Sterbehilfegesetz

Ärzte und Juristen suchen die Realität

Fachleute - auch aus der Ärzteschaft - haben das geplante Sterbehilfegesetz zerpflückt. Der Ansatz blende die Wirklichkeit in Deutschland aus. Die Rede ist von "systemwidrigen" Plänen und einem Geschäft mit dem Tod.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Zimmer der Sterbehilfeorganisation Dignitas in Zürich.

Zimmer der Sterbehilfeorganisation Dignitas in Zürich.

© Gaetan Bally/dpa

BERLIN. Experten haben den Gesetzentwurf gegen die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung scharf kritisiert. Dabei gingen die Meinungen jedoch weit auseinander.

Ein Teil der Fachleute forderte bei der Expertenanhörung des Bundestagsrechtsausschusses vergangene Woche in Berlin eine deutliche Verschärfung des Entwurfs.

Insbesondere die Bundesärztekammer (BÄK) und die Deutsche Hospiz Stiftung forderten, jede Form der organisierten Sterbehilfe unter Strafe zu stellen, auch die nicht kommerzielle. Andere Experten kritisierten den Entwurf im Grundsatz.

Der umstrittene Entwurf des FDP-geführten Bundesjustizministeriums sieht vor, die kommerzielle Bereitstellung von Gelegenheiten zur Selbsttötung zu verbieten.

Angehörige oder andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen hingegen sollen sich nicht strafbar machen, wenn sie nur Teilnehmer an der Tat sind und selbst nicht gewerbsmäßig handeln.

Aus Sicht der Bundesärztekammer (BÄK) sendet der Gesetzentwurf ein "falsches Signal". Es entstehe "der Eindruck, dass die Schwelle für einen Suizid herabgesetzt wird.

Dies muss unter allen Umständen vermieden werden", sagte BÄK-Juristin Marlis Hübner.

Hintergrund des Einwandes ist, dass Organisationen wie zum Beispiel Dignitas Deutschland e. V. als nicht profitorientiert gelten und somit auch nicht von dem Gesetzentwurf erfasst würden.

Daher sei zu befürchten, dass auch bisher gewerbsmäßig handelnde Organisationen auf gemeinnützige Organisationsformen ausweichen, sagte Hübner.

Ähnlich argumentierte der Chef der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch: "Stellt man nur bezahlte Sterbehilfe unter Strafe, macht man damit die kostenlose Beihilfe salonfähig."

Gesellschaftliche Probleme nicht gelöst

Er forderte, den Entwurf weiter zu fassen. Derzeit führe die gewählte Gesetzesformulierung zu problematischen Lücken. Der Entwurf erfasse nicht die organisierte, wiederholt durchgeführte und nicht kommerzielle Suizidbeihilfe, die es in Deutschland aber vor allem gebe.

Er plädierte deshalb dafür, das Kriterium der Gewerbsmäßigkeit zu streichen. Der Mediziner Rainer Feynhagen begrüßte den Entwurf grundsätzlich. Es bleibe den Strafrechtlern überlassen, inwieweit eine Ausweitung jenseits des Tatbestands "gewerbsmäßig" notwendig sei.

Die Rechtswissenschaftler Frank Saliger und Rosemarie Will gingen in ihren Kritiken viel weiter. Es sei "systemwidrig, die Beihilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen", da bei Straflosigkeit des Suizids auch die Anstiftung oder Beihilfe dazu straflos sein müssten, betonte Saliger.

Der Gesetzgeber ignoriere die "realen Tätigkeiten existierender Sterbehilfevereine".

Stattdessen bekämpfe er "diffuse Bilder" eines verwerflichen "Geschäfts mit dem Tod". Dies führe zu "rein moralischen Strafnormen", die in ihrer Wirkung symbolisch bleiben müssten.

Die Berliner Juristin Will kritisierte eine verfehlte gesellschaftspolitische Zielsetzung des Entwurfs. Die auftretenden Probleme der Sterbebegleitung würden durch den Entwurf "in keiner Weise gelöst".

Sie würden vielmehr verdrängt und zum Teil kriminalisiert, so Will, die auch Mitglied des Bundesvorstands der Humanistischen Union ist.

Die erste Lesung des Entwurfs Ende November war von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt vonstatten gegangen. Es gab keine Debatte. Die Reden wurden zu Protokoll gegeben.

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