Versorgungsalltag

"Die Niere von Zimmer 4" unter der Lupe

Sprache kann Menschen entwürdigen. Und wo könnte die Gefahr größer sein als im Medizinbetrieb mit all seinen Zwängen und Widersprüchen?

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"Die Niere von Zimmer vier": Gehört diese entwürdigende Formulierung immer noch zur Alltagskommunikation in Pflegeheimen und Krankenhäusern? Bei einer Veranstaltung zum Hauptstadtkongress wurde klar, dass dieser Sprachgebrauch heutzutage im Arbeitalltag wohl eher unüblich ist.

Keinen Zweifel ließen die Teilnehmer allerdings, dass subtilere Formen von verbaler Diskriminierung im deutschen Medizinbetrieb weit verbreitet sind.

Schwäche und Kontrollverlust

Weshalb kann gerade im Kontext der Gesundheitsversorgung die Würde von Menschen leicht verletzt werden? Professor Ralph Stöcker aus Bielefeld nannte mehrere Gründe: Schwäche und Kon- trollverlust der Patienten, Abhängigkeit mit potenziell entwürdigenden Auswirkungen auf Lebensumstände, oder auch die Degradierung zum bloßen Objekt.

Stöcker ließ keinen Zweifel, dass das Thema Würde nicht ausschließlich auf die Ansprüche der Patienten fokussiert werden darf: "Eine Institution oder ein System, das die Arbeitsverhältnisse so konstruiert, dass sich Mitarbeiter gezwungen fühlen, die Würde des Patienten zu missachten, verletzt auch die Würde der Mitarbeiter", sagte er.

Dr. Rainer Norden vom Evangelischen Klinikum Bethel richtete den Fokus auf die Realität in Krankenhäusern: Sie sei geprägt von steigenden Fallzahlen und immer kürzerer Verweildauern, immer mehr älteren Menschen mit höherem pflegerischem Betreuungsbedarf.

Auch die damit verbundenen ökonomischen Zwänge dürften nicht unterschätzt werden. In diesem Umfeld entstehe leicht die Gefahr, dass die Würde buchstäblich auf der Strecke bleibe.

Was bedeutet gesundes Altern in Würde? "Der kranke Mensch hat immer noch Elemente von Gesundheit, die es zu fördern gilt", sagte Professor Ursula Lehr. Die 87-jährige Gerontologin, Psychologin und Ex-Gesundheitsministerin verknüpfte ihren Vortrag mit einem politischen Appell. Sie forderte eine Aufwertung der Gerontologe und Geriatrie in den medizinischen Berufen.

Reha bietet Chancen

Nicht jeder verwirrte Patient sei dement, sagte sie. Gerade die Rehabilitation biete häufiger Chancen als vermutet. Lehr wies darauf hin, dass das im Alltag subjektiv wahrgenommene Verhalten des Arztes und der Pflegekräfte von großer Bedeutung für das Gesundheitsgefühl der Patienten selbst sei.

Für ältere Menschen müsse das Prinzip der Ermutigung gelten, forderte Lehr: "Der Patient hat die Chance, seine Situation durch eigenes Zutun zu verändern – und sei es auch nur in kleinsten Teilbereichen." (fuh)

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