Leitartikel zur Pflege

Ausländische Kräfte anzuwerben löst das Problem nicht

Der Pflegebranche fehlt massiv Personal. Die Bundesagentur für Arbeit sowie Kliniken und Pflegeheime setzen immer mehr auf die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte - nachhaltig ist diese Lösung aber nicht.

Von Martina Merten Veröffentlicht:
Die Chinesin Yingwei Yang hat im Januar ihre Arbeit in einem Frankfurter Heim aufgenommen.

Die Chinesin Yingwei Yang hat im Januar ihre Arbeit in einem Frankfurter Heim aufgenommen.

© dpa

Wenn es um die Pflege geht, sind die Zahlen erschreckend: 3,2 Millionen Menschen in Deutschland erhalten voraussichtlich bis 2030 angesichts der demografischen Entwicklung Pflegeleistungen. Gleichzeitig mangelt es schon jetzt an Personal. Die Bertelsmann-Stiftung geht im Jahr 2030 von rund einer halben Million Vollzeit-Pflegekräften aus, die fehlen.

Allerdings hat in den vergangenen zwei Jahren ein Trend eingesetzt, der aufhorchen lässt: das Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland.

So wirbt die Bundesregierung über die Agentur für Arbeit (BA) Fachkräfte aus Griechenland, Portugal, Italien und Spanien an. Gleichzeitig kooperiert die ZAV - die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung bei der BA - mit Arbeitsverwaltungen in Serbien, BosnienHerzegowina, den Philippinen und Tunesien.

Auch Krankenhäuser setzen auf neue Wege. Einige Kliniken des Agaplesion Konzerns arbeiten seit Jahren mit Pflegekräften aus Ungarn zusammen. Seit diesem Mai kooperiert der Konzern mit Pflegefachkräften aus Spanien. Die Kliniken zahlen Agaplesion zufolge Unterkunft, den Flug und einen Sprachkurs während des Aufenthalts in Deutschland. Wenn es den jungen Leuten hier gefällt, können sie bleiben.

Viele Pflegekräfte sind enttäuscht

Der Europäische Sozialfonds und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales fördern zudem Projekte wie "AliSchwa". Junge Erwachsene, die in ihrem Heimatland arbeitslos gemeldet sind, kommen für mehrere Monate für ein Praktikum nach Deutschland, häufig im Pflegebereich.

Einige der Pfleger, heißt es von Projektkoordinatorin Heike Bangert-Rohrmoser, bleiben hier.

Dann gibt es noch private Vermittlungsagenturen in Deutschland und in EU-Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit, die das Geschäft mit der Pflegelücke für sich entdeckt haben.

Die Agentur Stepjob auf Teneriffa zum Beispiel versucht die Vielzahl an Bewerbern für den deutschen Arbeitsmarkt durch Sprachkurse und Informationen über Deutschland auf die Arbeit vorzubereiten. Mit Erfolg, wie Stepjob-Geschäftsführerin Esther Moreschini sagt.

Ist der Pflegemangel damit bald behoben? Aus verschiedenen Gründen lautet die Antwort: nein. Nicht alle Pflegekräfte, die nach Deutschland kommen, finden hier das Paradies auf Erden vor. Insbesondere Pflegekräfte aus Südeuropa haben einen Masterstudiengang in der Pflege abgeschlossen. Stärker nachgefragt werden bei uns aber Kenntnisse der Grundpflege.

Über die verfügen nicht alle der Angeworbenen. Wird nicht im Vorfeld genau geprüft, in welchem Bereich die ausländische Pflegekraft eingesetzt wird, kann es schnell zu Unzufriedenheit kommen.

Und dann passiert das, was Nachhaltigkeit verhindert: Pfleger kehren in ihre Heimat zurück. Dazu tragen nach Ansicht von Franz Wagner, Vize-Präsident des Deutschen Pflegerats, zudem die unattraktiven Arbeitsbedingungen in der deutschen Pflege bei. Auch eine Willkommenskultur fehlt häufig.

Ein weiteres Problem ist die Sprache. Um in Deutschland als Pflegekraft tätig zu sein, ist ein Sprachniveau auf B2-Level gefordert. Das reicht aber häufig für die Arbeit in einem speziellen Feld wie dem Gesundheitswesen nicht aus.

Nicht jeder hat das Durchhaltevermögen, neben der Arbeit noch die Sprachkenntnisse zu vertiefen. Und gleichzeitig haben viele Einrichtungen nicht die notwendige Toleranz, dem ausländischen Kollegen für das Deutsch-Lernen genug Zeit zu geben. Schnell wird gesagt, mangelnde Sprachkompetenz berge vor allem im Gesundheitswesen ein hohes Risiko.

Ernüchternde Zahlen

Nicht zuletzt zeigt ein Blick auf die Zahlen, dass die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte nicht die alleinige Lösung des Problems sein kann: einer vom Statistischen Bundesamt und vom Bundesinstitut für Berufsbildung erhobenen Analyse zur Arbeitsmigration in Pflegeberufen aus dem Jahr 2010 zufolge war die Entwicklung zugewanderter Arbeitsmigranten in Pflegeberufen in den vergangenen zehn Jahren rückläufig.

2010 arbeiteten hierzulande 113.000 Arbeitsmigranten in Pflegeberufen. Die meisten von ihnen sind bereits in den Neunziger Jahren nach Deutschland gekommen. Lediglich 17.000 der 113.000 kamen zwischen 2003 und 2010nach Deutschland.

Die jüngsten Destatis-Zahlen lassen vermuten, dass der rückläufige Trend auch durch die 2011 gelockerte Anerkennungsregelung für ausländische Berufsabschlüsse nichts daran geändert hat: Nur rund 1600 Anträge auf Anerkennung wurden in 2012 von Personen aus dem Pflegebereich gestellt.

Das sind nicht allzu viele. Mario Czaja, Senator für Gesundheit und Soziales in Berlin, sagte nach seinen bisherigen Erfahrungen mit ausländischen Pflegekräften gefragt: "Sie sind sicherlich ein Weg unter mehreren, aber sie sind nicht der alleinige Weg". Er hat wohl Recht.

Schlagworte:
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen