Harsche Kritik an Koalitionsplänen

Scheitert das Präventionsgesetz?

Die Koalitionspläne für eine bessere Gesundheitsvorsorge in Deutschland stoßen auf breite Kritik und Ablehnung. Auf dem BVÖGD-Kongress ließen viele kein gutes Haar am Präventionsgesetz - womöglich scheitert es sogar.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:
Prävention soll hochgehalten werden - doch wie, daran scheiden sich die Geister.

Prävention soll hochgehalten werden - doch wie, daran scheiden sich die Geister.

© Gabriele Rohde/fotolia.com

BERLIN. Kein Lob, sondern nur scharfe Kritik erntet Schwarz-Gelb für das geplante Präventionsgesetz. Schlimmstenfalls könnte es sogar in der Versenkung verschwinden, denn die Länder drohen damit, es im Bundesrat scheitern zu lassen.

"Das Gesetz reicht nicht aus", sagte Anita Tack (Linke) am Freitag bei einer Podiumsdiskussion auf dem 63. Kongress des Bundesverbands der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD) in Berlin.

Die brandenburgische Gesundheitsministerin ist derzeit die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz und drohte: "Wenn das Gesetz so kommt wie jetzt geplant, wird es nicht erfolgreich sein."

Stellungnahme des Bundesrates

In einer Beschlussempfehlung wird der Gesetzentwurf als "vollkommen unzureichend" kritisiert. Die Vorlage von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sei "von einem überholten und engen Verständnis von Gesundheitsförderung und Prävention geprägt, das überwiegend auf individuelle Verhaltensänderungen und risikopräventive Leistungen abzielt".

Auf diese Weise werde es nicht möglich sein, Gesundheitsförderung und Prävention "im Alltag und in den Lebenswelten der Bürger zu verankern", kritisiert der Gesundheitsausschuss. Bisherige Programme würden "vollständig ausgeblendet", Länder und Kommunen "ungenügend" einbezogen, heißt es weiter.

Der Bundesrat gehe davon aus, dass sich die Überarbeitung des Gesetzentwurfs an der Entschließung vom 22. März orientiert. Darin wird für die "Schaffung eines Bundespräventions- und Gesundheitsförderungsgesetzes" plädiert. Länder und Kommunen wird in dem Papier eine Schlüsselrolle für die Organisation und Steuerung von Prävention und Gesundheitsförderung zugewiesen.

Die Länder wollen notfalls ihre rot-rot-grüne Mehrheit im Bundesrat ausspielen, wenn die Koalition nicht noch deutlich nachbessert. Tack: "Ich würde das Gesetz eher nicht zu einem Ende bringen, weil es die Erwartungen nicht erfüllt."

Aus SPD-Kreisen war bereits Ende Januar bekannt geworden, dass die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat genutzt werden sollen, um das Präventionsgesetz zu stoppen.

Das Gesetz ist zwar im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig, die SPD-Ländermehrheit könnte jedoch den Vermittlungsausschuss anrufen. Der Gesundheitsausschuss der Länderkammer fällte ein vernichtendes Urteil über das Präventionsgesetz.

Öffentlicher Gesundheitsdienst kommt im Gesetzentwurf nicht vor

Auch Deutschlands Amtsärzte sind unzufrieden mit den derzeitigen Koalitionsplänen: Sie wollen in die Präventionsstrategie aktiv eingebunden werden und reklamieren für sich den besten Zugang, vor allem zu Kindern und sozial Schwachen.

Tatsächlich ist im jetzigen Gesetzentwurf keine Rede vom öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), die Maßnahmen sind vor allem bei den Krankenkassen und der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) angesiedelt.

"Es ist nicht verständlich, warum der öffentliche Gesundheitsdienst im Gesetz keine Rolle findet", monierte Tack unter tosendem Applaus der Kongressbesucher.

Die Einbindung des ÖGD forderte auch Maria Klein-Schmeink von den Grünen: "Mein Grundverständnis von Prävention hat sehr viel mit den Kommunen zu tun. Prävention kann sich nicht nur auf das SGB V stützen."

Die Krankenkassen bliesen ins gleiche Horn. "Wir können nicht alleine tätig werden", sagte Ulrike Elsner vom Verband der Ersatzkassen (vdek). Schon heute arbeiteten die Kassen erfolgreich mit dem Gesundheitsdienst zusammen, etwa bei der Jugendzahnpflege oder beim Impfen - "mit guten Ergebnissen".

