Organspende

Die Zeichen stehen auf Kontrolle

Gipfeltreffen in Berlin: Ärzte, Kassen und der Gesundheitsminister wollen Konsequenzen aus dem Transplantationsskandal ziehen - und planen verstärkte Kontrollen. Eine neue Superbehörde wird es nicht geben - dafür wird die DSO wohl an die Leine gelegt.

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Gipfeltreffen: BÄK-Chef Frank Ulrich Montgomery, Kassenvertreter Johann-Magnus von Stackelberg und Gesundheitsminister Bahr.

Gipfeltreffen: BÄK-Chef Frank Ulrich Montgomery, Kassenvertreter Johann-Magnus von Stackelberg und Gesundheitsminister Bahr.

© Rainer Jensen / dpa

BERLIN (sun/fst). Der Transplantationsskandal ist ein krimineller Einzelfall, hat aber das Vertrauen der Bürger in die Organspende nachhaltig zerstört.

Das ist ein Fazit des Gipfeltreffens von Bund, Ländern, Ärzten und Kassen im Gesundheitsministerium am Montag in Berlin.

Dass es sich um Einzelfälle handle, belegten auch die Zahlen der Jahresberichte von Prüfungs- und Überwachungskommission, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery.

Der Analyse zufolge habe es in den letzten zehn Jahren 20 Verstöße gegen die Richtlinien der Verteilung gegeben. Im selben Zeitraum seien 50.000 Transplantationen durchgeführt worden.

Diese Berichte sollen künftig jährlich veröffentlicht werden. Schließlich sei "Transparenz das Gebot der Stunde", so Johann-Magnus von Stackelberg, GKV-Spitzenverbandsvorsitzende: "Wir müssen jetzt vor Fehlentwicklungen schützen, die einzelne schwarze Schafe verursachen können."

Mehr staatliche Kontrolle für die DSO

Gemeinsam wollen die Akteure jetzt das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen - vor allem durch mehr Kontrolle und Transparenz bei der Organvergabe. Das Vertrauen der Menschen sei wichtig, so Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP).

Schließlich rette Organspende Leben. Die Prüfungskommission werde zukünftig flächendeckende unangekündigte Stichproben durchführen.

Eine neue Superbehörde, die alles kontrolliert, werde es in jedem Fall nicht geben, betonte Bahr. Die staatliche Kontrolle werde jedoch gestärkt.

Künftig werden Vertreter von Bund und Ländern im Stiftungsrat der Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) sitzen. "Das hat es bisher nicht gegeben", so Bahr.

Auf keinen Fall werde man es akzeptieren, dass Einzelne das Vertrauen in die Organspende nachhaltig zerstören. Der Gesundheitsminister reagierte mit dem Gipfel auf den Organspende-Skandal in Göttingen und Regensburg.

Diese Vorgänge hätten das Vertrauen in die Organspende nachhaltig erschüttert, ergänzte der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, Andreas Storm (CDU).

Schluss mit Bonuszahlungen

Ärzte, Kassen und Länder hätten sich daher auf ein "Bündel an Maßnahmen geeinigt", so Storm.

Um Manipulationen möglichst zu vermeiden, werde künftig in allen Transplantationszentren eine interdisziplinäre Transplantationskonferenz über die Aufnahme in die Warteliste entscheiden.

Damit solle das Sechsaugenprinzip gestärkt werden. Zudem werde es keine finanziellen Anreize für die Ärzte mehr geben. Sondervereinbarungen über Bonuszahlungen für bestimmte Leistungsmengen in der Transplantationsmedizin könnten Fehlanreize auslösen, so Storm.

Die Bundesregierung wähnt sich derweil auf der sicheren Seite. Aus ihrer Sicht liegen bislang "keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Prüfungs- und Überwachungskommissionen ihren Aufgaben nicht hinreichend nachgekommen sind", heißt es in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Links-Fraktion im Bundestag.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien vorhanden, damit die zuständigen Kommissionen ihre Kontrollfunktion auch wahrnehmen könnten.

Kritisch äußert sich die Regierung zu den Bonusverträgen für Ärzte, die auch an der Göttinger Uniklinik galten: Eine an die Zahl vorgenommener Transplantationen geknüpfte Zahlung von Boni sei "nicht vertretbar", heißt es.

Positionen zur Reform des Transplantationssystems

BÄK: Kooperation mit dem Staat nötig

BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery hält das bisherige Aufsichtssystem in der Transplantationsmedizin für ausreichend. Besser werden müsse aber die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen. Notfalls müsse Ärzten auch "für eine gewisse Zeit das Transplantieren verboten werden, bis die Vorwürfe endgültig geklärt sind", sagte er dem "Deutschlandfunk". Gegebenenfalls müsse ein Transplantationszentrum "kurzfristig vom Netz" genommen werden. Montgomery begrüßte den Vorschlag, Ärzte in den Zentren unangemeldet zu kontrollieren. Der Ruf nach mehr Kontrollkompetenzen für die Länder aber verwundere ihn - schließlich gehörten die Unikliniken in der Regel den Ländern.

