Sterbehilfe in der ARD

Gibt es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben?

Absolute Selbstbestimmung? Ja zum "palliativen Notausgang" bei der Sterbehilfe? Darüber stritten bei Günther Jauch am Sonntagabend der frühere MDR-Intendant Udo Reiter und das SPD-Urgestein Franz Müntefering.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Teil der Diskussionrunde: Franz Müntefering, ehemaliger SPD-Parteivorsitzender, Moderator Günther Jauch, Udo Reiter, ehemaliger MDR-Intendant (v.l.n.r.).

Teil der Diskussionrunde: Franz Müntefering, ehemaliger SPD-Parteivorsitzender, Moderator Günther Jauch, Udo Reiter, ehemaliger MDR-Intendant (v.l.n.r.).

© Karlheinz Schindler / dpa

BERLIN. Gefunden haben sie sich schließlich nicht. Zu weit lagen die Positionen auseinander, die der ehemalige SPD-Chef Franz Müntefering und der ehemalige Intendant des MDR, Udo Reiter, zum Thema Sterbehilfe formulierten.

Ihre Kontroverse, die sie in der "Süddeutschen Zeitung" geführt haben, setzten sie in der Talkshow "Günther Jauch" am Sonntagabend fort.

Absolute Selbstbestimmung forderte einerseits Udo Reiter und damit das Recht, mit einem durch die Krankenkassen bezahlten Medikamentencocktail aus dem Leben zu gehen, wann immer ein Mensch dies möchte, sei er alt oder jung, krank oder gesund. Eben darin liege seine Freiheit.

Reiter wünscht sich einen gesellschaftlich akzeptierten Weg des assistierten Suizids auf Kosten der Krankenkassen. Menschen, die nicht den "palliativen Notausgang" nehmen und trotz Hospiz und medizinischer Sterbebegleitung selbstbestimmt aus dem Leben scheiden wollen, "müssen sich frei dafür entscheiden können", so Reiter.

Er führte die vielen Selbstmorde in Deutschland als Beispiel dafür an, wie vielen Menschen es zugemutet wird, unwürdig zu sterben. Sie alle wären bei professionellen Sterbebegleitern besser aufgehoben gewesen, so Reiter. Also: Selbstbestimmung und Individualität bis zum Schluss. "Ich will sterben, wann ich will", erklärte Reiter.

Auch der Arzt und Sterbebegleiter Uwe-Christian Arnold stellte die Selbstbestimmung ganz oben an, argumentierte aber mehr als Mediziner. Dem assistierten Suizid gehe ein intensives Kennenlernen voraus und ein wiederholtes Betrachten der Krankengeschichte.

Franz Müntefering dagegen forderte mehr Gemeinsamkeit und gegenseitige Hilfe. Um es mit einem Schlagwort zu sagen: Man müsse im Zweifel beim Sterben helfen, ja, aber mehr beim Leben. Die Hälfte der Lebensmüden litten an einer Depression, "einer heilbaren Krankheit", wie Müntefering betonte.

Eine billige Alternative

Was sei das für eine Gesellschaft, die Schwermütigen lieber den Weg zum Ausgang zeige, als ihnen zu helfen, fragte der SPD-Politiker. Vor allem fürchtet er den assistierten Suizid als billige Alternative.

Er selber hat seine sterbenskranke Frau begleitet und berichtete in diesem Zusammenhang auch von einer berührenden und "guten gemeinsamen Zeit", auch wenn manchmal "gezagt" und "geheult" worden sei.

Hier sprach Müntefering einen wichtigen, wenn auch heiklen Aspekt an, der mehr Aufmerksamkeit in der Sendung verdient hätte: Sterbenden beizustehen, kann für alle Beteiligten auf eine seltsam paradoxe Weise auch starke Zusammengehörigkeit und Lebendigkeit provozieren.

Viele, die Todkranke begleiten, dürften das bestätigen können. Müntefering jedenfalls konnte das, weshalb er vom assistierten Suizid selbstverständlich nichts hält.

Die evangelische Pfarrerin Petra Bahr ließ in der Diskussionsrunde ebenfalls diesen Aspekt anklingen: Vielleicht, so sagte sie provokativ über die Angehörigen von Demenzkranken, schätzten manche es auch, "von Idioten" umgeben zu sein.

Lebensmüde seien in der Regel "in einer schweren seelischen Krise", sagte der Psychotherapeut und Palliativmediziner Reinhard Lindner. Und groß sei die Angst, mehr über die inneren Abgründe der Suizidgefährdeten zu erfahren.

Aber genau darum gehe es. Man müsse mehr über den körperlichen und psychischen Hintergrund der Sterbewilligen erfahren, um ihnen zu helfen.

In der Diskussion wurde ein Dilemma klar, das wohl viele Menschen in einer modernen Gesellschaft betrifft: Wir Zeitgenossen sind individualisiert bis auf die Knochen, trotzdem gehören wir zusammen.

Der Riss zwischen beiden Aspekten dürfte mehr oder weniger durch jeden Einzelnen gehen. Wenn man überhaupt je von einem "Spannungsfeld" reden möchte, hier muss man es.

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