Selektivverträge

Zwiespältige Bilanz zu DMP, IV und Co.

Selektivverträge oder Kollektivvertrag? Ein gleichberechtigtes Nebeneinander soll es geben, sagen Experten. Doch der Nutzen neuer Vertragsformen lässt sich bisher nur schwer messen.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Leuchtturm der integrierten Versorgung: das (Gesunde) Kinzigtal.

Leuchtturm der integrierten Versorgung: das (Gesunde) Kinzigtal.

© imagebroker / imago

BERLIN. Sind neue Vertragsformen wie Integrierte Versorgung (IV), Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) oder Disease-Management-Programme (DMP) ein Erfolg? Experten aus dem Gesundheitswesen haben am Dienstag in Berlin eine zwiespältige Bilanz gezogen.

Demnach lässt sich über den Erfolg der Vertragsformen bislang wenig sagen. Aber einen Weg zurück zum reinen Kollektivvertrag werde es nicht geben, vielmehr müsse an den Rahmenbedingungen und den Vertragsformen weiter gefeilt werden, so das Fazit.

Zu einer Bewertung fehle es vor allem an aussagekräftigen Daten, bemängelte Professor Thomas Gerlinger, Gesundheitswissenschaftler an der Universität Bielefeld. Entweder fehle es an klaren Aussagen zum Nutzen dieser Vertragsformen oder die Urteile über deren Qualität widersprächen sich.

Die IV-Verträge seien zum Beispiel in ihrer Reichweite deutlich eingeschränkt. Jeder zweite Vertrag ist nur auf einen Sektor ausgelegt; die Mehrheit davon widmet sich der ambulanten Nachbehandlung von chirurgischen Eingriffen.

Auch bei der HzV mangelt es an aussagekräftigen Daten zum gesundheitlichen Outcome. Zudem sei es den Krankenkassen kaum möglich, so Gerlinger, die mit den Hausärzten getroffenen Vereinbarungen - wie etwa kurze Wartezeiten oder ausführliche Arzt-Patienten-Gespräche - in der Praxis zu kontrollieren.

Daten und Fakten

Rund 10.300 Disease-Management-Programme laufen derzeit, etwa sechs Millionen Versicherte waren Ende 2012 darin eingeschrieben.

Die Zahl der Verträge in der Integrierte Versorgung lag 2011 bei rund 6400. Knapp zwei Millionen Patienten nahmen daran teil; das Ausgabenvolumen lag bei rund 1,3 Milliarden Euro.

Laut Deutschem Hausärzteverbandes, wurden bislang 545 Verträge zur Hausarztzentrierten Versorgung zwischen verschiedenen Krankenkassen und Ärztegruppen abgeschlossen.

Die DMP schnitten vergleichsweise besser ab, etwa aufgrund deren sektorenübergreifender Ausgestaltung oder durch die hohe Patientenzufriedenheit. Gleichwohl gebe es hier auch widersprüchliche Befunde über die Versorgungsqualität.

So konnten in einer Befragung zwei Drittel der Patienten nicht benennen, ob und welche Veränderungen sie gegenüber einer Behandlung in der Regelversorgung erfahren hatten.

Mehr Wettbewerb gleich bessere Versorgung?

Als Hindernis für die Entwicklung der neuen Vertragsformen nannte Gerlinger das erschütterte Vertrauen seitens der Politik. Die schwarz-gelbe Regierung habe den Vertragswettbewerb in den vergangenen Jahren nicht weiter vorangetrieben.

"Alle Länder und Parteien sind skeptisch, ob mehr Wettbewerb und damit mehr Selektivverträge tatsächlich zu einer besseren Versorgung führen", sagte Gerlinger. Zudem hielten einzelne Gesundheitspolitiker für erhebliche Teile der Versorgungslandschaft Selektivverträge für nicht geeignet.

Positiver beurteilte etwa Hausärzteverbands-Chef Ulrich Weigeldt die Entwicklung der Selektivverträge. Über Selektivverträge könnten deutlich differenziertere Vereinbarungen getroffen werden als über den Kollektivvertrag.

Er wünschte sich aber mehr Verlässlichkeit bei den Rahmenbedingungen und Klarheit bei der Kostenübernahme. So sei es ein Ärgernis, dass Krankenkassen, die sich finanziell engagierten, dafür innerhalb des Systems "angefeindet" würden, so Weigeldt.

Nebeneinander von Kollektiv- und Selektivverträgen

Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbandes, skizzierte das "gleichberechtigte Nebeneinander von Kollektiv- und Selektivverträgen" als Ziel.

Er empfahl, intensiver an den Zielen und der Ausgestaltung der Vertragsformen zu feilen: "Das System muss dialog-bereiter werden. Schon ein kleiner Zuwachs in den Einschreibezahlen kann große Wirkungen nach sich ziehen."

Eine Aufgabe der Zukunft sei es, so Knieps weiter, über die Sicherstellung neu nachzudenken: "Die Bundesländer, die Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen müssen das gemeinsam regeln sowohl für den ambulanten wie auch für den stationären Bereich und die Rehabilitation."

Ähnlich argumentierte Professor Volker Amelung von der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Selektivverträge hätten eine "Strahlwirkung" und beeinflussten so auch die Qualität der Kollektivverträge.

Bei Hausarztverträgen sieht er noch "Luft nach oben" und forderte "gut organisierte, schlüssige Versorgungskonzepte". Ökonomische Anreize würden oft überbewertet.

Es gebe zu viele kleinteilige Verträge, kritisierte Amelung. Um die Qualität der Vertragslandschaft zu messen, müsse diese zunächst umfangreicher werden. Zudem müsse Klarheit geschaffen werden, was wie beurteilt werden kann.

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