Trotz Mangel an Fachkräften

Keine Qualitätseinbußen in der Pflege

Eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts RWI kann für Pflegekräfte keine steigende Belastung messen. Die Einigung auf Personalmindestgrenzen stößt bei den Betroffenen aber auf große Zustimmung.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen und Christiane BadenbergChristiane Badenberg Veröffentlicht:
Viele Pflegekräfte fühlen sich überlastet. © Mathias Ernert

Viele Pflegekräfte fühlen sich überlastet. © Mathias Ernert

© Mathias Ernert

KÖLN. Der Rückgang bei der Zahl der Pflegekräfte in den Krankenhäusern hat bislang keinen negativen Einfluss auf die Patientenversorgung in den Kliniken gehabt. Zu diesem erstaunlichen Ergebnis kommt eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts RWI und der Universität Bielefeld im Auftrag der Techniker Kasse (TK).

"Wir können bei der Versorgungsqualität keinen Einbruch feststellen", sagte Studienleiter Professor Boris Augurzky vom RWI bei der Vorstellung der Studie auf dem "Gesundheitskongress des Westens 2017" in Köln. Erst kurz zuvor hatten sich Bund und Länder darauf verständigt, für bestimmte Bereiche der stationären Versorgung Untergrenzen beim Pflegepersonal einzuführen.

Keine Qualitätseinbußen

Die Wissenschaftler haben den Pflegebereich im Zeitraum 2002 bis 2014 unter die Lupe genommen. Laut Augurzky hat sich die Belastung des Pflegepersonals in dieser Zeit nicht signifikant verändert. Bei den Daten zur stationären Qualitätssicherung ließ sich keine Verschlechterung feststellen, etwa bei der Dekubitusrate oder postoperativen Wundinfektionen.

"Wenn wir die Krankenhausdaten nehmen, haben wir keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Pflege und Qualitätsmaßen", sagte er. Feststellbar sei allerdings eine höhere Unzufriedenheit bei den Pflegekräften.

Augurzky sieht aber keinen Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Angesichts des absehbaren Fachkräftemangels hält er Anstrengungen für notwendig, um das vorhandene Pflegepotenzial zu aktivieren. "Wir müssen alles tun, um die Pflege attraktiver zu machen, aber nicht durch pauschale Mindestvorgaben."

"Wir brauchen mehr Daten"

Da es offenbar Bedenken wegen der Pflegequalität gibt, müsse der Bereich transparenter werden. Das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) sollte sich des Themas annehmen, sagte er.

Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der TK, Thomas Ballast, bezeichnete die Studienergebnisse als überraschend. "Dem gefühlten Pflegemangel kommt man offensichtlich mit Daten, Zahlen, Fakten nicht auf die Spur", sagte er. Die Pflegequalität im Krankenhaus müsse zum Gegenstand der Versorgungsforschung werden, forderte Ballast.

"Wir brauchen mehr Daten, mehr Forschung", sagte auch der Vorsitzende des Pflegerates Nordrhein-Westfalen Ludger Risse. Er glaubt, dass die Studie ein falsches Bild vermittelt. Die von den Pflegekräften beklagten Mängel könne man nicht einfach ignorieren, so Risse.

Positives Echo nach Einigung auf Pflegeuntergrenzen

Insgesamt war die Einigung auf Pflegeuntergrenzen auf ein eher positives Echo gestoßen – vor allem bei Pflege- und Ärzteverbänden. Kritisch äußerte sich dagegen die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). "Die von der Politik nun vorgesehenen Anhaltszahlen gehen weit über den akzeptablen Rahmen hinaus. Dies gilt insbesondere für den Nachtdienst", kommentierte DKG-Präsident Thoams Reumann die Entscheidung, die von Bundesgesundheitsministerium, Koalitionsfraktionen und Bundesländern gemeinsam getroffen wurde.

Der Personalbedarf sei nicht schematisch festlegbar, sondern abhängig von den Erkrankungen der Patienten sowie deren Alter. Zudem müssten derartige Vorgaben die Alltagsprobleme des Personaleinsatzes, etwa Krankheitszeiten, berücksichtigen. "Deshalb dürfen Anhaltszahlen auch nicht mit Sanktionen wie Schließung von Stationen oder Vergütungskürzungen belegt werden", forderte Reumann.

Opposition: Wahlkampfmanöver

Kritisch äußerten sich auch Vertreter der Opposition über den Beschluss. "Warum man die Festlegung von Mindestpersonalstandards gerade in die Hände der Akteure legt, die ein finanzielles Interesse daran haben, die Kosten möglichst klein zu halten, erschließt sich nicht", so die Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik der Grünen im Bundestag, Elisabeth Scharfenberg, und ihr Fraktionskollege und Obmann im Gesundheitsausschuss, Dr. Harald Terpe, in einer gemeinsamen Erklärung.

Die Vereinbarung sieht vor, dass die Selbstverwaltung von Krankenhäusern und Kassen bis 30. Juni 2018 Personaluntergrenzen für die entsprechenden Bereiche beschließen müssen. Die Koalition versuche lediglich auf den letzten Metern ihre schlechte Bilanz noch ein wenig zu überschminken, doch das sei leider nur Wahlkampfgetöse, urteilen die beiden.

Der Sprecher für Krankenhauspolitik der Links-Fraktion, Harald Weinberg, nannte die Vorschläge der Expertenkommission enttäuschend. "Bis Anfang 2019 soll in den Krankenhäusern erst einmal überhaupt nichts passieren, und was dann kommt, bleibt völlig im Dunkeln."

Pflegeuntergrenzen

- Für besonders pflegeintensive Bereiche , Intensivstationen und den Nachtdienst sollen ab 2019 Personaluntergrenzen gelten. Darauf haben sich das Bundesgesundheitsministerium, die Koalitionsfraktionen und die Bundesländer geeinigt.

- Die Selbstverwaltung von Kliniken und Kassen werden gesetzlich verpflichtet, bis zum 30. Juni 2018 Vereinbarungen zu Untergrenzen für die entsprechenden Bereiche zu schließen.

- Werden Untergrenzen nicht eingehalten, haben die Kliniken mit Sanktionen zu rechnen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Richtige Entscheidung

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