Schleswig-Holstein

Deutscher Vorreiter beim Demenzplan

Die EU-Mitgliedsstaaten sind angehalten, Demenzpläne zu entwickeln - in Deutschland ist aber noch nicht viel geschehen. Jetzt geht Schleswig-Holstein mit gutem Beispiel voran.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Medizinische Anamnese: Ärzte kritisieren, dass viele Patienten mit Demenz zu spät in die Praxis kommen.

Medizinische Anamnese: Ärzte kritisieren, dass viele Patienten mit Demenz zu spät in die Praxis kommen.

© Raths/fotolia.com

Für Menschen mit Demenz wird viel getan in Schleswig-Holstein. Polizisten, Mitarbeiter von Bahnhofsmissionen und grüne Damen lassen sich durch das Kompetenzzentrum Demenz schulen, es gibt zahlreiche Beratungsstellen und niedrigschwellige Beratungsangebote, und ehrenamtliche Helfer können sich in einer Musterwohnung anschauen, wie das häusliche Umfeld für Demenzkranke gestaltet werden könnte.

Das alles hat es vor einigen Jahren noch nicht gegeben. Jetzt will Schleswig-Holstein auch noch als erstes deutsches Bundesland einen Demenzplan erarbeiten und damit Ländern wie Frankreich, Norwegen und Australien folgen.

Nötig ist das aus Sicht von Experten trotz aller Fortschritte im Norden, wie auf der Auftaktveranstaltung in Kiel deutlich wurde. Denn trotz Verbesserungen in der täglichen Versorgung gibt es noch immer zahlreiche Defizite, die so nicht nur an der Küste, sondern in ganz Deutschland zu beobachten sind.

Ein Demenzplan ist als politische Verpflichtungserklärung zu verstehen - zumindest wenn er wie im Norden vom Landtag gefordert und vom Gesundheitsministerium angeschoben wird.

"Das hat Signalwirkung und zeigt: Wir tun etwas für Menschen mit Demenz", sagt Swen Staack vom Kompetenzzentrum Demenz in Norderstedt.

Er erhofft sich von einem Demenzplan aber auch, dass Demenz für die breite Bevölkerung etwas von ihrem Schrecken verliert und entstigmatisiert wird.

Er wünscht sich außerdem, dass der Demenzplan dazu beitragen kann, die Zusammenarbeit mit Ärzten und Krankenhäusern in der Versorgung zu verbessern.

Ärzte stoßen auf eine Reihe von Problemen

Vor welchen Problemen die niedergelassenen Ärzte in der Versorgung von Demenzkranken stehen, zeigt das Beispiel des Neurologen Jens Reinders aus Hamburg-Bergedorf.

Zusammen mit zwei Kollegen versorgt er in der Gemeinschaftspraxis im Quartal etwas mehr als 3000 Menschen - und 400 von ihnen sind dement.

Laut Reinders kommen viele dieser Patienten nicht früh genug in die Praxis, sie müssen oft aufgesucht werden, ihr Umfeld verfügt über zu wenige Informationen.

Wenn es sich um Menschen mit Migrationshintergrund handelt, lassen sich die Probleme wegen der Sprachprobleme für die Ärzte noch schwerer lösen.

In den Heimen stoßen die Ärzte oft auf Probleme in der Ausstattung und in der Personalstärke - mit herausragenden Gegenbeispielen, die aber nicht der Regelfall sind, wie Reinders berichtet.

Demenz ist längst nicht nur in der medizinischen Versorgung und in der Gesellschaft ein breit diskutiertes Thema, sondern auch in der Politik angekommen.

EU-Mitgliedstaaten sollen Demenzplan erarbeiten

Das Europäische Parlament hat die Mitgliedsstaaten aufgefordert, Demenz zu einer gesundheitspolitischen Priorität zu erklären und spezifische nationale Pläne und Strategien aufzustellen.

Deutschland ist verglichen mit anderen Staaten spät dran. Vorreiter war im Jahr 2006 Australien, das als erstes Land weltweit einen Demenzplan ausarbeitete.

In Europa gibt es nach Angaben von Dr. Volker Hielscher vom Saarbrücker Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft inzwischen 13 Demenzpläne, von denen einige landesweit, andere regional erarbeitet wurden.

Dabei floss zum Teil viel Geld: Frankreichs Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy bewilligte seinerzeit 1,6 Milliarden Euro. Ein Schweizer Kanton - kleiner als die deutschen Bundesländer - immerhin noch fünf Millionen Euro.

Unabhängig von den Summen: Wichtig sind für Hielscher die Verbindlichkeit und das Signal, das von diesen finanziellen Zusagen ausgeht.

Der Beitrag der Familie geht in fast allen Ländern zurück

Die Ziele, die die Staaten und Regionen mit ihren Demenzplänen verfolgen, sind genauso unterschiedlich wie die Ergebnisse. Mal ist ein Demenzplan eher ein Arbeitspapier und fasst seine Ergebnisse wie in Wales auf nur zwölf Seiten zusammen, in anderen Ländern werden über 140 Seiten benötigt.

In den meisten Ländern steht man wie Deutschland vor dem Problem, dass die familiäre Hilfe wegen der hohen Belastungen eher abnimmt und man zunehmend auf professionelle Hilfe angewiesen ist - die aber in den meisten Ländern erst einmal aufgebaut werden muss.

Eine Strategie für diese Entwicklung gibt es laut Hielscher in den wenigsten Ländern - und auch die Demenzpläne greifen dieses Thema in aller Regel bislang nicht auf.

In den meisten Plänen enthalten sind dagegen die Ziele bessere Versorgung, Schärfung des öffentlichen Bewusstseins, Verbesserung der Diagnose, Förderung der Forschung und der Qualifikation der Helfer.

Was in Schleswig-Holstein bis zum Jahr 2016 entstehen wird, soll ein Runder Tisch beeinflussen, zu dem nach Vorstellungen der Alzheimer Gesellschaft auch Betroffene und deren Angehörige eingeladen werden.

Schon heute leiden nach Angaben des Ministeriums rund 50.000 Menschen in Schleswig-Holstein an Demenz. Denen soll durch die landesweite Strategie vor allem eine bessere, weil differenziertere Betreuung ermöglicht werden.

"Demenz ist nicht das Ende von Lebensqualität und eines selbstbestimmten Lebens", stellte dazu Gesundheitsstaatssekretärin Anette Langner fest.

Sie weiß, dass der Demenzplan für ein kleines - und finanzschwaches - Land wie Schleswig-Holstein ein ehrgeiziges Ziel ist, wenn damit nicht nur Appelle und Absichtserklärungen verbunden sein sollen.

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