Palliativversorgung

Herausforderung für Pflegeheime

Pflegeheime müssen sich darauf einrichten, dass zu ihnen immer mehr Menschen kommen, die kurz vor dem Tod stehen. Das heißt auch: Pflegestandards müssen modifiziert werden.

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Ärztliche Betreuung eines Schwerkranken im Pflegeheim.

Ärztliche Betreuung eines Schwerkranken im Pflegeheim.

© Klaus Rose

BOCHUM. Die angemessene Versorgung von Bewohnern von Pflegeheimen auch in ihrer letzten Lebensphase stellt die Beschäftigten in den Heimen vor große Herausforderungen.

"Die radikale Orientierung an den Wünschen der Bewohner verlangt eine Auseinandersetzung mit gewohnten Pflegemustern", sagte Martina Kern auf der Veranstaltung "Gemeinsam auf dem Weg - Hospizkultur und Palliativversorgung in Pflegeeinrichtungen des Landes NRW" in Bochum. Notwendig sei ein Richtungs- und Perspektivwechsel.

Kern ist Leiterin von ALPHA-Rheinland. ALPHA steht für "Ansprechstellen im Land NRW zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung".

Die Einrichtungen im Rheinland und Westfalen-Lippe hatten die Veranstaltung des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums organisiert.

Die Beschäftigten in den Pflegeeinrichtungen bräuchten palliative Kenntnisse, sagte Pflegeexpertin Kern. Gleichzeitig müssten sie auch in der Lage sein, die Angehörigen der Patienten zu begleiten.

"Wir müssen dafür kämpfen, dass sich der notwendige Zeitaufwand auch in der Personalplanung abbildet."

Vorrang für Patientenautonomie

Ein Spannungsfeld, in dem die Pflegenden sich bei der Betreuung von Schwerstkranken und Sterbenden bewegen, ist die Abwägung zwischen den etablierten Standards und der Autonomie und Lebensqualität der Pflegebedürftigen, sagte Kern.

So wollten viele Kranke nicht mehr umgelagert werden, die Pflegenden fürchteten aber einen Dekubitus. "Bei Sterbenden kann man auf die Dekubitusprophylaxe verzichten."

Die Beschäftigten bräuchten keine Angst zu haben, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen in diesen Fällen auf die Einhaltung der Expertenstandards poche, erläuterte Dr. Stephan Knoblich vom MDK Westfalen-Lippe.

"Es ist Konsens im MDK: Wenn die aktivierende Pflege zugunsten des Patientenwillens verlassen wird, wird das dem Heim nicht zum Nachteil gereichen", sagte er.

Pflegeheime würden immer mehr zu Sterbeorten, sagte NRW-Gesundheits- und Pflegeministerin Barbara Steffens (Grüne). In Deutschland stürben 30 Prozent der Bewohner innerhalb der ersten drei Monate nach Aufnahme in eine Einrichtung, 60 Prozent innerhalb des ersten Jahres. "Die Palliativversorgung wird zur Kernaufgabe von Pflegeheimen."

Schwerstkranke und Sterbende müssten sicher sein können, dass ihre Entscheidungen am Lebensende respektiert werden, sagte Steffens. Gleichzeitig müsse man dem Wunsch der meisten Menschen Rechnung tragen, in ihrer gewohnten Umgebung sterben und in Ruhe Abschied nehmen zu können.

"Die Palliativ- und Hospizversorgung mit der persönlich abgestimmten, individuellen Begleitung ist eine Antwort."

Steffens hält eine engere Vernetzung der Pflegeeinrichtungen mit Palliativteams und Hospizdiensten für notwendig. Dazu sollte auch die Veranstaltung in Bochum dienen, der fünf weitere folgen werden.

Die Resonanz war groß: 700 Vertreter aus Pflegeeinrichtungen sowie der Hospiz- und Palliativversorgung nahmen teil, 200 weitere standen auf der Warteliste.

"Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind", so Steffens.

Große Kooperationsbereitschaft

In Westfalen-Lippe werden die Palliativmedizinischen Konsiliardienste zunehmend bei Patienten in Pflegeeinrichtungen hinzugezogen, berichtete Dr. Ulrike Hofmeister vom Palliativnetz Münster.

Noch vor wenigen Jahren wäre der vordringliche Grund für einen Kontakt die drohende Klinikeinweisung gewesen. "Wir haben erreicht, dass wir mehr und früher eingeschaltet werden", sagte Hofmeister.

Alle Möglichkeiten auch der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung könnten in den stationären Pflegeeinrichtungen genutzt werden - ebenso wie in der häuslichen Umgebung.

Die Bereitschaft der Palliativärzte und -pflegekräfte zur Zusammenarbeit mit den Heimen sei groß, betonte die Ärztin. "Es ist ganz wichtig, dass die Netzwerkstrukturen, die wir im ambulanten Bereich haben, ausgeweitet werden." (iss)

Lesen Sie dazu auch: Kommentar zur Palliativversorgung: Guter Wille reicht nicht

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