Organspende-Zahlen

"Hier liegt ein Systemversagen vor"

Der Transplantationschirurg Professor Eckhard Nagel sieht durch die Wartelistenmanipulationen Vertrauen grundlegend zerstört. Er fordert einen Neustart bei der Finanzierung der Transplantationszentren.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Der Transplantationschirurg Professor Eckhard Nagel während des Redaktionsgesprächs mit der „Ärzte Zeitung“.

Der Transplantationschirurg Professor Eckhard Nagel während des Redaktionsgesprächs mit der „Ärzte Zeitung“.

© Michaela Illian

NEU-ISENBURG. Der Transplantationschirurg Professor Eckhard Nagel plädiert für eine Kehrtwende in der Finanzierung der Transplantationsmedizin in Deutschland. Im Redaktionsgespräch mit der "Ärzte Zeitung" votierte er für eine Abkehr von Fallpauschalen in diesem Bereich. "Durch ein Jahresbudget würde von den Transplantationszentren der intrinsische Druck genommen, um des Mehrumsatzes willen auch um Organe zu konkurrieren", schlägt Nagel vor.

Prof. Eckhard Nagel

- Promotion zum Dr. med. (1987) und Dr. phil. (1995), Ehrendoktorwürde Dr. theol. verliehen durch die Philipps-Universität Marburg (2010).

- Von 2008 bis 2016 Mitglied des Deutschen Ethikrats.

- Seit 2014 Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags.

Der Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth resümiert, durch die Manipulation von Wartelisten "durch einige wenige Akteure" sei offensichtlich bei vielen Bürgern das "Fundament des Vertrauens in die Transplantationsmedizin zerstört worden". Zwischen 2007 und 2015 hat bundesweit die Zahl der Organspenden um fast 22 Prozent abgenommen. 2016 spendeten bundesweit 857 Menschen Organe, 2011 lag die Zahl noch bei 1200.

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Skandale habe der Bundestag noch großes Interesse an Reformen gezeigt und 2013 auch das Transplantationsgesetz novelliert. Heute dagegen stießen die weiter sinkenden Organspende-Zahlen kaum noch auf ein Echo. "Hier liegt aus meiner Sicht ein ‚Systemversagen‘ vor."

Die bloße Übernahme von Regelungen aus dem Ausland wie etwa der Widerspruchslösung bezeichnet das ehemalige Mitglied im Nationalen und im Deutschen Ethikrat als schwierig. Er habe aber immer "für eine ethische Pflicht der Bürger plädiert, sich entscheiden zu müssen – für oder gegen die Organspende". Allerdings sei die Bundesregierung bei der letzten Novelle vor einer solchen Regelung "zurückgeschreckt", bedauert Nagel.

Der Chirurg, der seine Facharztausbildung beim Doyen der Transplantationsmedizin, Professor Rudolf Pichlmayr, an der Medizinischen Hochschule Hannover absolviert hat, kritisiert eine generelle Fehlentwicklung in Krankenhäusern. Dort seien die Patienten längst als "Kunden" entdeckt worden. Das sei der Hintergrund für die Wahrnehmung vieler Patienten, sie würden "gegebenenfalls nur wegen des Mehrumsatzes für eine Klinik behandelt". In der Konsequenz ergebe sich das paradoxe Bild, "dass Hochleistungsmedizin mit einer zunehmenden Unzufriedenheit aufseiten der Patienten einhergeht".

Auch der Deutsche Ethikrat habe im vergangenen Jahr in seiner Stellungnahme zum Patientenwohl im Krankenhaus zum Ausdruck gebracht, "dass die Zitrone fortwährender Rationalisierung ausgepresst ist", erinnert Nagel. Ihn treibe die Frage um, wie eine solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung in Deutschland erhalten werden kann, bekennt er. Der Arzt fordert radikale Konsequenzen und plädiert für eine "generelle Gemeinwohlorientierung der Akteure im deutschen Gesundheitswesen". Diese Non-Profit-Ausrichtung sollte seiner Ansicht nach sowohl für Krankenhäuser wie für die Pharma- und die Medizintechnik-Industrie gelten.

Für "gut und richtig" hält es Nagel, dass in Krankenhäusern – wie beispielsweise im neuen Tarifvertrag an der Charité – Personaluntergrenzen festgeschrieben werden. Diese Standards seien richtig, da "Hochleistungsmedizin nur zusammen mit einer ausreichenden Personalbesetzung geleistet werden kann", betont Nagel.

Er plädiert für eine Rückbesinnung in der Medizin. Es gehe darum, "ehrlich zu sagen, was Medizin heute kann, und Leben zu erhalten, immer dort, wo es hilfreich ist". Das sei wichtig, "wenn wir Vertrauen in die Medizin und die Ärzte erhalten wollen".

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