Impfstoff gibt es seit zehn Jahren

Viel Irreführung rund um HPV-Impfung

Die Chance, Mädchen und junge Frauen durch die seit nun zehn Jahren mögliche HPV-Impfung vor Zervixkarzinom zu schützen, bleibt in Deutschland überwiegend ungenutzt. Es fehlt eine Impfstrategie, Kritiker verbreiten Verunsicherung.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
HPV-Impfung bei einem Mädchen. Nach der jüngsten STIKO-Empfehlung können schon Neunjährige geimpft werden.

HPV-Impfung bei einem Mädchen. Nach der jüngsten STIKO-Empfehlung können schon Neunjährige geimpft werden.

© Brian Chase / iStock / Thinkstock

NEU-ISENBURG. Als vor zehn Jahren der Impfstoff gegen Humane Papilloma-Viren zugelassen und auf dem deutschen Markt eingeführt wurden, herrschte zunächst Euphorie.

Die Aussicht, einer bei Frauen meist früh auftretenden Krebserkrankung vorbeugen, ja diese sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit vermeiden zu können, war auch ein Politikum.

Endlich ein scharfes Instrument in der Präventionsmedizin - das war die große Hoffnung. Richtig ist: Der HPV-Impfstoff Gardasil wurde in der Einführungsphase 2007/2008 in der Hauptstadt auch politisch "vermarktet" - es war, nicht zuletzt aufgrund der sensiblen Zielgruppe der Mädchen - ein gesellschaftspolitisches Thema.

Schließlich hatten auch versorgungspolitisch relevante Institutionen wie die Ständige Impfkommission (STIKO) und der Gemeinsame Bundesausschuss über den Einsatz zu entscheiden.

Die aufkeimende Präventions-Euphorie zeigte sich auch daran, dass - noch bevor die Ständige Impfkommission ihre wissenschaftlichen Empfehlungen abgegeben hatte - etliche Krankenkassen vorpreschten und die Kostenübernahme zusagten.

Bei einem Preis von rund 450 Euro für die empfohlene Dreifach-Impfung war dies ein entscheidendes Moment dafür, relativ rasch hohe Durchimpfungsraten zu erreichen. Sehr schnell wurde die Impfung zu einem "Renner".

Das lag aber auch an einem statistischen Effekt, weil in der Startphase mehrere Jahrgänge gleichzeitig geimpft wurden.

Nachhaltig wirkendes "Impf-Manifest" verunsichert

Einen in Deutschland nachhaltig wirkenden Dämpfer erhielt die HPV-Impfung, als Ende 2007 eine Gruppe von 13 Wissenschaftlern um den Arzt und Gesundheitsökonomen Ansgar Gerhardus ein kritisches Manifest veröffentlichte.

Einer der zentralen Kritikpunkte war, dass der Impfstoff in den klinischen Studien nicht auf den Endpunkt "Vermeidung von Zervixkarzinom" geprüft worden war - stattdessen ein Surrogatparameter als Indikator für die Wirksamkeit gewählt worden war.

In der Tat ist die Wirksamkeit der Impfung gegen das Zervixkarzinom nicht bekannt. Solche Daten zu ermitteln, würde 20 bis 30 Jahre dauern. Keine Ethikkommission würde eine klinische Studie mit diesem Endpunkt genehmigen.

Betrachtet man allerdings den Zehn-Jahres-Zeitraum, in dem die HPV-Impfung nun zur Verfügung steht, so ist der internationale Trend eindeutig: Alle relevanten Experten-Kommissionen, die Empfehlungen zum Einsatz der Impfung abgeben, tendieren zu möglichst frühzeitiger Impfung.

So hat auch die STIKO, die die Impfung ursprünglich für zwölf- bis 17-jährige Mädchen empfohlen hatte, 2014 das Alter auf neun Jahre gesenkt. Dies könnte erklären, dass der Umsatz mit HPV-Impfungen im Jahr 2015 um 14 Prozent auf 106 Millionen Euro gestiegen ist.

Aber das ist nur ein gradueller Erfolg: Vollständig geimpft sind nur 39,5 Prozent der 14- bis 17-jährigen Mädchen. Dabei zeigt sich nach den KIGGS-Daten des Robert Koch-Instituts ein inverser sozialer Gradient: Bei mittlerem und niedrigem Sozialstatus sind 41 Prozent der Mädchen geimpft, bei hohem Sozialstatus nur 32 Prozent.

Kostendebatte mit falschen Argumenten

Ursächlich dafür ist in Deutschland aber auch eine desolate Präventionspolitik: In Großbritannien und Australien wurde die HPV-Impfung in Form von Schulprogrammen konsequent durchgesetzt. Derartiges gibt es - seit der Ausrottung von Polio - in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr.

Stattdessen lamentieren Impfkritiker wie der Münchner Pädiater Dr. Martin Hirte über angeblich hohe Kosten für Impfungen, "die in anderen Bereichen wieder eingespart werden" müssten.

Eine - bewusste? - Irreführung: Kosten für Impfungen einschließlich des ärztlichen Honorars laufen in der gesetzlichen Krankenversicherung extrabudgetär - sie schmälern weder weder anderer Stelle das Arzthonorar noch das Budget der Krankenhäuser, wie Hirte erst kürzlich laut dpa behauptet haben soll.

Der Gesundheitsökonom Professor Rolf Rosenbrock vermutet eine höhere Effizienz bei einem konsequent ausgebauten konventionellen Früherkennungsprogramm auf das Zervixkarzinom - und behauptet, das frei werdende Geld könne dann eingesetzt werden für partizipativ gestaltete Setting Programme.

Just dazu mussten die Krankenkassen durch das Präventionsgesetz ausdrücklich verpflichtet werden - ohne dass ihnen das zuvor verboten war.

Tatsache ist: Die Ausgaben für alle Impfstoffe und die Honorare der impfenden Ärzte machen gerade einmal 0,7 Prozent des GKV-Gesamtbudgets aus und stehen nicht in Konkurrenz zu anderen Leistungen.

Und zu bedenken ist: Keine andere Form der Prävention hat nachweislich eine derart gute Evidenz für ihre Wirksamkeit wie die Impfung.

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