ZNS-Erkrankungen

Aus der IV-Idee wurde Ernüchterung

Die integrierte Versorgung wäre ideal für Patienten mit ZNS-Krankheiten. Doch die Realisierung scheint außerordentlich schwierig, vieles bleibt fragmentarisch. Aber es gibt Lichtblicke.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Der Drehtüreffekt ist eine gefürchtete Nebenwirkung einer nach Sektoren getrennten Versorgung.

Der Drehtüreffekt ist eine gefürchtete Nebenwirkung einer nach Sektoren getrennten Versorgung.

© Ilan Amith / fotolia.com

KÖLN. Ein Patient mit Psychose wird nach dem Krankenhaus-Aufenthalt entlassen und soll in der Tagesklinik weiterbehandelt werden. Dort gibt es aber lange Wartezeiten. Auch einen niedergelassenen Psychiater, der ihn zu Hause besuchen würde, findet der Mann nicht.

Solche Fälle sind keine Ausnahme, weiß Gudrun Schliebener. "Es gibt nach wie vor extreme Brüche zwischen der stationären, teilstationären, ambulanten und Reha-Versorgung", sagt die Vorsitzende des Bundesverbands der Angehörigen psychisch Kranker (BApK).

"In unserem zergliederten System fehlen vernünftige Übergangsregeln." Gerade schwer psychisch kranke Patienten und ihre Angehörigen sind häufig nicht in der Lage, selbst dafür zu sorgen, dass sie die notwendige Behandlung erhalten.

In die integrierte Versorgung setzte der BApK lange Zeit große Hoffnungen. "Bereits vor zehn Jahren haben wir unsere Anforderungen an die integrierte Versorgung formuliert." Inzwischen ist Schliebener ernüchtert. "Kaum ein Modell entspricht auch nur in Ansätzen unseren Forderungen."

Regionale Versorgungspfade

Die vorhandenen Ansätze seien nur punktuell. Häufig dominiere der Fokus auf die Kostensenkung. "Die integrierte Versorgung ausschließlich auf die Vermeidung von Klinikaufenthalten auszurichten, wird den Kranken nicht gerecht."

Bei der Versorgung von schwer psychisch Kranken gibt es bislang nur regionale Insellösungen und Verträge, die nur einzelne Aspekte der Versorgung aufgreifen, bestätigt der Vorsitzende des ZNS-Spitzenverbands und des Berufsverbands Deutscher Nervenärzte Dr. Frank Bergmann. "Was wir brauchen, sind Modelle für die gesamte psychiatrische Versorgung."

Sie müssten Psychiater und Nervenärzte, Hausärzte, Psychotherapeuten, Psychiatrische Institutsambulanzen und Kliniken einbeziehen. Es gehe nicht prioritär um die Schaffung neuer Strukturen, sondern um Anreize, sich in den bestehenden und bewährten Strukturen besser zu verzahnen, sagt er.

"Kooperative Versorgungsmodelle sind kurzfristig möglich, wenn entsprechend flexible finanzielle Rahmenbedingungen geschaffen werden."

Bergmann setzt auf die Entwicklung regional abgestimmter Behandlungspfade. Sie hält auch Dr. Iris Hauth, President Elect der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, für zwingend notwendig.

"Für die qualitativ hochwertige Versorgung brauchen wir verbindliche regionale Versorgungspfade, damit wir die Konkurrenz in der Versorgung überwinden."

Das Hamburger Modell

So, wie es zurzeit meist ist, darf es nicht bleiben, sagt Hauth. "Für schwerst psychisch Kranke ist die Abschottung der Sektoren eine Katastrophe. Durch nicht definierte Schnittstellen gehen Patienten verloren."

Im "Hamburger Modell" werden Patienten mit einer schweren Psychose durch Behandlungsteams aus dem Arbeitsbereich Psychosen der Uniklinik Hamburg-Eppendorf in Zusammenarbeit mit rund 20 niedergelassenen Psychiatern engmaschig und aufsuchend betreut.

"Es geht darum, eine Behandlungskontinuität zu erreichen, die Behandlungsqualität zu erhöhen und Ressourcen effektiv zu nutzen", berichtet Professor Martin Lambert, Leiter des Arbeitsbereichs Psychosen.

Die bislang sechseinhalbjährige Erfahrung in dem Modell zeige, dass dies möglich ist. "Die Patienten müssen viel weniger ins Krankenhaus und sind zufriedener mit der Therapie."

Die Erfahrungen in Hamburg zeigten, dass der Konkurrenzgedanke und der Kampf um Ressourcen überwunden werden können, sagt Lambert. "Man muss die Beteiligten an einen Tisch bekommen und von der strukturierten Zusammenarbeit überzeugen."

Im "Hamburger Modell" erhält die Klinik von den beteiligten Krankenkassen eine Jahrespauschale pro Patienten und finanziert daraus auch die Leistungen der Niedergelassenen.

Bei vernetzten Versorgungsmodellen ist die Verteilung der Mittel häufig ein Problem, weiß Bergmann vom ZNS-Spitzenverband. Beim Aufbau regionaler Versorgungsstrukturen muss es zwingend einen für alle akzeptablen Interessenausgleich zwischen Kliniken und niedergelassenen Ärzten geben, fordert er.

Das Hauptproblem liege aber an einer anderen Stelle, betont er: an der erheblichen Unterversorgung in der Behandlung und Betreuung psychisch Kranker. "Eine bessere Versorgung lässt sich nicht nur durch neue Kooperationsstrukturen erreichen, sondern braucht auch zusätzliches Geld."

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