Chirurgen werben für mehr Transparenz

Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) hat Empfehlungen zur Transplantationschirurgie erarbeitet Darin lehnt die Gesellschaft Bonuszahlungen für Transplantationszahlen als "ethisch unvertretbar" ab. Nötig seien regelmäßige Transplantationskonferenzen in jedem Zentrum und für jedes Organ, um die Aufnahme auf eine Warteliste objektiv und nachvollziehbar abzusichern. Unverzichtbar sei eine ärztliche Entscheidungshoheit bei Notfallsituationen wie akutem Organversagen. Diese Notfallentscheidungen sollten jeweils auf der nächsten Transplantationskonferenz vorgestellt und dokumentiert werden. Eine primär staatliche Kontrolle sei dagegen "weder sinnvoll noch machbar".Des Weiteren spricht sich die DGCH für "Vor-Ort Audits durch Experten in den Transplantationszentren" aus. Sie fordert die Einrichtung eines zentralen Transplantationsregisters mit Spender und Empfängerdaten sowie Langzeitergebnissen, um die Ergebnisqualität abzusichern.Für "vertretbar" hält es die Gesellschaft, "Ergebnis und Qualitätszahlen der Transplantationszentren öffentlich und nicht anonymisiert mit Kommentaren zugänglich zu machen". Ähnlich wie der Wissenschaftsrat halten auch die Chirurgen die Zahl der Transplantationszentren in Deutschland für "zu hoch".

Kassen wollen den GBA als Hauptakteur

Die gesetzlichen Krankenkassen wollen als Folge des Transplantations-Skandals den Gemeinsamen Bundesausschuss aufwerten. Ärzte, Krankenhäuser und Kassen sollten "in gemeinsamer Selbstverwaltung verbindliche Regeln für ein transparentes Vergabeverfahren schaffen", fordert Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Ersatzkassenverbands vdek. Ins gleiche Horn stößt der Vizevorsitzende des GKV-Spitzenverbands Magnus von Stackelberg: Die Beratung und Beschlussfassung im GBA würde "die Transparenz schaffen, die es heute nicht gibt", sagte er der "Welt". Bisher würden Entscheidungen über die Richtlinien für Entnahme und Vermittlung von Organen von der BÄK getroffen.

Der Staat soll Vergabe von Organen regeln

Für einen radikalen Kurswechsel in der Kontrolle der Transplantationsmedizin hat sich der Geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospizstiftung Eugen Brysch ausgesprochen. "Die Verteilung von Lebenschancen muss in staatlicher Hand liegen", forderte er. Daher müsse das privat organisierte Organspendesystem in ein staatliches System überführt werden. Ein internes Mehraugenprinzip, wie von der BÄK vorgeschlagen, reiche nicht aus. Ähnliches fordert der Verfassungsrechtler Professor Wolfram Höfling von der Universität Köln: Bei der Frage, wer ein Organ bekomme, gehe es nicht allein um medizinische Kriterien, sondern dies sei eine Frage der Gerechtigkeit, die der Staat verantworten müsse. (fst)

Chronologie der Debatte: Ein Skandal mit ungewissen Folgen

20. Juli 2012: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt gegen den früheren Leiter der Transplantationschirurgie am Uni-Klinikum Göttingen. Vorwurf: Manipulation von Krankenakten in 25 Fällen, damit Patienten schneller ein Spenderorgan bekommen.

21. Juli: Der Ärztliche Direktor von Eurotransplant, Axel Rahmel, kündigt stärkere Kontrollen für den Fall an, dass sich die Vorwürfe gegen den Arzt bestätigen. Eurotransplant regelt die Verteilung von Spenderorganen nach vorher streng festgelegten Kriterien in acht Mitgliedsländern.

24. Juli: Das Uni-Klinikum Göttingen reagiert: Die Höhe der Ärzte-Gehälter soll nicht mehr an die Zahl der Organtransplantationen gekoppelt sein.

27. Juli: In Göttingen wird ein weiterer Arzt in leitender Funktion vom Dienst freigestellt. Gegen beide Ärzte wird jetzt in 23 Fällen aus den beiden vergangenen Jahren ermittelt.

1. August: Die nach langer kontroverser Debatte verabschiedete Reform des Transplantationsgesetzes tritt in Kraft - unabhängig vom Transplantations-Skandal. Alle Bürger über 16 Jahre sollen regelmäßig über ihre Organspendebereitschaft befragt werden - ohne Entscheidungspflicht.

2. August: Jetzt gibt es auch Verdachtsfälle auf Manipulation von Krankenakten am Uniklinikum Regensburg.

3./6. August: Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr beruft ein Krisentreffen für Ende August ein. Er schließt weitere Gesetzesänderungen nicht aus.

6. August: In Deutschland werden einem Zeitungsbericht zufolge immer mehr Spenderorgane im sogenannten "beschleunigten Verfahren" vergeben. Dieses Verfahren wird immer dann angewendet, wenn Organe von älteren oder kranken Spendern zur Verfügung stehen, für die es nur wenige geeignete Empfänger gibt. Die Debatte hat neuen Nährstoff. (fuh)

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