zeitdruck zu geraten.

"Ohne besondere Fürsorge geht in der Pädiatrie gar nichts", bekräftigte Professor Egbert Herting aus Lübeck. Besonders gelte das für die Begleitung von elterlichen Entscheidungsprozessen in der Kinderintensiv- und in der Palliativmedizin.

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