Gastbeitrag zur Sterbehilfe

Eine Medizin ohne Tötung, aber mit Augenmaß!

Der Begriff "Sterbehilfe" wird oftmals falsch verwendet, was für Verunsicherung sorgt, bemängelt Thomas Sitte. In einem Gastbeitrag stellt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen PalliativStiftung heraus, worum es bei der Hospiz- und Palliativversorgung wirklich geht.

Von Thomas Sitte Veröffentlicht:
Thomas Sitte, Vorstandsvorsitzender der Deutschen PalliativStiftung ruft Ärzte auf, zum "Sterbehelfer" zu werden.

Thomas Sitte, Vorstandsvorsitzender der Deutschen PalliativStiftung ruft Ärzte auf, zum "Sterbehelfer" zu werden.

© Horst Lappe, Fulda

FULDA. Diskussionen werden aus der eigenen moralischen Position heraus geführt und wir sollten dabei eigenen ethischen Prinzipien treu bleiben. Für seinen Standpunkt Flagge zu zeigen, tut dem Ringen um einen gemeinsam möglichen Weg nur gut.

Es ist je nach moralischer Couleur nur legitim - ja, zu begrüßen - wenn eine Gruppe von Strafrechtlern die Ziele und Forderungen der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben unterstützt und ihre Stellungnahme kurz vor einer Podiumsdiskussion: "Wird Sterbehilfe zur Straftat?" in Berlin in der F.A.Z. veröffentlicht.

Fast alles könnte ich vollinhaltlich unterschreiben, wenn man den Begriff "Sterbehilfe" im angebotenen Spektrum nutzte. Hier passt trefflich die Conclusio: "In dieser Allgemeinheit ist dem nicht zu widersprechen". Doch kaum ein ärztlicher Kollege ginge mit einer solchen Simplifizierung konform.

Gerade in der aktuellen ‚Sterbehilfediskussion‘ wären Trennschärfe und präzise Terminologie wichtig. So titelte der Medizinrechtler Dr. Oliver Tolmein in der F.A.Z. "Wissen sie, was sie tun?"

Strafrechtler zünden Nebelkerzen!

Sollten die Diskutanten nicht glasklar benennen, um was es gerade geht? Der im aktuellen Kontext untaugliche Terminus "Sterbehilfe" schadet eher. DIE ZEIT titelte schon am 26. Februar 2015 "Wir haben beim Sterben geholfen", und meinte die Hilfe beim (Selbst-)Töten.

Franz Müntefering wiederum betonte, er "habe schon zweimal aktive Sterbehilfe" geleistet, bei Mutter und Ehefrau dabei gesessen, Hand gehalten, ausgehalten.

Und ausgerechnet jetzt stiften gut 140 Strafrechtler Verwirrung und unterschreiben die Behauptung, organisierte Sterbehilfe sei in deutschen Hospizen und Palliativstationen an der Tagesordnung.

Was meinen sie damit? Töten? Sterben zulassen? Begleiten? Und warum nur dort? Und haben sie bedacht, dass die Verantwortlichen solcher Einrichtungen vielleicht zutiefst verunsichert werden?

Zur Kunst der Strafverteidiger gehört es, zum Nutzen des Angeklagten Verwirrung zu stiften. Doch ist diese Strategie dem Ernst der aktuellen Diskussion angemessen? Niemand sollte hierbei je nach Gusto euphemistisch Orwellschen Neusprech gebrauchen.

Bei so brisanten, gesellschaftlich relevanten und sensiblen Themen wie der angemessenen Versorgung Sterbender erwarte, nein, verlange ich gerade von in geschliffener Formulierung geschulten Strafrechtslehrern höchste sprachliche Präzision.

Der Sozialgerichtsdirektor Dr. Carsten Schütz konstatierte im Gespräch darüber: "Die Stellungnahme greift an zentraler Stelle zu kurz. Sie ist insofern unredlich, als sie die zugrunde liegende Prämisse nur mittelbar nennt und damit nicht ausreichend offenlegt."

Zwar reiche "geltendes Polizei- und Strafrecht" zur Sanktionierung einer unzureichenden Prüfung der "Freiverantwortlichkeit des Suizids" aus. Doch greife dieses Argument nur dann, wenn man Suizidförderung als solche für legitim erachte.

Denn sie wussten, was sie tun!

Die Stellungnahme der Strafrechtler ist eine perfekt terminierte Aktion zur ‚Woche für das Leben‘ der großen Kirchen. Auch das ist völlig legitim. Und dennoch: hier muss Sprache eindeutig sein. Vermengt sie für nicht Eingeweihte verwirrend Dichtung und Wahrheit, dann taugt sie nicht zum sachdienlichen Diskurs.

So möchte ich Sie, liebe Kollegen, auffordern, werden Sie ‚Sterbehelfer‘! Stehen Sie Ihren Patienten bei! Setzen Sie sich dafür ein, dass Patientenrechte stets beachtet werden, dass Sterben zugelassen wird, wenn der Patient der Therapien müde nicht mehr kämpfen kann!

Setzen Sie sich dafür ein, das Leiden der Sterbenden nach bestem medizinischen Standard zu lindern, ohne, wie die Stellungnahme unterstellt, in vielen Fällen Leben zu verkürzen!

Gute hospizlich-palliative Versorgung schenkt Lebenszeit und verbessert die Lebensqualität!

Setzen Sie sich ein für eine Medizin ohne Tötung, aber mit Augenmaß!

Thomas Sitte ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen PalliativStiftung.

Lesen Sie dazu auch: Leitartikel: Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid sind zwei paar Schuhe

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