Pflegereport

Sicherheit von Demenzpatienten in Gefahr

Die Sicherheit von Klinikpatienten, die an Demenz leiden, lässt zunehmend zu wünschen übrig. Tausende von Patienten verletzten sich Woche für Woche auf den Stationen selbst, weil es an Aufsicht fehlt. Zu diesem Ergebnis kommt das Pflegethermometer 2014 des Deutschen Instituts für angewandte Pflegewissenschaften.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Menschen, die an einer Demenz leiden, werden in deutschen Krankenhäusern unterversorgt. Darauf weist das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung (dip) in Köln in der aktuellen Ausgabe des Pflegethermometers hin.

Fast jeder vierte Patient im Krankenhaus zeige Kennzeichen einer demenziellen Veränderung, heißt es in dem Report. Die Erkenntnisse beruhen auf der Befragung von 1844 Stations- und Abteilungsleitungen in Krankenhäusern aus dem gesamten Bundesgebiet.

Auf diese Entwicklung sind die Krankenhäuser nicht ausreichend vorbereitet, obwohl die Zahl der an einer Demenz leidenden Klinikpatienten zunimmt. Nur in 73 der befragten Stationen waren alle Mitarbeiter für den Umgang mit Demenzpatienten geschult.

Auf der überwiegenden Mehrheit der Stationen (87 Prozent) fehlen Orientierungshilfen für die Betroffenen. Viel zu selten lassen sich die oft unruhigen Angehörigen dieser Patientengruppe in Einzelzimmern unterbringen.

Das entscheidende Manko ist aber das fehlende Personal, macht das Pflegethermometer deutlich. "Acht von zehn Stationen geben an, dass die Versorgung von demenzkranken Menschen vor allem nachts unzureichend gesichert ist", sagt Studienleiter Professor Michael Isfort.

Seit 1995 habe die Zahl der Vollzeitpflegekräfte in den deutschen Krankenhäusern um mehr als 40 Prozent abgenommen, rechnen die Autoren des Pflegethermometers vor. Im gleichen Zeitraum haben die Fallzahlen um drei Millionen zugelegt (siehe Grafik).

Geschätzte 2,6 Millionen Dosen Beruhigungsmittel jährlich

Die Versorgungslücken hätten medizinische Folgen in auffallend hoher Zahl, berichten die Studienautoren. Patienten zögen sich selbst Venenkatheter, andere lösten ihre Verbände. Dies geschieht auf den befragten Stationen zusammen jede Woche rund 10.000 Mal.

Jede der Stationen musste einräumen, dass mindestens einmal pro Woche ein Patient unbemerkt die Station verlassen habe und nicht zurückfinden konnte.

Die Defizite führen zu zahlreichen für die betroffenen Kranken leidvollen Ereignissen."Diese Mangelsituation führt nicht selten zu unnötiger Verabreichung von Schlafmedikamenten und häufig zu fragwürdigen Fesselungen von Patienten, so genannten Fixierungen", sagt Isfort.

Hochgerechnet auf alle Krankenhäuser in Deutschland schätzen die dip-Forscher, dass die Gruppe der Demenzkranken in Krankenhäusern im Jahr rund 2,6 Millionen Dosen Beruhigungsmittel erhalte. Zudem sei die Zahl der "körpernahen Fixierungen" "erschreckend" hoch.

Alle befragten Stationen zusammen berichteten demnach von 1455 Fixierungen in der Woche.

Es sei beschämend, dass in vielen Krankenhäusern Menschen, die an einer Demenz litten, nicht angemessen versorgt würden, reagierte die Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, Professor Christel Bienstein, auf die Veröffentlichung. Sie forderte angemessenere Personalschlüssel für die Versorgung von an einer Demenz erkrankten Menschen.

Die Arbeitsverdichtung in den Kliniken hat auch das Institut Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen kritisiert.

Der Präsident des Deutschen Pflegerates, Andreas Westerfellhaus, hatte daraufhin mehr Personal für die Stationen, eine bessere Arbeitsaufteilung zwischen Ärzten und Pflegenden sowie ein Pflegeberufegesetz gefordert.

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