Adipositas

Plädoyer für bariatrische Operationen

In Deutschland sind chirurgische Eingriffe bei Adipositas eher selten. Dabei zeigen Untersuchungen, dass die Lebensqualität deutlich gesteigert werden kann.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:

NORDERSTEDT. Für die Bekämpfung von Adipositas fehlt es den westlichen Industrienationen nach Meinung von Experten an geeigneten übergreifenden Strategien. Neben der Komplexität der Erkrankung behindern die Fokussierung auf Insellösungen und intransparente Entscheidungsprozesse bei der Kostenübernahme von Therapiemöglichkeiten Fortschritte.

Diese Ursachen nannten Fachleute auf dem neunten Adipositas Symposium in Norderstedt, das von Johnson und Johnson Medical ausgerichtet wurde.

"Adipositas ist eine komplexe Krankheit mit vielen unterschiedlichen Ursachen und Ausprägungen. Diese Komplexität ist einer der Gründe dafür, dass bisher weder in den USA noch in den europäischen Ländern eine übergreifende, umfassende Strategie zur Bekämpfung von Adipositas implementiert wurde", sagte etwa Professor David Cummings von der Uni Washington.

Deutschland sehen viele Experten schlechter aufgestellt als seine Nachbarländer.

110 Prozent Anstieg in 15 Jahren

4,5 Millionen Menschen in Deutschland haben einen BMI von über 35, bei 1,4 Millionen von ihnen liegt der BMI über 40. Diese Zahl der Betroffenen ist in den vergangenen 15 Jahren um 110 Prozent gestiegen. Initiativen zur Bekämpfung von Adipositas sind in aller Regel aber nur regional fokussiert, außerdem legen Krankenkassen unterschiedliche Maßstäbe an.

Für Betroffene bedeuten dies oft langwierige Diskussionen mit den Kostenträgern - obwohl die Kassen die Dringlichkeit des Problems erkannt haben.

"Immer mehr Menschen in Deutschland sind übergewichtig und adipös. Vielen von ihnen ist nicht einmal bewusst, dass Adipositas schwerwiegende Folgen für ihre Gesundheit haben wird", sagte DAK-Vorstandsmitglied Thomas Bodmer.

Er warnte vor einer Stigmatisierung der Betroffenen und forderte, Adipositas als ernstzunehmende Erkrankung, und nicht als "Lifestyle-Problem" einzustufen. Allein auf Prävention zu setzen wäre nach Ansicht vieler Teilnehmer in Norderstedt fahrlässig. Neben Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapien forderten sie, chirurgische Therapien einzubeziehen.

Op-Häufigkeit in Deutschland

Laut Oliver Martini vom gastgebenden Unternehmen liegt Deutschland bei bariatrischen Operationen mit 8,8 je 100 000 Einwohner im europäischen Vergleich im unteren Drittel. Ungewöhnlich hoch ist die Zahl in Belgien (107,2), gefolgt von Schweden (77,9) und Frankreich (56,5). Auch innerhalb Deutschlands gibt es große Unterschiede. Am höchsten ist der Anteil in Berlin (41 je 100 000) und Hamburg (36), am geringsten im Saarland und Sachsen-Anhalt.

Martini stellte auch Daten aus dem aktuellen Report der Economist Intelligence Unit (EIU) vor, den Johnson und Johnson in Auftrag gegeben hatte.

 Eine der Ursachen für Versorgungsprobleme und die regionalen Unterschiede in Deutschland ist laut Studie, dass die Krankenkassen bei ihren Finanzierungsentscheiden keine langfristige Perspektive einnehmen. Investitionen erfordernde Therapieprogramme scheitern laut Martini auch an der Befürchtung, dass die Krankenkasse damit einen Zusatzbeitrag auslösen würde.

Speziell bariatrische Chirurgie leidet laut Martini an der reinen Kostenbetrachtung. Eine Berechnung zeigt, dass die Investition in die bariatrische Chirurgie die Kosten im Vergleich zur konservativen Therapie nicht senkt und die Kosten ohne jede Behandlung darunter bleiben.

Erst unter Einbeziehung des Faktors Lebensqualität der Betroffenen zeigen sich die Vorteile der bariatrischen Chirurgie. In allen untersuchten Ländern werden damit deutliche Fortschritte bei den Betroffenen erzielt.

Manche Ärzte zeigten sich ernüchtert, dass die Kostenfrage mögliche Fortschritte für Adipositas-Patienten immer wieder behindert. Eine Ärztin konstatierte: "In der Onkologie würde kein Mensch auf die Idee kommen, die Fortschritte aus Kostengründen zu hinterfragen."

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