Gastbeitrag

Tötung auf Verlangen wird durch gute Palliativversorgung überflüssig!

"In einem Vierteljahrhundert Palliativversorgung habe ich selbst viel erleben und lernen müssen. Ich habe gelernt, den Patientenwillen zu respektieren. Und ich habe gelernt, dass ich ohne assistierten Suizid auskomme."

Von Thomas Sitte Veröffentlicht:

"Ärzte nehmen häufig einen früheren Tod des Patienten in Kauf, um Krankheitssymptome in der letzten Lebensphase zu lindern." Das ist eine Schlagzeile in der Presse, die sich auf eine jetzt veröffentlichte Studie von Medizinethikern der Ruhr-Universität Bochum bezieht und kommentiert werden muss. Die zugrunde liegende Frage in der Studie war, ob im Rahmen einer Symptomkontrolle am Lebensende möglicherweise durch die Therapie auch eine Lebensverkürzung eingetreten sein könnte.

Übereilte Schlüsse aus einer interessanten Studie

Welcher Arzt kann Nebenwirkungen völlig ausschließen, wenn er Schwerstkranke und Sterbende behandelt? Welcher Chirurg kann bei der Entlastungsoperation beim terminalen Ileus sicher sagen, dass er den Tod nicht beschleunigt hat, wenn der Patient bald nach der Operation stirbt? Hier werden übereilte Schlüsse aus einer hochinteressanten Umfrage gezogen. Denn die wichtigste Aussage lautet: Palliativmediziner sagen von sich seltener als andere Ärzte, dass sie den Tod möglicherweise beschleunigt haben. Ganz spannend würde es, wenn man untersucht, inwieweit die Expertise dieser Palliativmediziner und eine klare Einbindung in einem Palliative Care Team eine nochmalige Änderung in der Bewertung nach sich ziehen.

Denn dann wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer entscheidenden Aussage kommen: Töten als "Sterbehilfe" wird durch gute Palliativversorgung überflüssig! Für die Verbreitung dieses Wissens kämpfen wir mit der Deutschen PalliativStiftung. Hospizarbeit und Palliativversorgung sind Hilfe im Sterbeprozess, durch sie lindert man Beschwerden, steht Verzweifelten bei.

Menschen, die mit Schwerstkranken eng umgehen, werden zu Beginn dieser Behandlungen immer wieder mit der Bitte konfrontiert, ihnen aktiv "beim Sterben zu helfen". So bin ich selbst oft gebeten worden, als Arzt "eine Spritze zu geben". Aus der Praxis wissen erfahrene und gut eingespielte Palliativ Care Teams, dass der Wunsch zur Lebensverkürzung oft aus Verzweiflung und dem Nicht-Wissen um die Möglichkeiten der Palliativversorgung gestellt wird. Alle wirklich in der Begleitung schwerstkranker Kinder und Erwachsener Erfahrenen wissen, dass wir alle körperliche Symptome lindern können.

Der Wert unserer Gesellschaft misst sich daran, wie wir mit unseren Schwerstkranken umgehen, die am Leben leiden und sich nicht wehren können, vielleicht nur nicht lästig fallen wollen. Es gibt furchtbare und für alle Beteiligten extrem belastende Verläufe. Wenn der Patient es wünscht, kann ein Palliativsystem eine sogenannte "Palliative Sedierung" zur Symptomkontrolle machen. Diese Behandlung hat medizinisch und juristisch mit "Sterbehilfe" nichts gemeinsam! Die Rechtslage dazu ist seit Jahren schon eindeutig. Der Patientenwille ist entscheidend. Der Patient muss aktiv in eine Behandlung einwilligen, nach seinem Willen muss eine eingeleitete Behandlung jederzeit beendet werden. Eine Weiterbehandlung gegen den Patientenwillen ist eine strafbare Körperverletzung. Es ist nicht nötig, aktiv zu töten. Wenn ein Mensch in schwerster Krankheit den erlösenden Tod herbei sehnt, darf er selbstbestimmt jede künstliche Lebensverlängerung ablehnen. Auch Suizid ist nicht strafbar. Ich kann dieses Bestimmungsrecht über mein Leben aber nicht an Zweite abgeben. Ich muss im Wortsinne selbst Hand an mich legen. Will ich mir nicht beim Weiterleben helfen lassen und bin ich so mutlos, dass ich sterben will, so darf ich mich straffrei selbst töten, Therapien ablehnen, Therapien beenden (lassen) und lebenserhaltende Maßnahmen einstellen (lassen). Aber eine Tötung darf ich niemals delegieren.

Es geht auch ohne "Sterbehilfe light"

In einem Vierteljahrhundert Palliativversorgung habe ich gelernt, dass ich ohne assistierten Suizid, ohne "Sterbehilfe light" durch den oft üblichen unkontrolliert gesteigerten Dauertropf oder aktive Sterbehilfe in Form von Tötung auf Verlangen auskomme. Ich habe schwerste "Fälle" zuhause begleitet. Entscheidend: Wir waren immer für die Patienten und ihre Familien da.

Dem Wunsch Folge zu leisten, getötet zu werden, ist eine ethische Entscheidung auf der Grundlage der uns eigenen Moralvorstellungen. Sie ist niemals medizinisch zu begründen. Möglicherweise gilt auch am Lebensende: keine Regel ohne Ausnahme. Aber diese Ausnahmen sind so selten, so unvorhersehbar, so kaum vorstellbar, dass sie weder plan- noch regelbar sind. Auch und gerade nicht durch Vorschriften und Gesetze.

www.palliativstiftung.de/

Mehr zum Thema

Personalie

Bundesverdienstkreuz für Ulf Sibelius

Kritik an „Suizidtourismus“ in den USA

Mehrere US-Bundesstaaten wollen Beihilfe zum Suizid erlauben

Ethische Fragen

Wille oder Wohl des Patienten – was wiegt stärker?

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen