Gesundheitsexperte geißelt Neuroleptikaquote bei Dementen

Viele Demenzkranke werden laut dem jüngsten GEK-Report mit Neuroleptika ruhig gestellt statt gut versorgt. Der Hauptautor und Gesundheitsweise Gerd Glaeske prangert das als "chemische Gewalt gegen Ältere" an.

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:
Eine Pflegerin nimmt sich Zeit für eine Heimbewohnerin: Oft kommt dies laut einer Studie zu kurz, ersetzen Beruhigungsmittel die Zuwendung.

Eine Pflegerin nimmt sich Zeit für eine Heimbewohnerin: Oft kommt dies laut einer Studie zu kurz, ersetzen Beruhigungsmittel die Zuwendung.

© Foto: Bilderbox

BERLIN. Der Bremer Arzneimittelexperte Professor Gerd Glaeske hat scharfe Kritik an der seinen Angaben zufolge weiter zunehmenden Verordnung von Neuroleptika an Demenzkranke geäußert. Knapp jeder Dritte Erkrankte erhalte inzwischen solche Medikamente, sagte er bei der Vorstellung des inzwischen neunten Arzneimittelreports der Gmünder Ersatzkasse (GEK) in Berlin.

In vielen Fällen würden Pflegebedürftige nur ruhig gestellt statt adäquat betreut, so der Hauptautor des Reports. In Kauf genommen werden ihm zufolge damit schwerste kardiovaskuläre Probleme, Infektionen und Schlaganfälle. Der Wissenschaftler bezeichnete dies als "chemische Gewalt gegen Ältere", denn: "Das Risiko, unter Neuroleptika zu sterben, ist für Demenzpatienten deutlich erhöht." Glaeske fordert daher eine deutliche Senkung der Verordnungszahlen.

Der Generikamarkt wird derweil nach Ansicht von Glaeske für die Kassen an Einsparpotenzial verlieren, da sich die Hersteller anderen Produkten und Indikationen zuwendeten: Statt wie früher zehn bis zwölf Prozent seien künftig noch vier bis fünf Prozent an Einsparungen möglich. GKV-weit seien dies 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro, so Glaeske, der auch Mitglied im Sachverständigenrat für die Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ist. Ende Juni will der Rat ein neues Gutachten veröffentlichen. Dabei dürften die Experten auch ein positives Votum zu kassenindividuellen Arzneimittellisten abgeben, wie Glaeske andeutete.

Industrie warnt vor Jagd auf Boni durch Apotheker.

Unterdessen stoßen die Verhandlungen zwischen dem Deutschen Apothekerverband (DAV) und der GEK für eine Umsetzung des so genannten Zielpreismodells in der Pharmaindustrie auf Kritik. Das Konzept sieht vor, dass der Arzt nur noch die medizinische Verantwortung für die Verordnung trägt, die Apotheken die wirtschaftliche (wir berichteten).

Nach dem Modell, das der DAV erarbeitet hat, vereinbaren die Apotheker für Arzneimittel bei freier Auswahl einen Durchschnittspreis (Zielpreis). Bleiben sie darunter, erhalten sie einen Bonus von der Kasse. Für Überschreitungen gibt es hingegen einen Abzug.

Die angestoßene Debatte lasse den Schluss zu, dass der Apotheker durch die angebotenen Boni nicht mehr das Patientenwohl im Auge haben könnte, sondern nur die kostengünstigste Therapie, hieß es dazu beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie.

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