Heute im Bundeskabinett

Das bringt und kostet das neue Pflegegesetz

Mit einem umfassenden Reformanspruch geht das Pflegestärkungsgesetz II einher, das vom Bundeskabinett am Mittwoch angeschoben wurde. Die Pflegeversicherung soll insgesamt gerechter werden.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Wer pflegebedürftig ist, soll von der Pflegereform profitieren - das hat seinen Preis.

Wer pflegebedürftig ist, soll von der Pflegereform profitieren - das hat seinen Preis.

© Andrea Warnecke/ dpa

BERLIN. Das Pflegestärkungsgesetz II, das am Mittwoch im Bundeskabinett verabschiedet worden ist, nimmt die Familie als zentrale Pflegeinstanz in den Blick.

Künftig sollen die Pflegekassen dauerhaft für diejenigen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen, die aus dem Beruf aussteigen, um Angehörige zu pflegen. Bislang waren dies auf sechs Monate begrenzt.

Kern des Gesetzespakets aber ist ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff , der Anfang 2017 in Kraft treten soll. Dieser soll gleichermaßen die somatisch bedingten Beeinträchtigungen ebenso wie kognitive oder psychische Fähigkeitsstörungen erfassen.

Ein neues Begutachtungsassessment soll sicherstellen, dass der Grad der Selbstständigkeit einer Person ressourcenorientiert erfolgt, unabhängig von der Art (somatisch oder kognitiv) der Einschränkungen.

Der bisherige Pflegebedürftigkeitsbegriff hingegen ist rein defizitorientiert und erfasst auch nicht alle Aspekte von Pflegebedürftigkeit.

Das neue Assessment mit fünf Pflegegraden soll besser als bisher Hinweise auf etwaige Präventions- oder Rehabedarfe eines pflegebedürftigen Menschen geben und ebenso eine verbesserte Grundlage für eine Versorgungsberatung liefern.

Anders als bisher muss nicht mehr zusätzlich eine "erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz" eines Pflegebedürftigen festgestellt werden, um Leistungsansprüche auszulösen.

Erprobungsstudien in 40 Pflegeheimen

Viele Pflegebedürftige, vor allem solche mit vorrangig kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen, würden in Folge des neuen Assesments "höhere Leistungsansprüche" erzielen, hieß es im Referentenentwurf vom Juni. Die Pflegeversicherung, so lautet das große Versprechen, werde "insgesamt gerechter".

Die Praktikabilität der neuen Vorgaben ist in zwei Erprobungsstudien in 40 Pflegeheimen mit 1600 Personen untersucht worden.

Ende April wurden die Ergebnisse der begleitenden Evaluation veröffentlicht. Zugleich nimmt das Bundesgesundheitsministerium den GKV-Spitzenverband mit einer Vorschaltregelung an die Kandare.

Angedockt an das Präventionsgesetz wurde die Selbstverwaltung verpflichtet, zügig die nötigen Begutachtungs-Richtlinien zu erarbeiten, die anschließend noch durch das BMG genehmigt werden müssen.

Auch bei der Pflegeberatung erhalten die Pflegekassen strengere Vorgaben. Nach dem Start der Reform sollen "zunächst vorrangig Antragsteller, die nach dem Stichtag erstmals Leistungen beantragen", nach dem neuen Verfahren begutachtet werden.

Dagegen werden die Anfang 2017 rund 2,8 Millionen Pflegebedürftigen "ohne erneute Begutachtung reibungslos in das neue System übergeleitet werden", heißt es im Entwurf von Juni.

Dabei würden alle Pflegebedürftigen, "die heute schon eine Pflegestufe haben, automatisch in einen höheren Pflegegrad eingestuft", hat der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), im Interview mit der "Ärzte Zeitung" erklärt.

Bis zu 500.000 Menschen könnten mit höheren Leistungen rechnen, hieß es. Für die Überleitung der Betroffenen von den Pflegestufen auf Pflegegrade sind im Zeitraum von vier Jahren Mehrkosten von 3,6 Milliarden Euro veranschlagt.

Polster von 6,6 Milliarden Euro

Der politisch verbriefte Bestandsschutz - das Versprechen, kein Pflegebedürftiger werde nach der Reform schlechter gestellt - kostet in der vollstationären Pflege einmalig 800 Millionen Euro.

Diese insgesamt 4,4 Milliarden Euro werden aus der Rücklage der Pflegeversicherung entnommen. Diese weist gegenwärtig ein Polster von 6,6 Milliarden Euro auf.

Der Beitrag zur Pflegeversicherung, der erst Anfang dieses Jahres um 0,3 Punkte gestiegen ist, soll ab 2017 nochmals um 0,2 auf dann 2,55 Prozent (2,8 Prozent für Kinderlose) steigen. Zusammen mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz spült das fünf Milliarden Euro pro Jahr mehr in die Pflegekassen. Allerdings sind auch die Mehrausgaben gewaltig. Allein für 2017 rechnet das BMG mit 3,74 Milliarden Euro zusätzlich - Beispiele:

In den Pflegegraden 2 bis 5 werden die Mehrausgaben für ambulante Geld- und Sachleistungen auf jährlich 1,59 Milliarden Euro taxiert.

Einheitlich 125 Euro monatlich gibt es für Pflegebedürftige zur Finanzierung zusätzlicher Betreuungs- und Entlastungsleistungen: 415 Millionen Euro Mehrausgaben.

Höhere Sachleistungen in der vollstationären Pflege addieren sich auf 210 Millionen Euro Mehrausgaben.

Durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff erhalten etwa 60.000 behinderte Personen in vollstationären Einrichtungen erstmals Pflegegrade 2 bis 5: 250 Millionen Euro zusätzlich.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Gröhes Mammut-Projekt

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