Alzheimer

Nagelprobe für die Gesellschaft

Wieviel Verbundenheit und Fürsorge ist eine Familie, eine Nachbarschaft oder eine Kommune bereit aufzubringen, um mit Menschen zu leben, für die es keine Heilung gibt? Diese Frage wird mit der steigenden Zahl der Alzheimer-Patienten immer drängender.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Imme rmehr Menschen erkranken weltweit an Alzheimer. Das bringt große Herausforderungen für die Gesellschaft mit sich.

Imme rmehr Menschen erkranken weltweit an Alzheimer. Das bringt große Herausforderungen für die Gesellschaft mit sich.

© Andrea Danti / Fotolia.com

Zum Beispiel Rudi Assauer. Der Ehemalige Manager des Fußballclubs "Schalke 04" verwandelt sich schon seit mehreren Jahren vom Zigarren rauchenden Top-Macho in eine Art Findelkind.

Er leidet an Alzheimer und hat sich, als die Krankheit anfing, Besitz von ihm zu ergreifen, öffentlich, im Fernsehen vom Bild des vitalen Machers verabschiedet.

Diese mutige Geste zeigt einen vielleicht beispielhaften Umgang mit dem Phänomen "Alzheimer", weil sie das Problem als solches gezeigt hat und zugleich den womöglich einzig hilfreichen Umgang damit - den Schritt in ein soziales Netz.

Assauer lebt heute zurückgezogen und angewiesen auf seine Tochter.

Am 21. September wird rund um den Globus der Welt-Alzheimer Tag begangen. Weltweit sind etwa 44 Millionen Menschen von Demenzerkrankungen betroffen, zwei Drittel davon in Entwicklungsländern.

Bis 2050 wird die Zahl auf voraussichtlich 135 Millionen steigen, besonders dramatisch in China, Indien und den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, schreibt die Deutsche Alzheimergesellschaft e.V.. 60 Prozent aller Demenzen beruhen auf Alzheimer.

Weltweit und auch an vielen Orten in Deutschland veranstalten darum Verbände und Initiativen am 21. September Vorträge und Fachveranstaltungen, Demenz-Gottesdienste, Ausstellungen, Theaterstücke und Filmvorführungen bis hin zu Demenz-Aktionswochen wie beispielsweise in Kiel oder Hamburg, so die Alzheimergesellschaft.

Der bereits seit 1994 regelmäßig stattfindende Tag dient dazu, die Öffentlichkeit auf die Situation der Alzheimer-Kranken und ihrer Angehörigen aufmerksam zu machen.

Gefürchtete Diagnose

Alzheimer ist eine gefürchtete Diagnose, und es ist keine Heilung in Sicht. Ablagerungen von Eiweiß-Plaques im Gehirn sind offenbar die Ursache für Alzheimer, aber sie scheinen nicht die einzige zu sein.

 Jedenfalls hat man festgestellt, dass man nicht von der Menge der Ablagerungen auf die Intensität der Krankheit schließen kann, erklärt Susanne Saxel von der Alzheimergesellschaft.

"Aktuell haben 67 Prozent der Befragten am meisten Furcht vor einem bösartigen Tumor (…). Direkt nach Krebs kommt mit 51 Prozent die Angst vor Alzheimer und Demenz - ein Anstieg um drei Prozentpunkte", schreibt die DAK-Gesundheit und bezieht den Vergleich auf eine Umfrage zum Vorjahr.

Nach der repräsentativen Studie ist die Angst vor Demenz bei den über 60-Jährigen inzwischen sogar größer als vor Krebs oder einem Schlaganfall.

Kein Wunder. "Denn die Betroffenen vergessen nach und nach alles, was sie gelernt haben", erklärt Ellen Nickel, Beraterin bei der Alzheimergesellschaft.

Zuerst vergessen sie Termine und Telefonnummern, dann, wie die Kaffee-Maschine zu bedienen ist, dann die Worte und das Sprachverständnis, die Angehörigen und Nachbarn, wie man zur Toilette geht, die Tageszeiten und schließlich, wer sie selber sind.

"Aber was sie ganz bis zum Schluss behalten, ist die Wahrnehmungsfähigkeit", erklärt Nickel. "Sie fühlen genau, was ihnen angenehm und wer ihnen wohlgesonnen ist."

Damit werden Alzheimer-Patienten nach und nach zuerst wie die Kinder und dann wie die Säuglinge. Der Effekt ist damit ein Appell an die Mütterlichkeit der Gesellschaft. Das ist kein Psycho-Kitsch.

Sondern die Probe aufs Exempel, wie viel Verbundenheit und Fürsorge eine Familie, eine Nachbarschaft oder ein Wohnort aufzubringen bereit ist, um mit Kranken zu leben, denen keine Besserung in Aussicht gestellt werden kann, im Gegenteil.

Und - natürlich! - sind die Alzheimer-Patienten damit auch ein Spiegel ihrer Umwelt, in der eben diese Verbundenheit oft schmerzhaft fehlt.

 Er zeigt darin auch, welche Fürsorge Menschen fehlt, die nichts mehr leisten, keinen Nutzen haben und Hilfe brauchen, Hilfe und nochmals Hilfe. Es lohnt sich, in diesen Spiegel hinein zu schauen, auch wenn es schmerzhaft werden kann, was man da sieht.

Demenzfreundliche Kommunen

Der Soziologe Reimer Gronemeyer aus Gießen berichtet von einem Projekt der Robert Bosch Stiftung: "Gemeinsam für ein besseres Leben mit Demenz". "Die Robert-Bosch-Stiftung hat 120 Kommunen gefördert, die sich besonders um Demenzkranke und ihre Familien gekümmert haben", sagt Gronemeyer.

"Die Ideen der Kommunen reichen von Demenz-Paten über Chöre und Sportvereine, die sich bewusst für Demenzkranke öffnen bis hin zu Läden, die ein Schild an die Tür hängen: ,Demente und ihre Angehörigen - willkommen!‘"

Trotz solcher Erfolge ist Gronemeyer skeptisch, was die Zukunft der Betreuung von Alzheimer-Patienten angeht.

"Entweder wird Alzheimer zukünftig medikalisiert oder unsere Gesellschaft reagiert wirklich mit einem humanitären Umsturz und sorgt besser für die Betroffenen und ihre Familien."

Die demenzfreundlichen Kommunen der Robert Bosch Stiftung wären dafür ein Anfang.

Schlagworte:
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System