Interprofessionelle Medizin

Lernen, wie der andere denkt

In Heidelberg lernen Vertreter verschiedener Gesundheitsberufe in einem Studiengang, über die eigene Profession hinaus zu denken - zum Nutzen des Patienten.

Von Marion Lisson Veröffentlicht:
Interprofessionelle Versorgung? Im Arbeitsalltag dominieren traditionelle Berufsbilder und Hierarchien.

Interprofessionelle Versorgung? Im Arbeitsalltag dominieren traditionelle Berufsbilder und Hierarchien.

© apops / Fotolia.com

HEIDELBERG. Es kommt Patienten zugute, wenn Ärzte, Krankenpfleger, Ergotherapeuten, MTAs und Physiotherapeuten eng zusammenarbeiten - ohne Vorbehalte auf beiden Seiten.

"Wir müssen im Gesundheitswesen noch stärker als früher berufsübergreifend denken und handeln", fordert Dr. Cornelia Mahler, Mitarbeiterin der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der Medizinischen Fakultät Heidelberg.

Absolventen des neuartigen Studienganges "Interprofessionelle Gesundheitsversorgung" lernten dies in Heidelberg bereits in ihrer Ausbildung, sagte Mahler beim Kongress "Der Patient im Mittelpunkt: Interprofessionelle Ausbildung und Zusammenarbeit."

Einschreiben können sich dort Auszubildende - zum Beispiel zukünftige Alten- oder Krankenpfleger. Zusätzlich zu ihrem dreijährigen Berufsabschluss erhalten sie nach ihrem Studium den "Bachelor of Science".

"Unser Studiengang eröffnet den Absolventen neue berufliche Möglichkeiten und einen selbstbewussteren Umgang mit anderen Berufsgruppen, wie den Ärzten", so Mahler. Krankenpfleger könnten zum Beispiel mit ihren erworbenen Kompetenzen Gesundheitsförderungsprogramme für ältere Diabetespatienten im Altenheim entwickeln.

"Auch Ärzte müssen umdenken"

"Wir müssen alle umdenken, auch die Ärzte", hatte Professor Joachim Szecsenyi, Ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung sowie Leiter des Studienganges "Interprofessionelle Gesundheitsversorgung", im Vorfeld des Kongresses angekündigt.

Das oft diskutierte Prinzip "Delegation statt Substitution", das eine eigenständige Arbeit hochqualifizierter Pflegekräfte oder Praxismitarbeiter nur eingeschränkt zulasse, ist seiner Meinung nach nicht zukunftsfähig.

Die über Jahrzehnte gewachsenen Barrieren zwischen Berufsgruppen müssten abgebaut werden. Die interprofessionelle Ausbildung in Heidelberg entspreche diesen veränderten Anforderungen.

In gemeinsamen Lehrveranstaltungen bekommen dort Auszubildende aus unterschiedlichen Bereichen wie Krankenpflege, Hebammenwesen, Logopädie, Medizinisch-Technische Radiologie, Laboratoriums-Assistenz oder Physiotherapie grundlegende Kenntnisse wissenschaftlichen Arbeitens vermittelt.

Priorität dabei ist: Alle lernen miteinander und voneinander. Auch gemeinsame Unterrichtsstunden mit Medizinstudenten stehen dabei auf dem Stundenplan.

"Unser Ziel ist es, die Kompetenzen zur Zusammenarbeit zu fördern, gegenseitig die Arbeitsbedingungen kennenzulernen und ein grundlegendes Verständnis für die spätere berufliche Tätigkeit der anderen zu fördern", sagt Professorin Stefanie Joos, stellvertretende Leiterin der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung.

Interesse der Politik nimmt zu

Studien aus Kanada, den USA und Schweden zeigten, dass gemeinsame Lehrveranstaltungen zu einem besseren Verständnis für andere Berufsgruppen führten, betonte Professorin Ursula Walkenhorst von der Hochschule für Gesundheit Bochum.

Aktuell können sich pro Jahr 25 Auszubildende in den Studiengang "Interprofessionelle Gesundheitsforschung" einschreiben. "Ab 2015 werden wir weitere 20 Studienplätze einrichten, die mit einem Masterabschluss beendet werden können", kündigte Professor Christopher Lux, stellvertretender Studiendekan, an.

Die interprofessionelle Zusammenarbeit sei stark in den Blickwinkel von Politikern und Krankenkassen gerückt, waren sich die Experten in Heidelberg einig. "Sowohl die Zahl der Klinikeinweisungen als auch die Medikamentenabgabe kann dadurch laut aktuellen Studien reduziert werden", zeigte sich Mahler überzeugt.

"Besonders Krankenkassen sind - nicht zuletzt auch aus finanziellen Erwägungen heraus - an einer engen Zusammenarbeit aller Behandelnden interessiert und unterstützen entsprechend auch Modellprojekte dieser Art", sagte Dr. Tobias Freund.Der Wissenschaftler verwies in diesem Zusammenhang auf das AOK-Praxisprojekt PraCMan.

Nach seiner erfolgreichen Phase als Modellprojekt ist PraCMan nun in die Regelversorgung übernommen worden. Qualifizierte Medizinische Fachangestellte übernehmen bei PraCMan in enger Zusammenarbeit mit dem Hausarzt die engmaschige Betreuung von chronisch kranken Menschen.

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