Baden-Württemberg

600 Empfehlungen für bessere Pflegepolitik

Mitten im Wahlkampf legt der baden-württembergische Landtag den Bericht seiner Enquetekommission zur Pflege vor. Er enthält die pflegepolitischen Herausforderungen der Zukunft.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

STUTTGART. Der baden-württembergische Landtag hat die Ergebnisse seiner Pflege-Enquetekommission veröffentlicht: Nach 21-monatiger Arbeit haben die 15 Abgeordneten einen mehr als 1000 Seiten starken Bericht vorgelegt.

Der Bericht "Pflege in Baden-Württemberg zukunftsorientiert und generationengerecht gestalten" deckt sämtliche Aspekte der Pflegepolitik ab: Von der akutstationären Pflege im Krankenhaus bis zu Formen ambulanter oder (teil-)stationärer Altenpflege, Fragen der Pflegeberatung, der Aus- und Weiterbildung bis hin zu möglichen Formen der Aufwertung der Pflege im Vergleich zu den Heil- und Gesundheitsberufen.

Am 29. Januar wird der Landtag in einer Debatte den Bericht beraten. Die Länder hätten jenseits der Sozialgesetzbücher viele eigene Gestaltungsoptionen, sagte Bärbl Mielich, Landtagsabgeordnete der Grünen und Obfrau ihrer Fraktion in der Enquete, der "Ärzte Zeitung". Als Beispiel verwies sie auf die Ausgestaltung der Heimgesetze durch die Länder.

Es sei in der Enquete um die "langen Linien" jenseits der Tagespolitik gegangen, so Mielich. Sie zeigte sich überzeugt, eine gute Arbeit der Enquete erleichtere später die konkrete Regierungsarbeit.

Das wird allerdings Job der nächsten Landesregierung sein. Am 13. März wird im Südwesten ein neuer Landtag gewählt.

600 Handlungsempfehlungen

Pflege-Enquete in Baden-Württemberg

15 Abgeordnete des Landtags und vier ständige Sachverständige haben den Abschlussbericht in einem 21-monatigen Prozess erarbeitet. Die Beratungen dauerten vom April 2014 bis Januar 2016.

1012 Seiten umfasst der Bericht und enthält mehr als 600 Handlungsempfehlungen. Er ist als Landtagsdrucksache 15/7980 veröffentlicht worden.

In den 16 Sitzungen kamen insgesamt 57 Sachverständige und 26 Verbände zu Wort.

Die Empfehlungen sind sehr konkret gehalten. Allein 168 Handlungsempfehlungen beziehen sich auf Aspekte der Lebensgestaltung bei Pflege- und Unterstützungsbedarf.

Im Mittelpunkt der rund 600 Handlungsempfehlungen stehe die Frage, wie die Selbstbestimmung der Betroffenen in den verschiedenen Pflegesettings gestärkt werden kann, sagte Mielich.

In dem Bericht werden teils bemerkenswerte fraktionsübergreifende Konsense deutlich. Allerdings brechen sich auch tagespolitische Kontroversen in dem Bericht Bahn - ausgewählte Ergebnisse:

Personalausstattung: In der Altenpflege wie im Krankenhaus müsse der Personalschlüssel "an die Versorgungsrealität" angepasst werden. Für Kliniken solle die Bundesregierung eine "verbindliche gesetzliche Festlegung der Personalrichtwerte" prüfen. Nötig sei ein eigenes "Kostengewicht Pflege im DRG-System", damit der Pflegebedarf in der Finanzierungslogik abgebildet wird.

Pflegeausbildung: "Grundsätzlich" unterstützt die Enquete die Schaffung eines einheitlichen Pflegeberufsgesetzes. Dafür müssten die Belange der Altenpflege "adäquat berücksichtigt werden". Die FDP plädiert in einem Minderheitsvotum dafür, die Generalistik solle die Ausbildung "ergänzen statt ablösen".

Im Abschlussbericht werden größere Kompetenzen vor allem für die akademisierte Pflege als "unumgänglich" bezeichnet. Bei einer neuen Aufgabenverteilung müssten die "Vorbehaltsaufgaben bei der Heilbehandlung neu definiert" werden. Und: Die veränderten Aufgabenspektren müssten sich im "Budget der Leistungserbringer widerspiegeln".

Pflegekammer: Nur auf einen Minimalkonsens hat sich die Enquete beim Thema Verkammerung geeinigt. Die Entscheidung über das Für oder Wider könne nicht "ohne ein Votum der in der Pflege beschäftigten Personen getroffen werden", heißt es.

Schon das ging CDU und FDP zu weit: Sie plädieren dafür, die Entwicklung in anderen Bundesländern nur zu beobachten. Ende 2019 solle die Regierung dazu einen Bericht vorlegen.

Pflegeberatung: Die Enquete verteilt schlechte Noten an die Pflegekassen: Nur wenige von ihnen würden dem Anspruch wohnortnaher Pflegeberatung gerecht, heißt es.

Zudem seien die Beratungsangebote zu wenig bekannt. Unabhängig von den Kostenträgern und aufbauend auf die Pflegestützpunkte solle die Landesregierung ein "leistungsfähiges Beratungs- und Casemanagement" aufbauen.

Beratung müsse "kleinteiliger, mobiler und zugehender" werden. Defizitär wird auch die Situation bei der häuslichen Krankenpflege (HKP) beschrieben. Die Genehmigungspraxis der Kassen wirke "belastend".

Ärztliche Versorgung in Heimen: Die Enquete empfiehlt eine "attraktivere Vergütung" von Ärzten, die Heimbesuche machen. Nötig seien zudem einheitliche Verträge für die heimärztliche Versorgung.

Psychiatrische Versorgung: Die Kommission lehnt die "derzeit bekannten Parameter des PEPP ab". Die Entwicklung beim geplanten Pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik solle "aufmerksam und kritisch verfolgt werden".

Kranken- und Pflegekassen fordert die Enquete auf, integrierte Versorgungsangebote mit regionalen persönlichen Budgets für die ambulante psychiatrische Pflege zu entwickeln.

Pflegefinanzierung: Weil Konsens nicht auszumachen war, hat die Komission die jeweiligen Positionen zur Pflegefinanzierung von CDU und FDP einerseits sowie Grünen und SPD andererseits gegenübergestellt.

Wie auch auf Bundesebene votieren Letztere für die "Abkehr vom Zwei-Säulen-Modell aus sozialer Pflegeversicherung und privater Pflegeversicherung" zugunsten einer "Bürgerpflegeversicherung" - inklusive eines Finanzausgleichs zwischen Pflege- und Krankenversicherung.

CDU und FDP hingegen sprechen sich dafür aus, an der Dualität zweier Systeme festzuhalten. Das "Bewusstsein der Eigenvorsorge für den Pflegefall" müsse gestärkt werden, heißt es.

Ungeachtet der fehlenden Einigkeit in wichtigen Punkten zieht die grüne Abgeordnete Mielich eine positive Bilanz der Enquete und würde dieses Instrument auch Kollegen in anderen Landtagen empfehlen.

"Wir haben uns als Mitglieder der Enquete ein deutlich höheres Fachwissen erarbeitet - das ist gut für künftige Entscheidungen."Die baden-württembergische Enquete-Kommission hat unterdessen einen Nachfolger erhalten - in Sachsen.

Dort ist das Gremium jüngst unter dem Arbeitstitel "Sicherstellung der Versorgung und Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege älterer Menschen im Freistaat Sachsen" eingesetzt worden und hat vergangene Woche zum ersten Mal getagt.

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