Gastbeitrag

Prävention ist mehr als Plakate zu drucken

Krankheiten zu verhindern ist allemal besser als sie zu heilen. Doch viele Versuche haben frustrierend geringe Erfolge gebracht. Dabei ist längst bekannt, wie es gut funktionieren kann, schreibt unser Gastautor. Plakate und TV-Spots jedenfalls reichen ihm nicht.

Von Prof. Rolf Rosenbrock Veröffentlicht:
Plakat zur Aids-Aufklärung: Nicht der Weisheit letzter Schluss in der Prävention.

Plakat zur Aids-Aufklärung: Nicht der Weisheit letzter Schluss in der Prävention.

© Peter Endig / dpa

Vorbeugen ist besser als Heilen. Das stimmt. Strittig ist: Wie macht man das? Beim Impfen, also beim medizinischen Arm der Prävention funktioniert das insgesamt ausgezeichnet. Überhaupt haben Medizin und Pharmazie die Infektionskrankheiten in reichen Ländern - trotz MRSA und trotz Masern - gut unter Kontrolle.

Prof. Rolf Rosenbrock

Rolf Rosenbrock, Wirtschaft-, Sozial- und Gesundheitswissenschaftler, ist Professor für Gesundheitspolitik an der Charité in Berlin.

Er leitete von 1988 bis 2012 die Forschungsgruppe Public Health im Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), war von 1999 bis 2009 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR-G) und ist seit 2012 Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes - Gesamtverband.

Ehrlicherweise muss man aber dazusagen, dass der große Sieg über die Seuchen des 19. Jahrhunderts nicht primär ein Sieg der Medizin war: als es in des 1940er Jahren endlich wirksame Impfungen und Medikamente gegen die Tuberkulose gab, waren die Erkrankungs- und Sterberaten an dieser Geißel der Menschheit in Europa bereits um mehr als 90 Prozent gegenüber ihren je gemessenen Höchstwerten zurückgegangen.

Dieser Sieg war nicht primär die Folge von ärztlicher Behandlung oder der Erfolg von Gesundheitserziehung, sondern das Ergebnis besserer Bildung, unverdorbener Lebensmittel, besserer Arbeitsbedingungen und Stadtsanierung.

Heute freilich geht es kaum noch um Infektionskrankheiten, 70 Prozent des Erkrankungs- und Sterbegeschehens (und auch der Versorgungskosten) erklären sich aus den bekannten wenigen, sehr großen, durchweg chronisch-degenerativ verlaufenden Erkrankungen.

Ihre Manifestation kann - theoretisch - zu einem sehr großen Teil verhütet, zumindest in höhere Lebensalter verschoben werden. Versuche, dies mit Information, Ermahnungen, Beratung, Sanktionen und Belohnung zu erreichen, brachten und bringen frustrierend geringe Erfolge. Dabei ist sehr wohl bekannt, wie es gehen kann.

Prävention muss in den Lebenswelten ansetzen

In tausenden Betrieben wird es erfolgreich vorgemacht: Den Beschäftigten selber wird dort die Möglichkeit geboten, darüber zu beraten und zu entscheiden, wie ihre Arbeitssituation durch organisatorische und technische Veränderungen angenehmer werden kann, ohne die Produktivität zu senken.

Sie werden direkt einbezogen und erleben auf diesem Wege, dass sie selbst an ihrer Lebenswelt im Betrieb etwas verändern können. Das stärkt das Selbstwertgefühl und vermittelt auch das Gefühl, im Austausch und Zusammenwirken mit der Arbeitsgruppe Missstände abstellen und Verbesserungen durchsetzen, kurz: etwas bewirken zu können.

Dieses Erleben ist für die Gesundheit genauso wichtig wie die realen Veränderungen im Betrieb, die sich dabei stets ergeben. Im Ergebnis sinkt der Krankenstand in der Regel um circa ein Drittel, und zwar für nahezu alle Krankheiten und für lange Zeit. Gleichzeitig steigen bei den Beteiligten auch die Motivation und die Kraft, im persönlichen Lebensstil achtsamer und freundlicher mit sich selbst zu sein, zum Beispiel bei der Bewegung und beim Essen, und auch beim Rauchen.

Dahinter steckt kein Geheimnis, sondern die wissenschaftlich gesicherte Tatsache, dass Prävention dann erfolgreich ist, wenn sie in den Lebenswelten der Zielgruppen ansetzt und sie von vorn herein als die eigentlichen Experten ernst nimmt und einbezieht.

Viele Beispiele zeigen, dass dieser Ansatz nicht nur in Betrieben, sondern auch in KiTas, Schulen und Altenheimen, sozialen Brennpunkten und im Freizeitbereich erfolgreich ist. Dort erreicht Prävention auch sozial benachteiligte Gruppen und hilft dabei, die in Deutschland sehr große - und weiter zunehmende - sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen zu verringern.

Nötiger Wille, alle Beiteiligten zum Mitmachen zu bringen

Im Grunde nicht anders funktioniert die Aids-Prävention, bei der im Zusammenspiel zwischen staatlichen Stellen und Selbsthilfe die Anzahl der Neuinfektionen seit Jahrzehnten auf einem im Europa-Vergleich rekordverdächtig niedrigen Niveau gehalten wird.

Diesen Ansatz in Politik zu übersetzen, bedeutet mehr, als Plakate drucken, TV-Spots zu schalten oder den Ärzten eine Gebühr für Gesundheitsberatung zu bescheren.

Seine breite Anwendung würde zwar nicht sehr viel Geld erfordern. Aber sie setzt den politischen Willen voraus, alle Beteiligten in Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Medizin und Sozialversicherungen zum Mitmachen zu bringen und auf Präventionsziele zu verpflichten - durch Aufklärung, Anreize und auch durch Vorschriften.

Denn in Deutschland gibt es circa hunderttausend KiTas und Schulen, ein paar Millionen Betriebe und viele tausend soziale Brennpunkte.

Derzeit laufen die Beratungen für das im Koalitionsvertrag angekündigte Bundespräventionsgesetz. Nach dem Scheitern 2005, 2008 und 2013 ist das immerhin der vierte Anlauf. Ihm ist Erfolg zu wünschen. Auch weil darin vorgesehen ist, den größten Teil der verfügbaren Gelder für partizipativ gestaltete Interventionen in Lebenswelten einzusetzen.

Das ist zwar primär keine Aufgabe für Ärztinnen und Ärzte. Aber die Erfolgsaussichten steigen, wenn die Medizin als wichtiger Anwalt der Gesundheit der Bevölkerung auch den nicht-medizinischen Arm der Prävention stärkt.

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