EU-Kommission will Zahl der Organspenden langfristig deutlich erhöhen

Anja ist seit ihrem zwölften Lebensjahr dialysepflichtig. Seit kurzem aber kann die 34-jährige Dänin wieder ein weitgehend normales Leben führen - dank einer Nierentransplantation.

Von Petra Spielberg Veröffentlicht:

Anja, deren Schicksal der dänisch-moldawische Dokumentarfilm "Kidney on Ice" zeigt, hat Glück gehabt. Für sie konnte nach langer Zeit des Leidens ein passender Spender gefunden werden. Für viele der 56 000 Europäer, die derzeit auf einer Warteliste für eine Organstransplantation stehen, sieht es nicht so gut aus. Täglich sterben rund zwölf Menschen, während sie auf ein Spenderorgan warten. Denn Spender sind knapp in Europa. Auf eine Million Einwohner kommen in der Europäischen Union (EU) im Schnitt nur 16 Spender.

Die niedrige Spendenbereitschaft in einigen Ländern Europas hat nun auch die Europäische Kommission auf den Plan gerufen. Am Montag präsentierte EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou ein Maßnahmenbündel, das dazu beitragen soll, die Zahl der Organspenden - einschließlich Lebendspenden - in Europa zu erhöhen und einheitliche Standards für die Qualität und Sicherheit von Organtransplantationen zu schaffen.

Der Kommission kommt es dabei vor allem darauf an, den Austausch der EU-Länder über bewährte Praktiken in der Transplantationsmedizin zu fördern, das Bewusstsein der Ärzte und der Öffentlichkeit für die Bedeutung von Organspenden zu fördern und das Risiko der Übertragung von Krankheiten durch Organtransplantationen zu senken.

"Mit den Maßnahmen wollen wir Leben retten und das Vertrauen der EU-Bevölkerung in die Transplantationsmedizin stärken", sagte Vassiliou bei der Vorstellung ihrer Pläne.

Die Initiative umfasst eine Richtlinie sowie einen Zehn-Punkte-Plan. Ziel der Richtlinie ist es, Mindeststandards für die Entnahme und den Transport von Organen sowie deren Rückverfolgbarkeit zu definieren. Ferner sollen die Mitgliedstaaten Qualitätssicherungsprogramme sowie Berichtssysteme für Komplikationen durch Transplantationen einführen. Einzelstaatliche Behörden sollen die Definition und Kontrolle der Qualität und Sicherheit von Transplantationseinrichtungen übernehmen. Einheitliche Beschreibungen von Organmerkmalen sollen die Zuordnung zu einem geeigneten Empfänger sowie den Austausch von Organen über Ländergrenzen hinweg erleichtern.

Ein grenzüberschreitender Austausch von Organen findet bislang fast ausschließlich im Rahmen von bi- oder multilateralen Abkommen statt. So würden etwa ein Viertel der über Eurotransplant vermittelten Organe grenzüberschreitend zwischen den Mitgliedsländern ausgetauscht, berichtet die Kommission.

Die Quote zu erhöhen, ist aus Sicht von Transplantationsexperten jedoch wenig sinnvoll, "da ein Austausch über Ländergrenzen hinweg in der Regel mit unvertretbar langen Ischämiezeiten verbunden ist", so der Nierenspezialist von der TU München und Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft, Uwe Heemann. Die EU-Kommissarin hofft dennoch, dass insbesondere Patienten aus EU-Staaten ohne hoch entwickelte Transplantationssysteme sowie Empfänger mit seltenen Gewebemerkmalen, Kinder oder Patienten mit hoher Dringlichkeitsstufe von einer verstärkten Zusammenarbeit der Länder profitieren können.

Austausch zwischen den Ländern soll besser werden.

Zu einer erhöhten Verfügbarkeit von Organen beitragen soll auch der von Vassiliou vorgelegte Zehn-Punkte-Plan, der innerhalb der nächsten sechs Jahre greifen soll. An erster Stelle steht hier die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, in sämtlichen klinischen Einrichtungen, in denen eine Organspende vorgenommen werden könnte, Transplantationskoordinatoren zu beschäftigen. Diesen Vorschlag hält der Arzt und CDU-Europaabgeordnete Peter Liese für äußerst sinnvoll: "Transplantationskoordinatoren spielen, wie das Beispiel Spanien zeigt, eine ganz entscheidende Rolle, um die Spendenbereitschaft zu erhöhen." Und tatsächlich: Seit in Spanien flächendeckend entsprechend ausgebildete Fachkräfte eingestellt wurden, stieg die Zahl der Spender auf 35 je eine Million Einwohner. Auch das belgische System profitiert davon, dass viele Kliniken Transplantationskoordinatoren beschäftigen. Hier kommen 25 Spender auf eine Million Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland sind es im Schnitt lediglich 15, in Großbritannien 14 und in Griechenland sechs.

Positiv wertet Liese auch den Vorschlag der Kommission, dass die Länder der Europäischen Union sicherstellen sollen, dass nur unentgeltliche Spenden zur Transplantation bereit stehen. Denn der Handel mit Organen ist aus seiner Sicht ein in Europa bislang unterschätztes Problem. Liese warnt zugleich davor, Transplantationseinrichtungen durch ein europäisches Regelwerk mit bürokratischen Pflichten zu überfrachten. "Ansonsten besteht die Gefahr, dass einige Krankenhäuser im Zweifel lieber keine Transplantationen mehr vornehmen", fürchtet der Parlamentarier.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: EU-Staaten können voneinander lernen

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