Kabinett gibt Startschuss

Zweite Stufe der Pflegereform gezündet

Das Pflegestärkungsgesetz II ist auf dem Weg, das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf verabschiedet. Im nächsten Jahr soll die umfassende Reform in Kraft treten - und ab 2017 dann vieles besser werden.

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:
Im Fokus stand Gesundheitsminister Hermann Gröhe bei der ersten Kabinettssitzung nach der Sommerpause.

Im Fokus stand Gesundheitsminister Hermann Gröhe bei der ersten Kabinettssitzung nach der Sommerpause.

© Kumm / dpa

BERLIN. Zufrieden stellte sich Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) am Mittwochvormittag der Presse, nachdem die Bundesregierung seinem Gesetzentwurf grünes Licht gegeben hatte.

Das Pflegestärkungsgesetz II sei ein Kraftakt, der zur Verbesserung der Situation nicht nur der Pflegebedürftigen, sondern auch der Angehörigen führe.

Vor allem der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neue Begutachtungsverfahren (beide sollen ab 2017 wirksam werden) sorgen nach Angaben von Gröhe dafür, dass besonders Menschen mit Demenzerkrankungen gleichberechtigt Zugang zu Pflegeleistungen erhalten.

Für die Verbesserungen, die das Gesetz Pflegebedürftigen und ihren pflegenden Angehörigen bringen sollen, stehen laut Gröhe ab 2017 jährlich rund fünf Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung.

Zudem soll die gesetzlich vorgeschriebene Dynamisierung der Leistungen um ein Jahr auf 2017 vorgezogen werden, sodass im kommenden Jahr weitere 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.

"Die finanzielle Situation der Pflegeversicherung macht es möglich, die Beitragssätze bis ins Jahr 2022 stabil zu halten - zwei Jahre länger, als bisher angenommen", betonte Gröhe.

Fünf Pflegegrade statt drei Pflegestufen

Künftig sollen Pflegebedürftige durch ein neues Begutachtungsverfahren in fünf Pflegegrade statt bisher drei Pflegestufen eingeordnet werden. Vorgesehen sind intensivere Befragungen der Betroffenen und Angehörigen, eine aktivere Einbindung als bisher etwa von Hausärzten ist aber nicht vorgesehen.

Nach Aussagen von Gröhe wird es weiter vor allem Aufgabe der Familie sein, für die richtige Einstufung des Angehörigen notfalls mit Widersprüchen zu kämpfen.

Der Gesundheitsminister betonte, dass die Unterstützung deutlich früher ansetzen soll als bisher. So könnten in den Pflegegrad 1 schon Menschen aufgenommen werden, die eine Pflegeberatung, den altersgerechten Umbau ihrer Wohnung oder allgemeine Betreuung benötigen. Mit 500.000 zusätzlichen Anspruchsberechtigten rechnet dadurch das Gesundheitsministerium.

Gröhe unterstrich, dass kein Pflegebedürftiger durch die Umstellung der Systematik schlechter gestellt werde. Jeder, der bereits Leistungen der Pflegeversicherung bekomme, erhalte diese "auch weiterhin mindesten in gleichem Umfang".

Ende 2016 sollen alle Pflegebedürftigen automatisch in die neuen Pflegegrade eingestuft werden, ohne neue Antragstellung und Begutachtung. Der Gesetzentwurf sieht dann allerdings vor, dass bis zum 1. Januar 2019 keine Wiederholungsgutachten mehr vorgenommen werden.

Pflegebedingter Eigenanteil liegt im Schnitt bei 580 Euro

Mit dem Gesetz will Gröhe auch die Menschen im stationären Bereich vor "Überforderung" schützen. "Bislang sind viele vor einer Neubegutachtung zurückgeschreckt, weil sie Angst hatten, in eine höhere Stufe zu kommen und dann einen höheren Eigenanteil zahlen zu müssen", sagte Gröhe.

Der Eigenanteil soll nun nicht mehr automatisch steigen, vielmehr ist vorgesehen, dass alle Pflegebedürftigen der Grade zwei bis fünf in einem Pflegeheim den gleichen Eigenanteil zahlen. Im Bundesdurchschnitt betrage dieser pflegebedingte Eigenanteil 580 Euro, so Gröhe.

Das Gesetz wird zudem die Rehabilitation in den Vordergrund rücken, um so Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder deren Verlauf positiv zu beeinflussen. Pflegekassen werden unter anderem dazu verpflichtet, Angehörigen kostenlose Pflegekurse anzubieten.

Grüne: "Es riecht nach Symbolpolitik"

Kritik am Gesetzentwurf kam von der Grünen-Bundestagsabgeordneten Elisabeth Scharfenberg. Zwar solle endlich ein Personalbemessungsverfahren eingeführt werden.

Dessen Entwicklung und Erprobung soll aber bis 2020 dauern. "Das riecht gewaltig nach Symbolpolitik. Das muss viel schneller gehen", so Scharfenberg.

Die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssten schnell verbessert werden. Sie forderte zudem die sofortige Abschaffung des "völlig nutzlosen" Pflegevorsorgefonds. Dieses Geld werde jetzt benötigt, so die Grünen- Abgeordnete.

Der Deutsche Hospiz- und Palliativverband (DHPV) bemängelte, dass "an keiner Stelle auf die Begleitung sterbender Menschen Bezug genommen" werde. Er forderte zudem, die Altenpflege fachlich-personell sowie finanziell adäquat auszustatten.

Lob von vdek und Kassen

Begrüßt wurde der neue Gesetzentwurf vom Verband der Ersatzkassen (vdek). Die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes und die neuen Pflegegrade seien "die wichtigsten pflegepolitischen Maßnehmen seit vielen Jahren", heißt es in einer Mitteilung.

Positiv äußerte sich auch die AOK Baden-Württemberg. Das Gesetz beende die Ungleichbehandlung von Menschen mit körperlichen Beschwerden und kognitiven Einschränkungen.

In die gleiche Richtung gehen Reaktionen des BKK-Dachverbandes. Er erwartet, dass auf Grundlage eines neuen Verständnisses von Pflege sogar innovative Pflegekonzepte "Fahrt aufnehmen" könnten.

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