Elsner: "Wir sollten wieder stärker ins Geschäft kommen. Der ÖGD hat den besseren Zugang."

Diese Forderung unterstrich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). "Prävention darf nicht in die Beliebigkeit einer Satzungsleistung abgeschoben werden", kritisierte Vize Regina Feldmann den Gesetzesentwurf, der sie "ein bisschen enttäuscht" habe.

Auch forderte sie mit Blick auf bestehende Kooperationen: "Wir würden gerne mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst zusammenarbeiten."

Rolle der niedergelassen Ärzte wird skeptisch betrachtet

Geht es nach dem Willen von Schwarz-Gelb, sollen die niedergelassenen Ärzte ihre Patienten zur Prävention ermuntern. Ob der "gute Ratschlag vom Doktor" allerdings der richtige Weg ist, darüber zeigten sich Kongressteilnehmer skeptisch.

Feldmann sagte: "Ich kann dem Patienten ein Formular in die Hand drücken, oder ich kann ihm sagen: Gehen Sie doch bitte zu dieser und jener Person im öffentlichen Gesundheitsdienst. Wir sind bereit, unseren Teil zu leisten."

Die KBV-Vize betonte aber: "Es wäre schade, wenn das Gesetz verabschiedet würde, weil dann viele Jahre nichts passiert."

Vernichtend fällt das Urteil von Professor Ansgar Gerhardus aus, der Public Health an der Uni Bremen unterrichtet: "Es wäre besser, das Gesetz nicht zu machen, weil es kontraproduktiv ist."

Ihn stört der "verhaltensorientierte" Ansatz bei den geplanten Maßnahmen. "Aus der Forschung wissen wir, dass sie die gesundheitliche Ungleichheit vergrößern."

Auch die Rolle der niedergelassenen Ärzte sieht Gerhardus, der selbst Arzt ist, skeptisch. "Da wird der alleinerziehenden Mutter empfohlen, besser zu kochen, sich mehr zu bewegen und weniger Stress zu haben."

Fraglich sei, ob die ärztlichen Botschaften von Patienten angenommen werden. "Gerade Ärzte sind nicht geeignet, mit sozial Benachteiligten über Prävention zu sprechen."

Wegen ihres Sozialstatus und der unterschiedlichen Sprachebene würden sie von vielen Betroffenen schlicht kaum akzeptiert.

Lenkt der Bund ein?

Gerhardus bezweifelte außerdem, dass das Konzept der Eigenverantwortung, das sich "wie ein roter Faden durch den Gesetzesentwurf zieht", der richtige Weg ist: "Dafür gibt es keine wissenschaftliche Basis".

Das sieht auch Länderministerin Tack so: "Prävention, da ist die Ländermeinung fast mehrheitlich, ist eben nicht Sache jedes Einzelnen." Prävention gehört für sie zur öffentlichen Daseinsvorsorge.

Prävention gehört für sie zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie drängt daher auf einen Länderfonds, aus dem Präventionsmaßnahmen gefördert werden sollen. Mit der rot-rot-grünen Karte in der Länderkammer will sie diese Ideen in die Beratung einbringen.

Schlecht stehen die Chancen nicht, dass Schwarz-Gelb im Bundestag zumindest an der einen oder anderen Stelle nachgibt. Denn andernfalls dürfte der Gesetzentwurf im Vermittlungsausschuss landen und das Ende dieser Legislaturperiode nicht überstehen.

Die Gefahr sieht auch die Koalition. Nach Informationen der "Ärzte Zeitung" hat es ein Vier-Augengespräch zwischen Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) und GMK-Chefin Tack gegeben. Offenbar soll es am Freitagmorgen eine Telefonschalte der Landesgesundheitsminister gegeben haben, bei der über mögliche Änderungen gesprochen wurde.

"Am Ende macht es Sinn, sich die Einwände aus dem Bundesrat anzusehen", sagte auch Rudolf Henke. Der Chef des Marburger Bundes vertrat auf der Podiumsveranstaltung als CDU-Abgeordneter die Position von Schwarz-Gelb. Seine Aussage klingt nach einem leisen Zeichen des Entgegenkommens.

Mitarbeit: Rebecca Beerheide, Sunna Gieseke, Florian Staeck

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Gelbe Karte für den Bund

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