Bahr radelt durch die Versorgungsrealität

Eine Radtour mit Journalisten in seiner Heimatstadt Münster nutzt Gesundheitsminister Bahr auch zum Besuch von Pflegeheimen. Dort wird schnell klar, wo es brennt.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Daniel Bahr fährt mit Journalisten durch Münster.

Daniel Bahr fährt mit Journalisten durch Münster.

© Jörg Wischinski

MÜNSTER. Die Aufregung unter den Bewohnern ist groß. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) besucht das Altenpflegeheim St. Lamberti in Münster. "Ich finde das ganz toll", strahlt eine ältere Dame den jungen Minister an.

Während Bahr in Berlin Schelte für seine Pläne zur Pflegereform einsteckt, freuen sich die Heimbewohner und das Pflegepersonal über das Interesse des Ministers für die Situation vor Ort.

Für Bahr ist der Besuch in Münster ein Heimspiel: Sportliche Sonnenbrille, Hemdsärmel hochgekrempelt schwingt sich der Marathonläufer auf sein Fahrrad.

Begleitet von Berliner Journalisten will er die Pflegelandschaft in seinem Wahlbezirk Münster erkunden. Schließlich hat die schwarz-gelbe Koalition für 2011 das Jahr der Pflege ausgerufen. Zeit also, einen Blick auf die Realität in Pflegeheimen zu werfen.

Fachpersonal fehlt an allen Ecken und Enden

Die Wunschliste des Münsteraner Pflegedienstleiters Reinhard van Weegen ist lang, als Bahr ihn nach Verbesserungsmöglichkeiten fragt: weniger Bürokratie, mehr Zeit für die Pflege, mehr Geld - vor allem aber mehr Personal für die Betreuung der 83 Heimbewohner.

"Auch die Zusammenarbeit mit Ärzten müsste verbessert werden", antwortet van Weegen auf eine Zwischenfrage Bahrs zur medizinischen Versorgung in Heimen. Die Hausärzte hielten zwar die "Treue zu ihren Patienten", aber die Fachärzte kämen kaum noch ins Heim.

Schließlich würden ihre Besuche nicht bezahlt. "Und wer von uns soll die Patienten zum Arzt bringen?", fragt der Pflegedienstleiter. Schließlich sei das sehr zeitintensiv und die Pfleger fehlten in dieser Zeit vor Ort - ein Dilemma, meint van Weegen.

Aber vor allem fehlten an "allen Ecken und Enden Pflegefachkräfte", klagt van Weegen. Das sei ein Hauptproblem, das sich in den nächsten Jahren noch verschärfen werde. Der Beruf sei für viele nicht sehr attraktiv.

Er ließe sich allerdings aufwerten, indem Heime die Möglichkeiten erhielten, mehr Personal einzustellen. Mehr Gehalt für Pflegekräfte allein, da ist er sich sicher, würde das Problem nicht lösen.

Aber van Weegen stellt auch klar: Es bringe nichts, "ein Jammerhaus" zu sein - schließlich mache ihm die Arbeit viel Spaß. An eine "gute Fee" aus Berlin, der er drei Wünsche mit auf den Weg geben darf, mag der sportliche Mann eh nicht recht glauben.

Er versuche für Personal und Bewohner das Beste aus der Situation zu machen. "Es gehen nur mehr Leute in den Job, wenn es weniger Stress gibt", so van Weegen.

Jubel für den Minister? Den gibts nur beim Marathon

Doch der nimmt eher zu. Immer mehr Heimbewohner sind multimorbide. "Und es ist schwer, Pflegestufe 3 für die Patienten zu erhalten", schimpft der Pflegedienstleiter. "Kommen die Menschen denn später ins Heim?", fragt Minister Bahr.

Das Durchschnittsalter liege bei 86 - und das seit Jahren. Allerdings werde die Altersspannbreite immer größer. "Der jüngste Bewohner ist Jahrgang 1955, der interessiert sich für andere Dinge als eine 86-Jährige", räumt van Weegen ein.

Ohne mehr Personal könne das Heim den unterschiedlichen Interessen der Heimbewohner jedoch nicht gerecht werden.

Der Pflegedienstleiter versucht es trotzdem. Drei ehemalige Badezimmer beispielsweise sind inzwischen in Musikzimmer, Backstube und Nähraum umgebaut. Darüber hinaus seien Betreuungsassistenten ein "großer Segen" für die Pflege.

"Diese Menschen haben Zeit für die Betroffenen", so van Weegen. Inzwischen beschäftigt er 55 ehrenamtliche Helfer, die die Heimbewohner besuchen, mit ihnen Spiele spielen oder sich unterhalten.

Aber Bahr zeigt den Journalisten bei seiner Fahrradtour in der parlamentarischen Sommerpause noch mehr aus seiner Heimat Münster: Bei einem Halt beim Institut für Hygiene an der Robert-Koch-Straße berichtet er vom Beginn seiner Amtszeit, die mit der EHEC-Krise zusammen fiel. Das habe ihn sofort auf Betriebstemperatur gebracht.

Seither habe das Arbeitspensum nicht abgenommen. Selbst zum Training für den Münster-Marathon komme er kaum. Dabei sei Laufen ein schöner Sport, denn da jubelten ihm die Menschen zu.

In der Gesundheitspolitik sei das ja eher selten. Bei diesen Erzählungen darf niemand stören: Selbst ein Anruf von Parteikollege und Vorgänger Philipp Rösler wird nicht entgegen genommen: "Der muss warten", sagt Bahr.

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