IKKen beklagen

Morbi-RSA bestraft Präventionsbemühungen

Der Streit um eine Reform des Risikostrukturausgleichs verschärft sich: Innungskassen halten das Instrument für eine Präventionsbremse. Der AOK-Bundesverband widerspricht.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Prävention lohnt sich für Kassen nicht, betonen die IKKen,

Prävention lohnt sich für Kassen nicht, betonen die IKKen,

© Robert Kneschke / fotolia.com

BERLIN. Der Kostendruck und die Gefahr steigender Zusatzbeiträge verschärfen den Verteilungskampf zwischen Krankenkassen.

Zentraler Instrument der Verteilung von Geld aus dem Gesundheitsfonds ist der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA). Sechs Innungskrankenkassen haben am Dienstag ein Gutachten vorgelegt, das diesen Streit befeuert.

Ihre zentrale These: Kassen, die sich um die Gesundheit ihrer Versicherten bemühen und in Prävention investieren, werden durch die Verteilungsmechanismen des Morbi-RSA bestraft.

Das geht aus der Expertise des Wissenschaftlichen Instituts für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung hervor.

Fünf Innungskassen hatten den Wissenschaftlern Daten von rund 6,2 Millionen Versicherten aus den Jahren 2010 bis 2014 zur Verfügung gestellt.

Verglichen wurden Leistungsausgaben und Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds einerseits für eine "Präventionsgruppe" und andererseits eine Gruppe von Präventionsmuffeln. Die "Präventionsgruppe" hat beispielsweise an Bonusprogrammen, primärpräventiven Angeboten oder Schutzimpfungen teilgenommen.

Weniger Ausgaben durch Prävention

Es wurden nur Versicherte untersucht, die 2010, dem Startjahr der Untersuchung, keine Krankheiten aufwiesen, bei denen die Leistungsausgaben über den Risikostrukturausgleich gesondert ausgeglichen wurden. So sollte die Wirkung der Primärprävention analysiert werden.

Im Zeitverlauf bis 2014 beobachteten dann die Wissenschaftler, wie viele Versicherte in den beiden Gruppen bestimmte Krankheiten neu entwickelten.

Ergebnis: Die gesundheitsbewusste und präventionsaffine Versichertengruppe wies pro Jahr durchschnittlich 70 Euro geringere Leistungsausgaben auf als ein Versicherter ohne Prävention.

Ursächlich dafür, so die Studienautoren, waren insbesondere weniger stark steigende Leistungsausgaben für die stationäre Versorgung und für Arzneimittel.

Anders entwickelten die Zuweisungen, die die Kassen aus dem Fonds erhalten. Im Jahr 2011 war Prävention noch "lohnend": Die Leistungsausgaben lagen um rund 13 Euro je Versicherten über den Zuweisungen. Danach kippte der Deckungsbetrag sukzessive ins Minus, sodass die präventionsaffinen Versicherten 2014 im Schnitt um rund 36 Euro "teurer" waren als die Präventionsmuffel.

"Präventionsanreize werden untergraben"

Dadurch werden "Präventionsanreize systematisch untergraben", monierte Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des Dachverbands IKK e.V. Die Innungskassen hätten 2014 "aufgrund des nicht leistungsgerechten Ausgleichs von Präventionsaufwendungen über 40 Millionen Euro aus eigenen Mitteln finanzieren" müssen, sagte Wollseifer.

Finanziell sei gegenwärtig der Ausbau präventiver Angebote der Innungskassen nicht nur unattraktiv. Im Gegenteil: Durch Einsparungen bei den Ausgaben für Primärprävention ließen sich sogar Überschüsse erwirtschaften.

Als Konsequenz des Gutachtens sprachen sich die sechs Innungskassen dafür aus, "Präventionsanreize" im Finanzausgleich zu stärken:

Die Berücksichtigung der Volkskrankheiten bei der Auswahl der 80 Krankheiten besonders teuren Erkrankungen soll zurückgenommen werden. Beispielsweise Diabetes Typ 2, Hypertonie oder COPD ließen sich durch Prävention vermeiden oder zumindest günstig beeinflussen.

Geändert werden müsse die bisher pauschale Berücksichtigung der Präventionsausgaben: Hier sollten sich die Zuweisungen für Primärprävention stärker an den realen Ausgaben der jeweiligen Kassen orientieren.

AOK: "Abwegige Behauptung"

Der AOK-Bundesverband wies den Vorstoß des IKK-Systems postwendend zurück: Die Behauptung, der Finanzausgleich sei präventionsfeindlich, "ist vollkommen abwegig", sagte AOK-Verbandschef Martin Litsch.

Der Morbi-RSA sei "nie fairer als heute" gewesen. Kurzfristigem Drehen an einzelnen Stellschrauben erteilte Litsch eine Absage. Nötig sei eine Gesamtevaluation des Kassenausgleichs durch den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesversicherungsamt.

In einem internen Diskussionspapier des AOK-Verbands, das der "Ärzte Zeitung" vorliegt, heißt es, die Innungskassen versuchten eine "Schlacht von gestern" zu schlagen.

Bereits vor Einführung des Morbi-RSA im Jahr 2009 hätten alle damaligen Spitzenverbände der Kassen es "einhellig" abgelehnt, präventible Krankheiten als eigenes Kriterium in den Finanzausgleich aufzunehmen -  auch die Innungskassen.

Gewarnt wird in dem AOK-Papier davor, den Kassenausgleich mit "versorgungspolitischen Aufgaben zu überfrachten".

Durch Anreize für Prävention werde eine "Primärfunktion" des RSA gefährdet: die Risikoselektion zu Lasten bestimmter Versichertengruppen zu verhindern.

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