BÄK zum Göttinger Urteil

"Die nötigen Konsequenzen wurden gezogen"

Nach dem Freispruch im Göttinger Transplantationsprozess haben sich die Bundesärztekammer und andere Organisationen zu Wort gemeldet. Sie gehen davon aus, dass Manipulationen, wie sie bis 2012 offenbar möglich waren, heute so nicht mehr passieren können.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:
Aiman O. (M.) nach dem Urteil im Gespräch mit seinen Verteidigern.

Aiman O. (M.) nach dem Urteil im Gespräch mit seinen Verteidigern.

© Pförtner/dpa

GÖTTINGEN. Die Bundesärztekammer (BÄK) hält sich mit einer Bewertung des Freispruchs für den Angeklagten im Göttinger Transplantationsprozess zurück, weist aber darauf hin, dass sich die Rechtslage seit dem Auftauchen der Manipulationsvorwürfe im Jahr 2012 maßgeblich geändert hat. Das Urteil des Göttinger Landgerichts könne gegenwärtig noch nicht inhaltlich bewertet werden.

Eine abschließende Stellungnahme sei erst möglich, wenn die schriftliche Urteilsbegründung vorliege, so die BÄK. Ihr komme es nicht darauf an zu bewerten , ob sich der Transplantationschirurg strafbar gemacht habe, das sei allein Aufgabe der Justiz, deren Entscheidungen zu respektieren seien.

Transplantationsgesetz geändert

Die von BÄK, Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) und GKV-Spitzenverband gemeinsam getragene Prüfungs- und die Überwachungskommission hätten nach ihrem gesetzlichen Auftrag die Aufgabe zu kontrollieren, ob sich Ärzte in Transplantationszentren an die verbindlichen Richtlinien gehalten oder diese missachtet oder auf andere Weise verletzt haben.

"Das war in Göttingen in gravierender Weise der Fall", heißt es in der Mitteilung. Dies zu sanktionieren sei aber nicht Aufgabe der Bundesärztekammer, sondern der zuständigen Landesbehörden.

BÄK, DKG und GKV-Spitzenverband hätten 2012 unmittelbar und nachhaltig auf die Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Manipulation von Patientendaten reagiert und so wesentliche Veränderungen in der Transplantationsmedizin auf den Weg gebracht.

So dürften seit der Novelle des Transplantationsgesetzes im August 2012 die Kommissionen flächendeckende Vor-Ort-Prüfungen in den Transplantationszentren und Entnahmekrankenhäusern vornehmen.

Zudem sei die unabhängige Vertrauensstelle Transplantationsmedizin eingerichtet worden. Diese ermögliche auch anonyme Meldungen von Auffälligkeiten und Verstößen gegen das Transplantationsrecht.

Außerdem sei das Mehraugenprinzip bei der Anmeldung von Wartelisten-Patienten in den Transplantationsrichtlinien verankert worden. "Die nötigen Konsequenzen wurden gezogen und die getroffenen Maßnahmen haben längst ihre präventive Wirkung entfaltet", so der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation der BÄK Professor Hans Lilie.

Weitreichende Änderungen im Transplantationsgesetz

Der Generalsekretär der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG), Professor Christian Hugo, bedauert in einer Stellungnahme, dass noch weithin unbekannt sei, dass nach dem Bekanntwerden von Fehlverhalten in der Transplantationsmedizin weitreichende Änderungen im Transplantationsgesetz und in den Richtlinien zur Transplantation erfolgt sind.

"Dem Ruf nach einer besseren staatlichen Kontrolle der Transplantationsmedizin wurde bereits Rechnung getragen, in dem alle Richtlinienänderungen erst nach Prüfung und Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit in Kraft treten können", so Hugo.

Dass in der Folge von Manipulation und Fehlverhalten das Transplantationswesen insgesamt in Misskredit geraten sei und das durch einen weiteren Rückgang der Organspende betroffene Patienten nicht mit einer lebensrettenden Transplantation geholfen werden könne, bedauere der Vorstand der DTG zutiefst.

Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Bundestages, Edgar Franke (SPD), hält das System mittlerweile für manipulationssicher. Durch engmaschige Kontrollen der Transplantationszentren und ein Sechs-Augen-Prinzip seien individuelle Manipulationen, wie sie 2012 in Göttingen aufgeflogen seien, inzwischen weitgehend ausgeschlossen, sagte Franke dem Südwestrundfunk.

"Respektlos und ethisch verwerflich"

"Nach heutiger Rechtslage wäre das Verfahren in Göttingen sicher anders ausgegangen. Die Manipulation der Warteliste ist mittlerweile eindeutig strafbar", kommentierte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn, den Ausgang des Göttinger Prozesses.

"Entscheidend ist, dass jeder, der eine Warteliste für Organe manipuliert, heute durch regelmäßige Kontrollen damit rechnen muss, erwischt und hart bestraft zu werden. Denn eine solche Manipulation ist kein Kavaliersdelikt, sondern respektlos und ethisch verwerflich",

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz Eugen Brysch sieht nach dem Urteil die Politiker in der Pflicht. "Mit der Göttinger Entscheidung fällt der Politik und den Verantwortlichen im Organspendesystem das Transplantationsgesetz auf die Füße.

Seit Jahrzehnten mahnen Kritiker, dass die Richtlinien zur Verteilung von Organen der BÄK verfassungswidrig sind. Sie sind ungerecht und widersprüchlich. Damit fehlt ihnen die regelnde Kraft", kritisiert Brysch.

Bisher seien die zentralen Fragen der Verteilungsgerechtigkeit von Bundesregierung und Bundestag ignoriert worden. Das müsse ein Ende haben. "Wir brauchen ein neues Transplantationsgesetz, das die staatliche Verantwortung endlich herstellt.

Nur so kann Vertrauen in das Organspendesystem geschaffen werden", sagte er. Falsch sei es abzuwarten bis der Bundesgerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht die Politik zum Handeln zwinge. Das wäre ein weiterer Schlag für die schwerstkranken Menschen auf der Warteliste.

Lesen Sie dazu auch: Prozess in Göttingen: Freispruch für Transplantationschirurgen

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