HIV

Hausärzte sollen testen!

Die Rate neuer HIV-Infektionen ist zwar stabil geblieben. Doch die Zahl der Menschen, die noch nichts von ihrer Infektion wissen, ist erschreckend hoch. Jetzt sollen mehr Menschen zum Test ermuntert werden.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Gefährliche Kugel: das HI-Virus.

Gefährliche Kugel: das HI-Virus.

© Springer Verlag

NEU-ISENBURG. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) begleitet die Entwicklung der HIV-Epidemie in Deutschland mit einer umfangreichen Kampagne schon seit dem Jahre 1987, als sie mit dem noch immer gültigen Motto "Gib Aids keine Chance" an den Start ging.

Seit drei Jahren rückt nun die Aktion "Positiv zusammen leben!" aus Anlass des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember auf ihren Plakaten Menschen mit HIV in den Blick der Öffentlichkeit, etwa wie im vergangenen Jahr mit der Motivzeile: "Ich habe HIV. Und den Rückhalt meiner Freunde."

In diesem Jahr lautet der Themenschwerpunkt der Aktion der BZgA und des Bundesministeriums für Gesundheit "HIV in der Arbeitswelt". Sie wird in Partnerschaft mit der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Stiftung umgesetzt.

Auf einem von insgesamt vier Motiven sind zum Beispiel ein HIV-positiver Unternehmer aus Berlin und seine Mitarbeiterin zu sehen mit dem Zitat: "Ich habe HIV. Und die Solidarität meiner Angestellten."

Solidarität mit Infizierten gefordert

Wie wichtig eine solche Aktion ist, verdeutlicht Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr einer BZgA-Mitteilung zufolge so: "In unserem Land sind zwei Drittel aller rund 78.000 HIV-positiven Menschen berufstätig. Aber noch immer sind Ausgrenzung oder berufliche Benachteiligungen reale Gefahren, wenn sie sich dem Kollegenkreis oder den Vorgesetzten anvertrauen."

Bahr: "Wir brauchen mehr Aufklärung und Unterstützung am Arbeitsplatz, um Menschen mit einer HIV-Infektion ein normales Leben zu ermöglichen. So hat unter anderem die Firma Ford das Problem erkannt und macht mit Aktionsmaterialien an allen Standorten HIV/AIDS zum Thema. Das zeigt vorbildlich, wie Arbeitgeber ein offenes Klima für HIV-Positive schaffen und Benachteiligungen im Arbeitsleben abbauen können."

Nach einem Anstieg der Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland zwischen den Jahren 2000 und 2005 hat sich seit 2006 ein Plateau gebildet. Den Schätzungen von Wissenschaftlern des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin zufolge haben sich im vergangenen Jahr etwa 3400 Menschen mit dem Aids-Erreger infiziert.

Mit etwa 3000 (75 Prozent) sind weitaus die meisten der Betroffenen Männer, von denen sich etwa 2500 (74 Prozent) bei Sex mit Männern angesteckt haben. 270 Männer und 360 Frauen haben sich auf heterosexuellem Wege mit HIV infiziert.

Die geschätzte Gesamtzahl der HIV-infizierten Menschen in Deutschland seit Beginn der Epidemie Anfang der 1980er-Jahre liegt bei 94.000. Etwa 27.000 HIV-Infizierte sind in diesem Zeitraum an den Folgen der Infektionskrankheit gestorben.

Beunruhigend ist die Tatsache, dass in Deutschland Schätzungen zufolge etwa 14.000 Menschen leben, die mit dem Aids-Erreger infiziert sind, aber nichts von ihrer Infektion wissen. Dadurch wird das Risiko erhöht, dass sich das Virus weiter ausbreitet.

Das Robert Koch-Institut geht davon aus, dass ungefähr 25 Prozent dieser Menschen sich erst im vergangenen Jahr mit dem HI-Virus infiziert haben.

Und in Europa mit etwa 2,4 Millionen HIV-Infizierten liegt die Zahl derer, die sich unwissentlich mit dem Virus angesteckt haben, geschätzt zwischen 800.000 und 900.000, wie vor kurzem aus Anlass einer Tagung der Initiative "HIV in Europe" berichtet worden ist.

Je früher eine HIV-Infektion bekannt ist, umso besser kann man sich auch auf mögliche antiretrovirale Therapiestrategien vorbereiten.

Aber den jüngsten Zahlen zufolge wird in Deutschland nur bei einem Drittel der Betroffenen die Infektion bereits innerhalb des ersten Jahres nach der Ansteckung diagnostiziert, bei den übrigen Infizierten erst später, manchmal erst, wenn Aids-assoziierte Symptome auftreten.

Das deckt sich mit den Ergebnissen der aktuellen COHERE-Studie (Collaboration of Observational HIV Epidemiological Research Europe), der zufolge der Anteil derjenigen, bei denen die HIV-Infektion sehr spät diagnostiziert wird - sogenannte "late presenters" -, in den vergangenen Jahren zwar zurückgegangen, aber dennoch recht hoch ist (PLoS 2013; 10/9: e1001510).

Plädoyer für kostenlose Tests

Von knapp 85.000 HIV-Infizierten aus insgesamt 35 Ländern waren in der Studie fast 54 Prozent "late presenter", etwa weil bei ihnen bereits innerhalb von einem halben Jahr nach der HIV-Diagnose Aids diagnostiziert worden war.

Das RKI spricht sich für ein verstärktes Angebot von "ausreichend niedrigschwelligen" und möglichst kostenlosen Testmöglichkeiten aus, um HIV-Infektionen frühzeitig entdecken zu können.

Professor Jens Lundgren, Leiter des Kopenhagener HIV-Programms und einer der COHERE-Studienautoren, ermutigt vor allem Hausärzte dazu, bei entsprechendem Verdacht Patienten eher als bisher zu einem HIV-Test zu ermuntern, zum Beispiel wenn bei ihnen Hepatitis, Tuberkulose oder eine Candidaösophagitis diagnostiziert wird.

Vorbild ist dabei die Situation bei Schwangeren. Fast 99 Prozent aller schwangeren Frauen in Europa würden inzwischen auf HIV getestet, um eine Infektion des ungeborenen Kindes verhindern zu können, so Lundgren.

Weltweit hat sich die HIV-Lage innerhalb der vergangenen mehr als zehn Jahre deutlich verbessert. Zwar haben sich im Jahre 2012 etwa 2,3 Millionen Menschen neu mit dem Aids-Erreger infiziert. Das sind aber 33 Prozent weniger als im Jahr 2001. Insgesamt gibt es derzeit etwa 35 Millionen HIV-Infizierte.

Aufgrund der weltweit immer besser verfügbaren antiretroviralen Therapie ist die Zahl der Menschen, die an den Folgen von Aids gestorben sind, seit dem Jahre 2005 um 30 Prozent gesunken.

Der Direktor von UNAIDS, dem Programm der Vereinten Nationen zu HIV/Aids, Michel Sidibé, ist zuversichtlich, das Ziel des UN-Rahmenprogramms "Treatment 15" zu erreichen: Im Jahr 2015 sollen weltweit bereits 15 Millionen HIV-infizierte Menschen eine antiretrovirale Behandlung erhalten. Ende vergangenen Jahres waren es allerdings erst etwa zehn Millionen.

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